SP stellt Kantonen nach «Luzerner Skandal» Ultimatum
Wer Prämienverbilligungen nicht anpasst, wird verklagt

Das Bundesgericht gibt dem Kanton Luzern bei den Prämienverbilligungen den Tarif durch. Die SP macht jetzt auch anderen Kantonen Beine – notfalls auf dem Rechtsweg. Bis zu 300'000 Personen könnten profitieren.
Publiziert: 28.01.2019 um 11:43 Uhr
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Aktualisiert: 29.01.2019 um 09:57 Uhr
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Planen Angriff auf die Kantone: SP-Nationalräte Nadine Masshardt, David Roth und Barbara Gysi.
Foto: Keystone
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Lea HartmannRedaktorin Politik

Nach dem wegweisenden Urteil des Bundesgerichts gegen den Kanton Luzern eröffnet die SP schweizweit den Kampf für mehr Geld für die Prämienverbilligungen. Sie stellt ein Ultimatum: Kantone, die nicht innerhalb eines Monats aktiv werden und Anpassungen bei der Prämienverbilligung in die Wege leiten, werden verklagt! Das hat die SP heute vor den Medien in Bern bekannt gegeben.

Luzern ist nicht allein

Nach dem «Luzerner Skandal» hat die SP am Wochenende die Zahlen der verschiedenen Kantone verglichen, wie SP-Nationalrätin Barbara Gysi (54) sagte. Die Statistiken zeigten «glasklar», dass eine ganze Reihe von weiteren Kantonen die Vorgaben des Bundesgerichts verletzen.

Konkret seien die Einkommensgrenzen, die festlegen, wer Anspruch auf Prämienverbilligungen hat, nebst Luzern auch in den Kantonen Bern, Wallis, Glarus, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Aargau und Neuenburg zu tief.

Für die SP muss es jetzt schnell gehen

In den Parlamenten dieser Kantone will die SP möglichst schnell mit Vorstössen Anpassungen auslösen. Die Frist von nur einem Monat sei realistisch. «Es braucht dafür keine Gesetzesänderung, es braucht lediglich Verordnungsänderungen durch die Kantonsregierungen», so Gysi.

Zudem sei es in die andere Richtung auch schnell gegangen, erinnerte David Roth (33), Präsident der SP Kanton Luzern: «Unsere Kantonsregierung brauchte 2017 für die Senkung der Prämienverbilligungen genau eine Sitzung!»

Nur ein Kanton ist vorbildlich

Aber auch die anderen Kantone sind aus Sicht der SP zu knausrig. Nur ein Kanton gewährt nicht nur Menschen mit tiefen Einkommen, sondern auch dem unteren Mittelstand Verbilligungen bei der Krankenkasse – und zwar über alle Haushaltskategorien hinweg: Graubünden.

«Wir gehen von 200'000 bis 300'000 Familien aus, die dank dem Bundesgerichtsurteil mehr Prämienverbilligung erhalten», sagt Gysi. Leider unterschiedlich viel, wie sie eingestehen musste. Sie versprach aber, dass die SP gegen diesen kantonalen Flickenteppich antrete und ihre geplante «Prämien-Entlastungs-Initiative» lanciere.

Die Initiative will in der Bundesverfassung verankern, dass keine Versicherten mehr als 10 Prozent ihres verfügbaren Einkommens für Krankenkassenprämien ausgeben müssten. Dies wäre dann die radikale Lösung des Prämienverbilligung-Problems.

Doch worum geht es dabei überhaupt? BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen:

Was hat das Bundesgericht entschieden?

Am Samstag wurde das neue Urteil des Bundesgerichts publik. Die Lausanner Richter haben entschieden, dass der Kanton Luzern zu strenge Kriterien bei der Vergabe von Prämienverbilligungen anwendet. Die Einkommensgrenze von 54'000 Franken, bis zu der Familien mit Kindern und jungen Erwachsenen 2017 Prämienverbilligungen erhalten haben, sei zu tief. Das Bundesgericht hält fest: Es ist gesetzeswidrig, wenn nur Familien mit tiefem Einkommen von den Verbilligungen profitieren. Auch Familien des Mittelstands habe Anspruch darauf. So ist im Gesetz explizit von «tiefen und mittleren Einkommen» die Rede.

