Die Landwirtschaft steht bei der Abstimmung vom 23. September gleich mit zwei Volksinitiativen im Fokus. Der Bauernverband hat zwar zu beiden Begehren Stimmfreigabe beschlossen. Bauern-Chef Markus Ritter (51) äussert sich im BLICK-Interview trotzdem mit viel Herzblut zur Thematik. In seinem 400-jährigen Bauernhaus in den Hügeln von Altstätten SG empfängt er die Journalisten zum Gespräch. Bei einem Glas frischen Bio-Apfelsafts vom eigenen Hof erklärt er, wieso er sich persönlich besonders für die Fair-Food-Initiative engagiert.
BLICK: Herr Ritter, was kam bei Ihnen zuletzt daheim auf den Mittagstisch?
Markus Ritter: Ein Steak mit Reis und Salat. Das war sehr fein.
Alles fair und nachhaltig?
Fleisch und Salat auf jeden Fall. Das kam von unserem Biohof. Was den Reis betrifft, müsste ich meine Frau fragen (lacht).
Bei der Abstimmung vom 23. September steht die faire Ernährung im Fokus. Sind die beiden Initiativen nach Ihrem Geschmack?
Ich habe grosse Sympathien für die Kernanliegen wie Tierwohl, Umweltschutz sowie auch Arbeits- und Menschenrechte. Deshalb werde ich persönlich der Fair-Food-Initiative zustimmen. Die Ernährungssouveränitäts-Initiative hingegen geht sehr weit.
Zu weit?
Sie bedeutet einen neuen Weg in der Agrarpolitik. Da muss die Bevölkerung entscheiden, ob sie den einschlagen will – nicht nur die Bauern.
Sie können trotzdem sagen, wie Sie abstimmen.
Als Bundesrat Johann Schneider-Ammann gesagt hat, dass er beide Initiativen rasch gebodigt haben will, damit man neue Freihandelsabkommen abschliessen kann, da habe ich mir gedacht, jetzt müsste ich eigentlich Ja stimmen. Aber die Umsetzung würde anspruchsvoll.
Das Herz sagt Ja, der Kopf Nein?
So ist es. Wobei das Herz im Moment überwiegt.
Der Bauernverband hat Stimmfreigabe zu beiden Initiativen beschlossen. Damit drücken sich die Bauern um die Verantwortung in ihrem Kernthema.
Grundsätzlich sind die Sympathien für die Kernanliegen gross, sonst hätten wir die Nein-Parole beschlossen. Aber wir haben letztes Jahr einen neuen Artikel zur Ernährungssicherheit eingeführt, der auch den nachhaltigen Handel beinhaltet. Und unsere Unterverbände sind bei den Initiativen gespalten, deshalb ist die Stimmfreigabe sinnvoll.
Der St. Galler Markus Ritter (51) ist nicht nur Bauernchef, er ist die Verkörperung der Bauernschläue. Ein gewiefter Lobbyist für seine Landwirte, der sich auch mit FDP-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (66) anlegt. Seit 2011 politisiert er für die CVP im Nationalrat, nur ein Jahr später wurde er an die Spitze des Schweizerischen Bauernverbands gewählt. Mit seiner Frau Heidi bewirtschaftet er in Altstätten SG einen Biohof von 28 Hektaren. Der grösste Teil sind Wiesen und Weiden für seine 26 Milchkühe, 20 Kälber und drei Mutterschafe. Ritter baut auch Mais und Weizen an, bewirtschaftet 225 Hochstammobstbäume und pflegt zehn Bienenvölker. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
Der St. Galler Markus Ritter (51) ist nicht nur Bauernchef, er ist die Verkörperung der Bauernschläue. Ein gewiefter Lobbyist für seine Landwirte, der sich auch mit FDP-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann (66) anlegt. Seit 2011 politisiert er für die CVP im Nationalrat, nur ein Jahr später wurde er an die Spitze des Schweizerischen Bauernverbands gewählt. Mit seiner Frau Heidi bewirtschaftet er in Altstätten SG einen Biohof von 28 Hektaren. Der grösste Teil sind Wiesen und Weiden für seine 26 Milchkühe, 20 Kälber und drei Mutterschafe. Ritter baut auch Mais und Weizen an, bewirtschaftet 225 Hochstammobstbäume und pflegt zehn Bienenvölker. Er ist verheiratet und Vater von drei erwachsenen Kindern.
In den bisherigen Umfragen haben die Befürworter bei beiden Initiativen die Nase vorn. Wie erklären Sie sich das?
Es bestätigt einen Trend, den wir als Bauern stark spüren. Artgerechte Tierhaltung ist der Bevölkerung enorm wichtig, was sich etwa im Fall Hefenhofen gezeigt hat. Ebenso legt sie Wert auf Umweltschutz, wie die Palmöl-Debatte belegt. Über solche Themen wird auf Social Media intensiv diskutiert. Dieser Trend wird sich auch auf die Abstimmung auswirken.
Inwiefern?
