Wer auf der Intensivstation landet, ist auf bestmögliche Behandlung angewiesen. Denn ein Fehler kann tödlich enden. Ausgeruhtes Personal ist da besonders wichtig. Wer will schon von einem übermüdeten Arzt behandelt werden? Dass das nicht passiert, stellt das Arbeitsgesetz sicher, indem es Höchstarbeitszeiten und zwingende Ruhepausen vorschreibt. Die Kontrolle erfolgt über die Erfassung der Arbeitszeit.
Operieren, bis der Arzt kommt
Damit soll Schluss sein, fordert die Schweizerische Gesellschaft für Intensivmedizin (SGI): Die Ärzte und Pfleger auf Intensivstationen sollen ihre Arbeitszeit künftig nicht mehr erfassen. Das geht aus der Vernehmlassungsantwort der SGI zur geplanten Änderung des Arbeitsgesetzes hervor, die BLICK vorliegt.
Das heisst: Für Assistenzärzte, viele Oberärzte sowie das Pflegepersonal könnte die 50-Stunden-Woche bald zur 60- oder 70-Stunden-Woche werden. Denn ohne Zeiterfassung fallen die arbeitsrechtlichen Bestimmungen de facto weg – und das, obwohl heute schon länger gearbeitet wird als erlaubt (siehe Box). Für Angestellte in einer höheren leitenden Funktion – zum Beispiel Chefärzte – würde die Änderung keine Rolle spielen. Das Arbeitsgesetz gilt für sie ohnehin nicht.
50-Stunden-Wochen, regelmässige Nacht- und Sonntagsarbeit, maximal sieben Arbeitstage in Folge und die Erfassung der Arbeitszeit: Das sind die wichtigsten Eckwerte im Arbeitsgesetz, das für Assistenzärzte und die meisten Oberärzte gilt. Doch eine Umfrage des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) von 2017 zeigt, dass viele dieser Bestimmungen regelmässig nicht eingehalten werden. So arbeitet mehr als die Hälfte der befragten Assistenz- und Oberärzte mehr als 50 Stunden pro Woche. Im Schnitt sind sie bei einem Vollzeitpensum fast 56 Stunden pro Woche im Dienst. Auch die Vorschrift, maximal sieben Tage am Stück zu arbeiten, wird oft nicht eingehalten: 54 Prozent der Befragten waren länger als eine Woche ununterbrochen im Einsatz. Immerhin hat sich die Situation im Vergleich zu 2014 um acht Prozentpunkte verbessert. Dennoch: In der Umfrage berichtet die Hälfte der befragten Mediziner von Situationen, in denen Patienten durch die berufsbedingte Übermüdung von Ärzten gefährdet waren.
50-Stunden-Wochen, regelmässige Nacht- und Sonntagsarbeit, maximal sieben Arbeitstage in Folge und die Erfassung der Arbeitszeit: Das sind die wichtigsten Eckwerte im Arbeitsgesetz, das für Assistenzärzte und die meisten Oberärzte gilt. Doch eine Umfrage des Verbands Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO) von 2017 zeigt, dass viele dieser Bestimmungen regelmässig nicht eingehalten werden. So arbeitet mehr als die Hälfte der befragten Assistenz- und Oberärzte mehr als 50 Stunden pro Woche. Im Schnitt sind sie bei einem Vollzeitpensum fast 56 Stunden pro Woche im Dienst. Auch die Vorschrift, maximal sieben Tage am Stück zu arbeiten, wird oft nicht eingehalten: 54 Prozent der Befragten waren länger als eine Woche ununterbrochen im Einsatz. Immerhin hat sich die Situation im Vergleich zu 2014 um acht Prozentpunkte verbessert. Dennoch: In der Umfrage berichtet die Hälfte der befragten Mediziner von Situationen, in denen Patienten durch die berufsbedingte Übermüdung von Ärzten gefährdet waren.
Gleiche Auswirkungen wie Alkohol
Patientenschützerinnen kritisieren den Vorschlag der Intensivmediziner scharf: Der Wegfall der Arbeitszeiterfassung gefährde die Sicherheit der Patienten. Insbesondere Ruhepausen seien wichtig. Wenn diese nicht eingehalten werden, führe dies zu Übermüdung, sagt die Präsidentin des Schweizer Patientenschutzes, die ehemalige Aargauer Gesundheitsdirektorin Susanne Hochuli (53).
«Man weiss, dass ein Promille Alkohol die gleichen Auswirkungen auf die Fertigkeiten eines Menschen hat wie 24 Stunden Schlaflosigkeit», führt sie aus. Zu wenig Schlaf über längere Zeit habe die gleichen Auswirkungen. «Car- und Lastwagenchauffeure sind von Gesetzes wegen angehalten, ihre Ruhezeiten strikte einzuhalten. Ist ein Patientenleben also weniger wert als die Sicherheit eines Verkehrsteilnehmers?», fragt die Patientenschützerin warnend.
Erika Ziltener (63), die Präsidentin des Dachverbands Schweizerischer Patientenstellen, pflichtet Hochuli bei. Das Arbeitsgesetz dürfe «höchstens in begründeten Fällen und nur befristet» gelockert werden. «Ich weiss aus Erfahrung, dass mehr Fehler passieren, wenn man übermüdet ist», sagt die diplomierte Pflegefachfrau. Gerade auf einer Intensivstation sei ausgeruhtes Personal sehr wichtig.
Die Ausbildung leidet
SGI-Präsident Thierry Fumeaux (53) sieht das anders. «Untersuchungen haben gezeigt, dass sich die Patientensicherheit nicht automatisch erhöht, wenn das medizinische Personal weniger arbeitet», sagt der Chefarzt der Spitalgruppe L'Ouest Lémanique aus Nyon VD. «Die Debatte um die Arbeitszeiten basiert viel zu stark auf subjektiven Eindrücken statt auf objektiven Beweisen», findet er. Die Auswirkungen müssten besser untersucht werden.
Er sieht Vorteile in längeren Dienstzeiten. «Wegen der strengen Anwendung des Arbeitsgesetzes können die Assistenz- und Oberärzte die Kontinuität der Patientenversorgung heute nicht gewährleisten», sagt er. Will heissen: Während einer Chefarzt-Schicht wechseln die Assistenz- und Oberärzte und geben einander die Patienten weiter. Hier sieht Fumeaux eine potenzielle Fehlerquelle, weil Informationen vergessen gehen könnten. «Neben der Patientenversorgung leidet auch die Qualität der Ausbildung unter dieser Zersplitterung der Arbeit», ist er überzeugt.
Das Problem sind die Kosten
Doch Fumeaux verhehlt nicht, dass es zum Schluss auch ums Geld geht: «Um das Arbeitsgesetz einhalten zu können, braucht es immer mehr Assistenzärzte», sagt er. Und die bedeuteten höhere Kosten – ein Dauerthema im Gesundheitsbereich. Auch deshalb habe die SGI den Vorschlag zur Lockerung des Arbeitsgesetzes in den Raum gestellt. Heisst konkret: Damit Kosten gespart werden können, sollen Ärzte und Pflegepersonal länger arbeiten.