Manchmal sind die Tage zu kurz für all das, was Anna Stünzi gern in ihr Leben packen würde: ihr Doktorat in Klimaökonomie, die Arbeit in ihrer Solarfirma, die täglichen Tanzstunden – und seit gestern das Präsidium des aussenpolitischen Think-Tanks Foraus (Forum Aussenpolitik).
Die umtriebige 28-Jährige übernimmt die Position von Foraus-Gründer Nicola Forster (34). Dieser übergibt zum Zehn-Jahr-Jubiläum die Verantwortung «seiner» Denkfabrik – die er einst als Student gegründet hat, um die Schweizer Aussenpolitik mit neuen Ideen aufzumischen – der nächsten Generation.
Trotz ihrer jungen Jahre ist Stünzi ein alter Foraus-Hase. Bereits seit 2012 ist sie für den Think-Tank tätig; zuletzt leitete sie das Projekt Sustainable FinTech. Dieses befasste sich mit der Frage, wie die Schweizer Finanzindustrie das Erreichen der Klimaziele von Paris unterstützen kann – und zwar schon einige Jahre bevor das Thema aufgrund der Klimastreiks plötzlich in aller Munde war.
Ihrer Zeit voraus war Stünzi auch mit ihrer Masterarbeit, in der sie berechnete, wie viele CO2-Emissionen sich einsparen liessen, wenn die Schweizer für nahe Ferienziele statt des Flugzeugs den Zug besteigen würden. Dass ihre Themen nun auf einmal die breite Öffentlichkeit interessieren, freut die Klimaökonomin. Und empört sie auch ein wenig: «Wie kann es sein, dass es so lange gedauert hat?», fragt sie rhetorisch. Selber ist die ETH-Doktorandin nahezu konsequente Nichtfliegerin: Wenn sie an eine Konferenz in Sankt Petersburg reist, kommt für sie nur der Zug infrage.
Die internationale Klimakonferenz, die ursprünglich in Chile stattfinden sollte, hatte sie bereits schweren Herzens aus ihrem Kalender gestrichen. Deshalb freut es sie, dass diese nun in Madrid stattfindet.
Erkenntnis auf Kuba
Geprägt wurde Stünzi nicht nur durch das politische Engagement ihres Vaters, der für die Grünen im Zürcher Kantonsrat sass. Bei einem Aufenthalt im kommunistisch regierten Kuba erlebte sie im Alter von 18 Jahren, wie wertvoll das Recht auf freie Meinungsäusserung ist. Mehr oder weniger zufällig fand sie sich in Havanna als Deutschlehrerin wieder. Und stellte fest: «Die kubanischen Studenten äusserten sich auf Deutsch viel kritischer, als dies auf Spanisch möglich gewesen wäre.»
Zurück in der Schweiz, engagierte sie sich bei den Jungen Grünen Zürich und stellte dort mit den – damals lediglich acht – Zürcher Fair-Trade-Shops eine «faire Modeschau» auf die Beine, bevor es sie erneut ins Ausland zog. Später erlangte sie an der Uni Zürich einen Master in Volkswirtschaft.
Als Präsidentin will Stünzi die internationale Vernetzung von Foraus weiter verstärken. Die Schweizer Denkfabrik hat heute Ableger in Deutschland, Frankreich, Österreich oder England, die alle nach demselben Prinzip funktionieren wie das Original: Einbringen kann sich jede und jeder, der Ideen zur Aussenpolitik hat. Sei es, indem man zu einem Thema ein Paper schreibt, sich in einer der Arbeitsgruppen engagiert oder einen Anlass organisiert. Abgesehen von der Geschäftsstelle arbeiten alle Mitglieder ehrenamtlich, inklusive der Präsidentin.
Der Verein zählt heute 120 freiwillige Mitglieder und 15 Angestellte und verfügt über ein Budget von 1,4 Millionen. «Mir ist bewusst, dass ich in grosse Fussstapfen trete», sagt Stünzi. «Aber ich glaube, das kommt schon gut.»