Für mich stellt sich nur die Frage, ob eine oder gleich beide Initiativen angenommen werden. Ich bin überzeugt, dass die Fair-Food-Initiative angenommen wird. Für die zweite Initiative könnte sie zur Lokomotive werden. Dass der Bundesrat die Initiativen gleichzeitig an die Urne bringt, war eine Schnapsidee. Damit ist er Economiesuisse entgegengekommen, die die beiden Initiativen mit einer Kampagne bodigen will.
Sie räumen der Fair-Food-Initiative gute Chancen ein. Was würde sich für die Bauern damit ändern?
Für die Schweizer Bauern nicht viel, da wir die geforderten Standard bereits erfüllen. Die Initiative fokussiert auf die Importe. Damit stärkt sie eine nachhaltige Landwirtschaft in anderen Ländern. Es braucht nur wenig, damit der Kleinbauer in Afrika anständig leben kann. Bei uns macht das ein paar Rappen auf ein Produkt aus, im Herkunftsland ist die Wirkung aber riesig.
Wenn alle importierten Lebensmittel den Schweizer Standard erfüllen, verlieren die Schweizer Bauern doch ein Verkaufsargument. Die Initiative wird zum Bumerang!
Nein, es gibt noch immer genügend Argumente für einheimische Produkte. Erstens die Regionalität und Saisonalität, die Frische der Produkte. Zweitens die Swissness-Gesetzgebung, wodurch viele Verarbeiter weiterhin auf Schweizer Rohstoffe angewiesen sind. Drittens gehen viele weitere Labels deutlich über die Minimalstandards hinaus. Ich mache mir da keine Sorgen.
Mit der Initiative werden Lebensmittelkosten für Konsumenten aber bis zu 50 Prozent teurer, warnt Economiesuisse.
Das ist ein Lügenmärchen! Die Rechnung ist ganz einfach: Konsumenten und Gastronomie kaufen jährlich Lebensmittel für 63 Milliarden Franken. Die Importe machen dabei sechs Milliarden aus. Nur dieser Teil ist von der Initiative betroffen. Geht man bei diesen vom Economiesuisse-Horroszenario mit einer Preiserhöhung um 50 Prozent aus, geht es um maximal drei Milliarden Franken. Das wären nicht einmal fünf Prozent der Gesamtkosten. Und dieses Extrem-Bio-Szenario ist absolut realitätsfern.
Aber die Preise werden steigen!
Im schlimmsten Fall um drei bis fünf Prozent. Aber nur, wenn die Händler weiterhin an ihren hohen Margen bei den importierten Lebensmitteln festhalten. Heute kann der Handel auf dem Weltmarkt günstige Lebensmittel zusammenramschen und er verkauft diese teuer zu Schweizer Preisen. Mit diesem Trick lässt sich viel Geld verdienen. Bei den Margen gibt es hier Spielraum. So lässt sich Fair Food praktisch ohne Preissteigerung umsetzen.
Was Ihnen als CVP-Vertreter aber nicht passen kann: Die Initiative gefährdet internationale Abkommen.
Nein, das das stimmt nicht. Die WTO-Regeln lassen sich nicht aushebeln. Wir können aber bei allen künftigen bilateralen Freihandelsabkommen entsprechende Standards aushandeln und bisherige Abkommen nachverhandeln. Die Umsetzung muss Schritt für Schritt erfolgen.
Ganz anders wäre es mit der Ernährungssouveränitäts-Initiative. Die Agrarpolitik würde auf den Kopf gestellt. Ist das verkraftbar?
Ich habe die Vorlage eingehend studiert – eigentlich kann man nicht dagegen sein aus bäuerlicher Optik. Jedenfalls wären die ewigen Streitereien mit dem Bundesrat vorbei! Die Initiative beinhaltet fadengerade Bestimmungen, wie etwa das Gentech-Verbot. Und die Abschaffung der Zölle wäre ebenfalls vom Tisch. Schneider-Ammann und die Wirtschaft fürchten diese Initiative deshalb noch mehr als Fair Food.
Die Landwirtschaft rückt mit weiteren Initiativen zu den Themen Hornkuh, Pestizide, Massentierhaltung oder Quälfleischimporte in den Fokus. Stört Sie das?
Nein, es ist doch spannend, dass sich die Leute so intensiv mit uns befassen. Natürlich sind viele Themen nicht einfach für uns. Aber wenn wir die Bedenken der Bevölkerung als Chance zur Optimierung der Landwirtschaft sehen, gehören wir zu den Gewinnern. Wir müssen die Initiativen nutzen, um zu erklären, was wir machen, wie wir es machen und warum wir es machen. Dann werden wir verstanden. Es ist gut, wenn wir uns wegen der Initiativen hinterfragen. Mittlerweile stören sich eher die Kritiker der Landwirtschaft daran.
Wer?
Eine SP-Politikerin hat mir gesagt: Jetzt reiche es langsam mit den Agrar-Initiativen. Aus jedem Abstimmungskampf mache der Bauernverband eine staatlich finanzierte Werbekampagne. Vielleicht hat sie recht. Das genau ist der Unterschied zu Economiesuisse.
Dass Sie Werbung in eigener Sache machen?
