SonntagsBlick: Herr Pfister, vor einer Woche scheiterte die Reform der Altersvorsorge an der Urne. Wo steht die bürgerliche CVP beim nächsten Anlauf – wieder an der Seite der Linken?
Gerhard Pfister: Wir dürfen nicht zu schnell sein und sagen: Das machen wir ohne die Linken! Ideal wäre es, wenn auch die Linken mehrheitlich hinter einer neuen Vorlage stehen könnten. Wichtig ist jetzt, dass zuerst FDP und CVP schauen: Was ist unser gemeinsamer Nenner? Dann können wir überlegen, wie wir nach Möglichkeit die anderen Parteien mitnehmen.
Sie haben die FDP vor kurzem als «kalt» bezeichnet ...
Abstimmungskämpfe sind hart, aber wenn die Entscheidung gefallen ist, muss man wieder aufeinander zugehen. Die Tonalität hat sich bereits gewandelt.
Sie gehören dem rechten Flügel der CVP an. Sitzen Sie lieber mit der FDP im Boot als mit der SP?
Ich sitze ab und zu sogar gerne mit der SVP zusammen! Das ist unser System, dass es immer wechselnde Mehrheiten gibt, je nach Thema.
Sie haben stets betont, dass eine Reform gegen die Linke nicht zu machen sein wird.
Wenn wir jetzt überhastet eine Vorlage aufgleisen, fürchte ich, dass diese wieder bachab geht. Es bringt nichts, jemanden auszugrenzen. Die ureigenste Aufgabe der CVP ist es, Brücken zu bauen.
Wie konnte überhaupt eine Reform scheitern, für die Sie gemeinsam mit der Linken kämpften?
Eine Vorlage, die im Parlament so knapp durchkam und bei der die Fronten derart verhärtet sind, steht an der Urne unter schwierigen Vorzeichen.
Ihre Gegner kritisierten, das Ja-Lager wolle keine Kompromisse eingehen.
Beide Seiten waren ziemlich kompromisslos. Die Gegner haben es uns schwer gemacht, sie wollten von einem sozialen Ausgleich nichts wissen.
Was heisst das für eine kommende Reform?
Mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse muss es unser Ziel sein, mindestens drei Bundesratsparteien auf einen Vorschlag zu verpflichten. Sonst wird es wieder knapp.
Und inhaltlich?
Die CVP setzt sich weiter dafür ein, dass das Frauenrentenalter nur dann auf 65 steigt, wenn dies in irgendeiner Art kompensiert wird. Wir dachten, eine Erhöhung der AHV könnte dieser Ausgleich sein. Aber die ist jetzt vom Tisch.
Also gibt es mit Ihnen keinen AHV-Ausbau mehr?
Für uns war es nie ein Ausbau, sondern eine Kompensation für die Ausfälle bei den Pensionskassen. Wenn wir die AHV isoliert sanieren – und danach sieht es aus –, wird man sie nicht ausbauen können.
Was wäre denkbar?
Eine erleichterte Frühpensionierung für Frauen zum Beispiel. Freisinnige Politiker haben sich bereits in diese Richtung geäussert. Oder eine Anhebung der tiefsten Renten. Denn klar ist: Ohne Kompensation für die schwachen Einkommen kann man das Frauenrentenalter nicht erhöhen. Zugleich ist die Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV wohl mehrheitsfähig.
Wie sehen Sie eine gemeinsame Reform der ersten und zweiten Säule?
Die Reform der AHV ist dringlicher als die der zweiten Säule. Dort herrscht auch grössere Einigkeit: Das Volk hat eine Verbindung abgelehnt. Dennoch sollten beide Pfeiler zeitgleich angegangen werden. Nur so weiss jeder Stimmbürger, wie hoch seine Rente insgesamt ausfallen wird.
Ihre persönlichen Lehren aus der Niederlage?
Unsere Partei darf sich nicht zu früh festlegen. Die Dinge ändern sich.
Wie meinen Sie das?
Die Rentenreform war noch ein Geschäft der Legislatur vor den Wahlen 2015, die den Nationalrat nach rechts rückten. Wir haben dem zu wenig Rechnung getragen. Wir hätten Alternativen zu den 70 Franken vertiefter prüfen müssen. Wir hätten darüber verhandeln müssen, als klar wurde, dass das rechte Lager – gestärkt durch den Wahlsieg – diesen Ausbau der AHV nicht will. Künftig müssen wir länger kompromissbereit sein.
Hilft Ihnen das Volks-Nein, die Linken in der Fraktion unter Kontrolle zu halten?
Sie überschätzen meinen Einfluss. Wir sind viel zu föderalistisch, von unten nach oben organisiert. Zudem will ich das gar nicht. Die CVP ist eine Mittepartei und soll es auch unter meiner Ägide bleiben.
Das Volk hat die Unternehmenssteuerreform III und eine Revision der Pensionen abgelehnt. Ist die Schweiz überhaupt noch reformierbar?
Absolut. Wenn die Stimmbürger eine Vorlage ablehnen, ist sie nicht gut genug – zurück an den Absender, Schluss. Was ich aber feststelle, ist ein allgemeiner Vertrauensverlust. Die Bürgerlichen verlieren plötzlich ihre Heimspiele – Beispiele sind die erwähnte Unternehmenssteuerreform, aber auch das Nein zum Kampfjet Gripen. Und die Linke hat nicht mehr die Deutungshoheit über die Sozialwerke.
Was ist der Grund dafür?
Die Bindungskraft der Parteien nimmt ab. Viele Bürger entscheiden von Fall zu Fall, von Abstimmung zu Abstimmung, ob ihnen eine Vorlage passt oder nicht. Vielleicht ist das aber gar keine so schlechte Entwicklung. Das wird sich noch weisen.
Nicht nur die CVP erlebte einen schwierigen Sonntag, auch ihre Schwesterpartei in Deutschland brach ein. Wie die CVP hat sich die CDU von der konservativen rechten Kraft zu einer Partei der Mitte gewandelt. Was würde Gerhard Pfister an Angela Merkels Stelle tun?
Die Grosse Koalition von CDU/CSU und SPD hat Merkel enorm geschadet. Die Parteien haben sich während ihrer Regentschaft aneinander angepasst. Damit öffnete die CDU die rechte Flanke, das hat der AfD Raum gelassen. Grosse Koalitionen sind unnatürlich und schaden den beteiligten Parteien. Deshalb können sie nur im absoluten Ausnahmefall eine Option sein. Die Verhältnisse in Deutschland und in der Schweiz sind aber völlig verschieden.
Ist es nicht eine Ironie der Geschichte, dass ausgerechnet die CDU – die mit Adenauer und Kohl massgeblich dafür verantwortlich war, Deutschland wieder in Europa verankert zu haben – jetzt den Aufstieg der Europafeinde von der AfD mitverantworten muss?
Adenauers grosse Leistung war die Westintegration von Nachkriegsdeutschland, Kohls historisches Verdienst die Wiedervereinigung. Das bleibt. Nicht nur die CDU, sondern alle etablierten Parteien und die Mehrheit der Medien machten den Fehler, zu wenig nach den Gründen zu fragen, warum linke und rechte Populisten, also die Nachfolgepartei der SED und die AfD, Zulauf haben. Wenn Populisten Erfolg haben, dann deswegen, weil Teile des Volkes kein Vertrauen in die etablierten Parteien haben, dass sie die Probleme lösen können. Wer als Politiker Populismus bekämpfen will, muss näher bei den Sorgen der Bevölkerung politisieren.