Mit seiner Kurzmitgliedschaft bei der Waffenlobby-Gruppe Pro Tell hat sich der neue FDP-Bundesrat Ignazio Cassis (56) schon den Titel des «grössten bundesrätlichen Opportunisten» geholt. Er war Pro Tell wenige Tage vor der Wahl beigetreten und nun im Oktober, sobald Kritik an diesem Beitritt laut wurde, gleich wieder ausgetreten.
Wenig mehr Gespür für die neue Rolle als Magistraten zeigt er nun auch beim Abgang aus dem Krankenkassenverband Curafutura, den er bisher für 180 000 Franken im Jahr präsidierte. So übergab Cassis nach der Wahl am 20. September nicht etwa postwendend alle Dossiers seiner Vizepräsidentin. Nein, er leitete am 4. Oktober die Sitzung des Vorstandsausschusses noch selber, wie Curafutura-Sprecher Rob Hartmans bestätigt. Die Sitzung habe alle aktuellen Themen des Verbandes umfasst, sagt Hartmans. Lobbyarbeit ist bei Cassis offensichtlich nicht bloss berufliche Tätigkeit und politisches Bedürfnis, sondern geradezu ein Hobby.
Politiker sind nachsichtig mit Cassis
Cassis lässt BLICK über die Bundeskanzlei ausrichten, er habe nach seiner Wahl erklärt, dass er bis zum Amtsantritt alle bisherigen Ämter abgeben werde. Das habe daher Zeit bis am 31. Oktober. Die Verbandssitzung vom 4. Oktober gehöre zu diesem Prozess. «Sie war Bestandteil der Stabsübergabe bei Curafutura.» Insofern sei die Teilnahme von Cassis an dieser Sitzung unproblematisch, so ein Bundeskanzlei-Sprecher.
Politiker sind tatsächlich nachsichtig mit dem bisherigen Krankenkassen-Lobbyisten und Neo-Bundesrat. SVP-Nationalrat Peter Keller (46) meint: «Er hat wohl sein Verbandspräsidium so zu einem Abschluss gebracht.» Selbst SP-Nationalrat Cédric Wermuth (31) zeigt Verständnis, dass man bis zur Wahl nicht vorsorglich alle Termine absagen könne. Und der grüne Fraktionschef Balthasar Glättli (45) sagt, leicht warnend: «Ich warte nun darauf, dass Cassis als Aussenminister beginnt, und will ihn dann am Start in seinem Amt messen.»