Das machen die auch. Aber im Gegensatz zu uns sieht Economiesuisse nur Gefahren: Man fürchtet sich vor der Selbstbestimmungs-Initiative und zittert vor der Konzernverantwortungs-Initiative. Economiesuisse sieht sich immer schon am Verlieren. Und weil man nicht als Verlierer dastehen will, versteckt sich der Wirtschaftsdachverband. Man hält im Schützengraben grossen Rat, was alles für Bedrohungen die Schweiz erschüttern, statt sich diesen zu stellen. So kann man keinen Abstimmungskampf gewinnen.
Manchmal gewinnt Economiesuisse.
Ja, aber mit mehr Mut würden sie öfter gewinnen. Auch wir machen es mal gut und mal schlecht. Wichtig ist die Freude an der offenen Diskussion mit der Bevölkerung. Meine Natel-Nummer steht im Internet. Es ist wichtig, für die Leute da zu sein.
Und was machen Sie konkret besser?
Wir reagieren nicht erst sechs Wochen vor dem Abstimmungstermin. Nehmen Sie die Pestizid-Initiativen. Im Mai haben wir bereits die Vorkampagne gestartet. Wir informieren eineinhalb Jahre lang die Bevölkerung und die Bauern über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und wo wir hinwollen. Wir zeigen, was wir tun, um besser zu werden, und wie wir die Herausforderungen anpacken.
Sie haben also einfach den längeren Atem.
Eben nicht nur. Ebenso wichtig ist: Wir haben reagiert und wollen den Pestizidverbrauch reduzieren. Und wenn wir im Januar 2020 in der Arena zur Pestizid-Initiative stehen, brauchen wir nicht Versprechungen abzugeben, was wir denn dereinst alles Tolles machen wollen, sondern wir können aufzeigen, wie und um wie viel wir den Pestizideinsatz bereits gesenkt haben. So kann die Bevölkerung überzeugt werden und nicht mit der Vogel-Strauss-Methode. Aus unserer Sicht genügt eine reine Angstkampagne mit den üblichen Floskeln einfach nicht mehr. Die Leute wollen Fakten und Resultate.
Sie haben sich ja mehrfach mit Schneider-Ammann angelegt. Bald bringt er seine neue Agrarpolitik in die Vernehmlassung. Was halten Sie davon?
Offiziell ist noch nicht viel bekannt. Die Bauern brauchen drei Dinge: Wir wollen endlich einmal Stabilität. Man kann nicht alle vier Jahre alles auf den Grind stellen. Und man muss endlich auch Wertschöpfung in der Landwirtschaft erzielen können. Zudem wollen wir keinen neuen Verteilkampf um Direktzahlungen, sondern uns auf die Absatzmärkte und die Bedürfnisse der Konsumenten konzentrieren können.
Also ein Ja zur Ernährungssouveränität, dann haben Sie Ruhe?
Ja, das wäre so. Das wäre eine Rote Karte für den Bundesrat. Dann müssten sie gründlich über die Bücher.
Am 23. September entscheidet die Schweiz gleich über zwei Agrar-Vorlagen: die Fair-Food-Initiative der Grünen und die Initiative für Ernährungssouveränität von der Bauerngewerkschaft Uniterre.
Mit Fair Food wollen die Grünen Lebensmittel aus einer naturnahen, umwelt- und tierfreundlichen Landwirtschaft mit fairen Arbeitsbedingungen fördern. Ob inländische oder importierte Produkte soll dabei keine Rolle spielen.
Der Bund kann dafür Vorschriften zur Zulassung und Deklaration von Lebensmitteln erlassen. Über Zollkontingente und Einfuhrzölle kann er die Lebensmittelimporte steuern. Weiter soll der Bund regional und saisonal produzierte Lebensmittel fördern und Massnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung ergreifen.
Die von der Bauerngewerkschaft Uniterre lancierte Volksinitiative für Ernährungssouveränität ist radikaler als die Fair-Food-Initiative. So soll die Versorgung mit überwiegend einheimischen Lebens- und Futtermitteln erfolgen. Zudem soll Gentechnik unbefristet verboten werden. Weitere Forderungen sind etwa die Erhöhung der Anzahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft und das Verbot für Subventionen zugunsten von Lebensmittelexporten.
Am 23. September entscheidet die Schweiz gleich über zwei Agrar-Vorlagen: die Fair-Food-Initiative der Grünen und die Initiative für Ernährungssouveränität von der Bauerngewerkschaft Uniterre.
Mit Fair Food wollen die Grünen Lebensmittel aus einer naturnahen, umwelt- und tierfreundlichen Landwirtschaft mit fairen Arbeitsbedingungen fördern. Ob inländische oder importierte Produkte soll dabei keine Rolle spielen.
Der Bund kann dafür Vorschriften zur Zulassung und Deklaration von Lebensmitteln erlassen. Über Zollkontingente und Einfuhrzölle kann er die Lebensmittelimporte steuern. Weiter soll der Bund regional und saisonal produzierte Lebensmittel fördern und Massnahmen gegen die Lebensmittelverschwendung ergreifen.
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Die Schweiz stimmt wieder ab: Erklärungen zu allen Initiativen, aktuelle News und prominente Stimmen zum Thema finden Sie hier.
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