Wenn Nino Carbonetti (64) von seinem alten Arbeitgeber redet, sagt er noch immer «wir». Dabei gibt es dieses Wir nicht mehr: Carbonetti ist seit August 2017 arbeitslos. Mehr als 62 Jahre alt war er an seinem letzten Arbeitstag bei einem grossen Finanzdienstleister.
Seitdem ist er auf der Suche nach einem neuen Job. Die Zeit rennt: Im November wird der frühere Bankangestellte ausgesteuert. Bis zur Pensionierung im Juni 2021 dauert es dann noch acht Monate. Acht Monate, in denen Carbonetti wohl Sozialhilfe beziehen müsste.
«Die Arbeitsbelastung nahm stetig zu»
Der demütigende Gang aufs Sozialamt könnte Carbonetti, der sein ganzes Leben gearbeitet hat, erspart bleiben. Am Mittwoch debattiert der Nationalrat über die sogenannte Überbrückungsrente. Der Bundesrat will damit ältere Arbeitslose finanziell unterstützen, die keinen Job mehr haben.
Nach acht Jahren beim letzten Arbeitgeber wurde Carbonetti der Job zu viel: «Die Arbeitsbelastung nahm stetig zu. Irgendwann konnte ich nicht mehr.» Er schlitterte in ein Burnout, bat darum, das Pensum zu reduzieren. Doch die Firma lehnte ab. «Man sagte mir, sie wollten jemanden, der 100 bis 120 Prozent arbeiten kann.» Dazu kam die Konkurrenz der Jungen. «Die sind schneller mit dem Computer, das ist mir klar.»
Die Firma stellte ihn vor die Wahl: weiter zu 100 Prozent arbeiten – oder gehen. Carbonetti wählte Letzteres. Dennoch will er nicht schlecht über «seine» Firma sprechen. «Ich hege keinen Groll. Das ist ein generelles Problem.» Auch andere Unternehmen handelten ähnlich. Der Bund rechnet damit, dass rund 4400 Personen von der Überbrückungsrente profitieren könnten.
Bürgerliche befürchten Fehlanreize
Im Dezember verschärfte der Ständerat die Vorlage, weil sie zu teuer sei: Die Maximalrenten wurden gesenkt und sollen nur bis zur Frühpensionierung bezahlt werden. Die bürgerliche Mehrheit befürchtet Fehlanreize. Für manche könnte es lukrativer sein, sich via Arbeitslosigkeit eine Überbrückungsrente zu sichern, statt sich frühpensionieren zu lassen.
Aber Carbonetti, der in seiner Freizeit als Kirchensigrist amtet, will arbeiten. Derzeit hält er sich mit einem kleinen Pensum als Lehrer über Wasser. Doch dieses variiert von Monat zu Monat. Mal sind es 20, mal 40 bis 50 Prozent. Und er schreibt Bewerbungen, insgesamt schon über 100. «Aber wer stellt schon einen 64-Jährigen ein?», fragt er. Eine Frühpensionierung kommt für ihn nicht in Frage. Auch weil dadurch seine AHV-Rente kleiner würde – für den Rest seines Lebens.
Viele sind unsicher
Denkt man an ältere Arbeitslose, die finanzielle Hilfe benötigen, kommen einem wohl nicht als Erstes die Banker in den Sinn. Doch Carbonetti ist nicht alleine: «Nicht jeder Banker kriegt Boni», sagt er. Viele Kollegen seien in einer ähnlichen Situation.
Obwohl es nur noch wenige Monate dauert, bis er ausgesteuert wird – aufgeben will Carbonetti nicht. «Angst habe ich keine. Aber eine gewisse Unsicherheit ist da.» Gemeinsam mit seiner Frau bereite er sich vor: «Wir haben geschaut, wo wir uns einschränken müssten.»
Menschen, die kurz vor dem Rentenalter ihre Stelle verlieren, haben grössere Schwierigkeiten, wieder einen Job zu finden. Ihnen droht die Aussteuerung.
Der Bundesrat will nun Gegensteuer geben: Wer nach dem 60. Geburtstag ausgesteuert wird, soll bis zum AHV-Alter eine Überbrückungsrente erhalten. Maximal 58'350 Franken pro Jahr soll es für eine Einzelperson geben, für Ehepaare 87'525 Franken. Der Ständerat reduzierte im Dezember die jährliche Maximalrente auf 38'900 Franken für Alleinstehende und 58'350 Franken für Ehepaare.
Dazu will die kleine Kammer, dass die Überbrückungsrente nur ausbezahlt wird, bis eine Frühpensionierung möglich ist. Diesen Entscheid könnte der Nationalrat, der sich am Mittwoch über die Vorlage beugt, wieder rückgängig machen. Tobias Bruggmann
Menschen, die kurz vor dem Rentenalter ihre Stelle verlieren, haben grössere Schwierigkeiten, wieder einen Job zu finden. Ihnen droht die Aussteuerung.
Der Bundesrat will nun Gegensteuer geben: Wer nach dem 60. Geburtstag ausgesteuert wird, soll bis zum AHV-Alter eine Überbrückungsrente erhalten. Maximal 58'350 Franken pro Jahr soll es für eine Einzelperson geben, für Ehepaare 87'525 Franken. Der Ständerat reduzierte im Dezember die jährliche Maximalrente auf 38'900 Franken für Alleinstehende und 58'350 Franken für Ehepaare.
Dazu will die kleine Kammer, dass die Überbrückungsrente nur ausbezahlt wird, bis eine Frühpensionierung möglich ist. Diesen Entscheid könnte der Nationalrat, der sich am Mittwoch über die Vorlage beugt, wieder rückgängig machen. Tobias Bruggmann