Was ist der Hintergrund des Rechtsstreits?

Mehrere Personen hatten mit Hilfe der SP stellvertretend gegen den Kanton Luzern geklagt. Dieser hatte 2017 als Sparmassnahme die Einkommensgrenze für Prämienverbilligungen bei Familien mit Kindern von 75'000 auf 54'000 Franken gesenkt, nachdem das Volk eine Steuererhöhung abgelehnt hatte.

Bekommen Luzerner nun Geld zurück?

Ja. Knapp 8000 Familien waren vom Sparhammer in Luzern betroffen. Ihnen wird der Kanton die Prämienverbilligungen nachzahlen, wie die Luzerner Regierung am Samstag mitteilte. Es geht um insgesamt 15 Millionen Franken.

Ist das alles?

Nein, mit der Rückzahlung ist der Fall für den Kanton Luzern nicht erledigt. Die Einkommensgrenze von 54'000 Franken, die 2017 für Familien galt, ist zwar bereits wieder auf 60'000 Franken erhöht worden. Sie liegt aber noch immer deutlich zu tief. Man prüfe, wie man die Einkommensgrenze wieder erhöhen könne, so die Regierung. An einer Medienkonferenz nächsten Donnerstag will das Gesundheits- und Sozialdepartement Genaueres sagen.

Das Urteil bezieht sich auf Luzern. Was ist mit Prämienzahlern in anderen Kantonen?

Das ist der springende Punkt: Auch wenn das Urteil vorderhand nur den Kanton Luzern zwingt, das Prämienverbilligungs-System anzupassen, hat es für die ganze Schweiz Signalwirkung. Denn längst nicht nur in Luzern haben Familien des Mittelstands heute keinen Anspruch auf Prämienverbilligungen – obwohl per Gesetz Anspruch bestünde. Wie hoch Prämienverbilligungen sind und wer Anrecht darauf hat, ist von Kanton zu Kanton unterschiedlich. Zudem ist die Einkommensgrenze je nach Haushaltstyp unterschiedlich. Ein aktueller Bericht des Bundesamts für Gesundheit zeigt genau auf, wer wo bis zu welcher Einkommensgrenze auf Prämienverbilligung zählen kann. Familien beispielsweise profitieren demzufolge nur in Graubünden, Nidwalden und dem Tessin «bis in den Mittelstand hinein» von Prämienverbilligungen, wie das laut dem jetzt gefällten Bundesgerichtsurteil eigentlich sein muss. In Appenzell Innerrhoden zum Beispiel liegt die Grenze im Fall einer vierköpfigen Familie bei einem Bruttoeinkommen von knapp 71'000 Franken. Von Mittelstand spricht man in dieser Kategorie aber erst ab rund 100'000 Franken Einkommen.

Wie finde ich eigentlich heraus, ob ich Anspruch auf Prämienverbilligung habe?

Leider gibt es keine Website, die für alle Kantone die Voraussetzungen auflistet. Aber mit einer einfachen Google-Suche wird man rasch fündig: Geben Sie einfach «Prämienverbilligung» (oder «IPV», was für individuelle Prämienverbilligung steht), «Anspruch» und Ihren Kanton ins Suchfeld ein. 

Die Krankenkassenprämien sind immer wieder ein Thema. Was läuft sonst noch auf politischer Ebene?

Eine Menge! Im Parlament sind diverse Vorstösse zum Thema hängig. So hat sich zum Beispiel erst Mitte Monat nach der nationalrätlichen auch die ständerätliche Kommission dafür ausgesprochen, die Franchisen um 50 Franken zu erhöhen. Die Mindestfranchise soll so neu 350 und nicht mehr 300 Franken betragen. Dafür sollen – so fordert es ein anderer Vorstoss – die Steuerabzüge für Krankenkassenprämien massiv erhöht werden. Die SP hat zudem eine Initiative in der Pipeline, die höhere Prämienverbilligungen fordert. Die Ausgaben für die Krankenkassenprämien sollen nicht mehr als zehn Prozent des Einkommens ausmachen dürfen, so die Forderung. SP-Fraktionschef Roger Nordmann gibt sich gegenüber der «SonntagsZeitung» überzeugt, dass das Bundesgerichtsurteil der Initiative nun Auftrieb geben wird.

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