Bundesrat im Interview
«Die nächste Krise kommt bestimmt»

Finanzminister Ueli Maurer spricht über die Gefahren für die Weltwirtschaft und erklärt die Unterschiede zwischen seiner SVP und der AfD.
Publiziert: 15.10.2017 um 13:28 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 05:50 Uhr
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Finanzminister  Ueli Maurer kann sich keinen spannenderen Job vorstellen als den, den er gegenwärtig macht.
Foto: Daniel Kellenberger
Interview: Christian Dorer und Simon Marti

Ein aufgeräumter Bundesrat Ueli Maurer (66) empfängt am späten Dienstagnachmittag die Journalisten des SonntagsBlick. Im leeren Gang des ehemaligen Luxushotels Bernerhof, in dem sein Finanzdepartement untergebracht ist, steht der Magistrat mit verschränkten Armen und bittet in sein Büro. Dort dominiert die Gemütlichkeit: viel Holz, eine Sammlung von Kuhglocken, eine Karte der alten Eidgenossenschaft über dem Schreibtisch. Von magistralem Schnickschnack keine Spur. Maurer nimmt Platz. Für den Fotografen geht er kurz auf den grosszügigen Balkon und lässt den Blick über die Bundesstadt schweifen, die in der herbstlichen Abendsonne erstrahlt.

SonntagsBlick: Herr Maurer, seit der Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform (USR) III hat man nichts mehr von Ihnen gehört. Warum sind Sie abgetaucht?
Bundesrat Ueli Maurer:
Ich bin nicht abgetaucht. Es ist nur angenehmer, unter dem Radar zu arbeiten. So kommt man schneller vorwärts. Geschäfte sollten nicht totgeredet werden, bevor sie überhaupt spruchreif sind.

Wie stark hat es Sie ­getroffen, dass Sie nach dem Gripen-Jet erneut eine wichtige Abstimmung verloren haben?
Ich habe in meiner politischen Laufbahn häufiger verloren als gewonnen. Wie beim Gripen musste ich die USR III in einem Stadium übernehmen, in dem ich kaum noch etwas beeinflussen konnte. Die Niederlage hatte sich abgezeichnet.

Wie praktisch: Die anderen sind schuld.
Sicher nicht. Ich habe mich stark für ein Ja engagiert.

Vielleicht glauben die Stimmbürger nicht mehr alles, wenn man den ­Teufel an die Wand malt: Es hiess, bei einem Nein gäbe es massive Steuerausfälle, viele Firmen würden abwandern.
In diesem Fall waren wir rückblickend zu pessimistisch. Die Leute reagieren auf Druck mit Trotz. Das erlebt die Politik in letzter Zeit immer häufiger.

Sie haben vor der Ab­stimmung auch gesagt, ­Firmen würden ins Ausland abwandern. War auch das übertrieben?
Es sind Betriebe gegangen, und es gibt solche, die es sich überlegen. Darum ist es nun entscheidend, dass die Steuervorlage 17 zügig kommt. Die Schweiz profitiert im Moment von der Unsicherheit der Konkurrenz – in den USA nach dem Regierungswechsel und in Grossbritannien wegen des Brexit. Sonst wäre der Druck noch grösser.

Auch das angekündigte Milliarden-Sparprogramm ist ausgeblieben.
Aktuell sparen wir immerhin eine Milliarde, vielleicht wird es noch mehr, je nachdem, wie sich die Einnahmen entwickeln.

Wie soll die neue Reform eine Mehrheit finden?
Bei der Steuervorlage 17 wurden Kantone und Gemeinden von Anfang an mit einbezogen. Und wir haben die Hauptkritik aufgenommen und kamen den Abstimmungssiegern im sozialen Bereich weit entgegen. Nun liegt ein guter Kompromiss vor.

Dann hatte also Ihre Vorgängerin Eveline Widmer-Schlumpf doch recht, als sie sagte, die USR-III-Vorlage sei aus der Balance geraten?
Mit ihrer ursprünglichen Vorlage wären die Ausnahmeausfälle noch grösser geworden, das Parlament hatte noch korrigiert. Ganz abgesehen davon entscheidet nicht Frau Widmer-Schlumpf über Abstimmungen. So wie das im Übrigen auch kein anderer Bundesrat macht.

Was macht Ihnen ­eigentlich mehr Freude: Verteidigungs- oder Finanz­minister?
Rückblickend würde ich wieder im VBS beginnen und dann in ein anderes Departement wechseln.

Wie beurteilen Sie den Zustand des Schweizer Finanzplatzes?
Wir haben viele Vorteile verloren, als wir das Bankkundengeheimnis aufgeben mussten. Dazu kommt die Digitalisierung, eine der grössten technischen Revolutionen der Geschichte.

Welche Trümpfe haben Schweizer Banken noch seit der Einführung des automatischen Informa­tionsaustauschs?
Die politische Stabilität und das Know-how der Berater. Da sind wir Weltspitze.

Wie ist der Finanzplatz auf die Digitalisierung vorbereitet?
Die Arbeit läuft intensiv. Ob es schnell genug passiert, werden wir sehen. Das Tagesgeschäft aber wird noch stärker automatisiert. Das bedeutet aber auch eine Umstrukturierung der Arbeitslandschaft.

Die Finanzmarktaufsicht baute die Hürden für Finanz-Start-ups ab. Ist das nicht ein Sicherheitsrisiko?
Es gibt immer ein Risiko, wir werden unsere Erfahrungen machen müssen. Aber auch die Banken sind dabei, in diesem Bereich zu investieren. Der Staat wiederum muss die Rahmenbedingungen schaffen, damit diese Firmen Erfolg haben können. Das gilt nicht nur bei der Regulierung, sondern insbesondere auch bei der Bildung. Wir stehen da in starker Konkurrenz zu anderen Finanzplätzen.

Warum sollen ausgerechnet dann die ETHs im nächsten Jahr weniger Mittel erhalten?
Sie erhalten etwas mehr als letztes Jahr, einfach etwas weniger als geplant. Der Bund muss insgesamt eine Milliarde Franken sparen. Die ETHs sind stark gewachsen. Ich denke, dass eine Fokussierung notwendig ist. Man kann in einer Welt, die sich so schnell dreht, Programme, die man vor zehn oder fünfzehn Jahren angefangen hat, auch einmal einer Überprüfung unterziehen und ihre Weiterführung in Frage stellen.

Was muss die Schweiz tun angesichts des technologischen Umbruchs?
Unser Obligationenrecht ist Jahrzehnte alt. Wir müssen uns überlegen, ob diese Start-ups überhaupt in unsere trägen Vorstellungen einer Aktiengesellschaft oder einer GmbH passen. Wahrscheinlich nicht. Die Politik unterschätzt diese Dynamik noch.

Und wie kann die Verwaltung digital werden?
Überall dort, wo sie mit dem Bürger in Kontakt tritt. Wer heute zügelt, muss einen halben Tag freinehmen, um sich auf der Verwaltung abzumelden. Das muss doch am Computer möglich sein! Aber unser System mit 26 Kantonen und rund 2300 Gemeinden ist manchmal träge, es braucht seine Zeit. Aber wir sind daran, das zu beschleunigen.

Um wie viel wird die Verwaltung dadurch schrumpfen?
Bei der Zollverwaltung rechnen wir mit einer Einsparung von rund 300 Stellen, in den durch das Digitalisierungsprogramm DaziT betroffenen Bereichen. Wie viel es total sein wird, lässt sich aber nicht beziffern. Es gibt auch da Grenzen. Asylbewerber etwa werden kaum elektronisch befragt werden, obwohl es technisch möglich wäre.

Was halten Sie von ­E-Voting, der Abstimmung via Computer?
2019 werden die Auslandschweizer elektronisch abstimmen können. Dort macht das Sinn. Soll man aber überall die politische Teilhabe via Like organisieren? Da zweifle ich noch. Sicher ist, es braucht ein starkes Vertrauensverhältnis zwischen Bürger und Staat. Sonst heisst es nach jeder Abstimmung: Da wurde gehackt!

Sie sind in dieser Woche nach Washington ans Treffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) gereist. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble warnt vor einer neuen Wirtschaftskrise. Wie sehen Sie das?
Die nächste Krise kommt bestimmt. Die Frage ist nur, wo und wann. Die Umsetzung von strengeren Bestimmungen für die Banken stockt, die Staatsverschuldung ist vielerorts immens. Was man gerade bei solchen Treffen merkt: Europa verunsichert die Welt.

Auch politisch?
Ja, schauen Sie nach Spanien oder auf die Brexit-Verhandlungen. Da kommt aus Asien schnell die Frage: Was ist eigentlich bei euch los?

Wirkt die Europäische Union in dieser Lage als Klammer?
In der jetzigen Situation bringt die EU Stabilität, ja. Aber auch sie hat ihre Probleme: Im Osten gibt es Staaten, die auf Distanz gehen. Und in vielen Ländern sind EU-kritische Parteien im Aufschwung.

Wo steht die Union in zehn Jahren?
Man kann hoffen, dass sie sich zusammenrauft. Und am Schluss wird das gelingen. Die Frage ist, wie stark profitieren Staaten wie China oder Russland vom Vakuum. Man spürt deutlich, dass sie ihren Einfluss ausweiten.

Was heisst das für die Schweiz?
Wir hängen da mit drin. Klar ist, dass Sicherheit wichtiger wird.

Heute würden Sie die ­Gripen-Abstimmung ­gewinnen?
Bestimmt. Man wird noch erkennen, wie gut diese Lösung gewesen wäre.

Mit dem automatischen Informationsaustausch hätte der Streit mit Deutschland beendet ­werden sollen. Nun ­wurden erneut UBS-­Filialen durchsucht. Wie kommt das?
Die Situation ist bereinigt. In Berlin weiss man: Die Schweiz nimmt ihre Aufgabe ernst. Dass der nordrhein-westfälische Finanzminister noch etwas Wahlkampf betreiben wollte, ist nicht überraschend.

Was geschieht nun in der Affäre um den aufgeflogenen Spion M.?
Da müssen Sie das Verfahren abwarten.

Aber Sie kennen die ­Hintergründe?
Falls man mir alles gesagt hat, ja.

Ist diese Geschichte nicht unglaublich peinlich für die Schweiz?
Nein. Im Umfeld der Nachrichtendienste weiss man, wie dieses Geschäft läuft.

Ist Deutschland nach den Wahlen vom September instabiler?
Ja. Nur schon die Bildung einer Regierung wird schwierig.

Wie ähnlich ist die rechtspopulistische AfD Ihrer SVP?
Man kann die beiden Parteien nicht vergleichen. Die SVP ist hundert Jahre alt, ländlich und bürgerlich geprägt. Klar hat sie auch einen Protestflügel. Aber die AfD macht den Anschein eines wilden Haufens ohne Programm.

Als SVP-Präsident führten Sie Ihre Partei ebenfalls mit Provokationen und Tabubrüchen zum Erfolg.
Aber mit einem politischen Programm! Strache in Österreich, Le Pen in Frankreich, die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien und die AfD in Deutschland sind alles Bewegungen, die die Unzufriedenheit im Volk mit der Regierung, mit den Eliten ausdrücken. Das müsste eigentlich dazu führen, dass man in Europa endlich wieder verständlicher politisiert.

Genau diesen Gegensatz von Volk und Classe ­politique haben auch Sie jahrelang beschworen.
Das muss auch so sein. Wir politisieren nicht für uns, sondern für die Bevölkerung. Und eine Partei ist immer parteiisch.

Wo Sie nun gerade in der US-Hauptstadt waren: Wie sind Ihre Kontakte zur dortigen Regierung?
Der Schweiz geht es wie allen anderen Staaten: Es ist nicht einfach mit der Trump-Regierung. Sie ist unberechenbar. Und sie ist unnahbar. Wir versuchen es auf allen Ebenen, aber unsere Drähte gehen nie bis an die Spitze.

Dafür kann man Trump live auf Twitter verfolgen. Etwa im Konflikt mit Nordkorea. Auch das ist Digitalisierung.
Die Gefahr, dass dabei ­etwas Unüberlegtes geschieht, ist natürlich grösser, als wenn sich zwei Politiker gemeinsam an einen Tisch setzen. Aber auch Trumps Gegenspieler in Nordkorea ist unberechenbar. Ja, das besorgt mich.

Wie lange bleiben Sie Bundesrat?
Ich funktioniere nach dem Lustprinzip. Ich wüsste nicht, was ich Spannenderes tun könnte.

2019 sind Sie 69. Ist es für Sie wirklich denkbar, nochmals anzutreten?
Sicher. Dann bin ich fast gleich alt wie Trump, und der ist immerhin Präsident der USA! Oder denken Sie an Schäuble, der ist 75!

Didier Burkhalter ging Knall auf Fall, Doris Leuthard hat ihren Rücktritt angekündigt. Warum bleiben Bundesräte nicht bis zum Ende der Legislatur?
Jeder Bundesrat stellt sich für vier Jahre zur Verfügung und sollte diese Zeit, wenn es Gesundheit und Lebensumstände ermöglichen, absolvieren. Ich werde sicher am Ende einer ­Legislatur zurücktreten: 2023 oder 2027 oder 2031(lacht).

Oder 2019.
Nein, das habe ich bisher ausgeschlossen.

Der Finanzminister

Seit 2016 steht Ueli Maurer (66) dem Eidgenössischen Finanzdepartement vor. Davor leitete er sechs Jahre lang das Verteidigungsdepartement. Maurer, der 1991 den Sprung in den Nationalrat schaffte, war massgeblich am Aufstieg der SVP beteiligt: Unter seiner Präsidentschaft von 1996 bis 2008 avancierte sie zur stärksten Partei. Er ist verheiratet und Vater von sechs Kindern.

Seit 2016 steht Ueli Maurer (66) dem Eidgenössischen Finanzdepartement vor. Davor leitete er sechs Jahre lang das Verteidigungsdepartement. Maurer, der 1991 den Sprung in den Nationalrat schaffte, war massgeblich am Aufstieg der SVP beteiligt: Unter seiner Präsidentschaft von 1996 bis 2008 avancierte sie zur stärksten Partei. Er ist verheiratet und Vater von sechs Kindern.

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