Alt-Bundesrichter Giusep Nay zerpflückt SVP-Durchsetzungsinitiative
«Herr Vogt irrt – das Volk wird verschaukelt»

Giusep Nay tadelt den SVP-Professor Hans-Ueli Vogt wegen seiner Secondo-Aussage. Die Durchsetzungsinitiative sei nicht umsetzbar, sagt der Bündner alt Bundesrichter.
Publiziert: 05.01.2016 um 22:31 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 00:05 Uhr
«Vogt irrt»: Giusep Nay (CVP) war von 1989 bis 2006 Bundesrichter.
Foto: RDB
Interview: Christoph Lenz

Herr Nay, die Durchsetzungsinitiative verlangt die konsequente Ausweisung straffälliger Ausländer. SVP-Rechtsprofessor Hans-Ueli Vogt sagt nun, Secondos seien davon nicht betroffen. Was gilt?
Giusep Nay:
Herr Vogt irrt, jedenfalls was den Spielraum beim Begriff Ausländer angeht. Der Wortlaut der Initiative ist klipp und klar. Sie betrifft die Ausländer. Und Ausländer sind alle, die keinen Schweizer Pass haben. Auch die Secondos. Recht hat Herr Vogt aber im Ergebnis, weil Ausweisungen von Secondos in vielen Fällen unverhältnismässig wären.

Warum?
Wenn Richter die Durchsetzungsinitiative auf einzelne Ausländer anwenden, müssen sie einen Spielraum haben. Das Verhältnismässigkeitsprinzip unserer Bundesverfassung ist für sie verpflichtend. Es kann nicht durch eine einzelne Bestimmung und damit nur für Einzelfälle ausgehebelt werden.

Was heisst das für Secondos?
Dadurch, dass sie in der Schweiz geboren sind und oft kaum mehr eine Beziehung zum Heimatland haben, wäre eine Ausschaffung wohl in vielen Fällen krass unverhältnismässig. Die Gerichte müssten deshalb darauf verzichten, die Ausweisung auszusprechen.

Die SVP sagt das Gegenteil: Die Durchsetzungsinitiative sorge für eine konsequente Ausschaffung straffälliger Ausländer.
Das Volk wird damit nur verschaukelt. Gerichte können gar nicht anders. Die Grund- und Menschenrechte müssen immer vorgehen, sonst wären sie keine solchen. Das hat das Bundesgericht auch so entschieden. Wenn es um Menschenrechte geht, können ältere Verfassungsbestimmungen auch nicht durch jüngere aufgehoben werden.

SVP-Nationalrat Gregor Rutz ist da anderer Meinung. In der NZZ sagte er, jüngere, spezifischere Vorschriften gingen älteren, allgemeinen vor.
Diese Einschätzung missachtet die Urteile des Bundesgerichts. Würde sich die Logik Rutz durchsetzen, hiesse das, dass die Menschenrechte jederzeit aushebelbar wären. Das ist natürlich nicht der Fall.

Lassen sich die Menschenrechte denn nicht ändern?
Es sind Grundprinzipien. Der Gesetzgeber hat zwar einen grossen Spielraum, die Grund- und Menschenrechte zu konkretisieren. Aber er kann sie nicht in Einzelfällen ganz aufheben. Genau das will aber die Durchsetzungsinitiative.

Was folgern Sie daraus?
Das Parlament hätte die Durchsetzungsinitiative für ungültig erklären sollen, Sie verstösst gegen zwingendes Völkerrecht, wie es ursprünglich definiert wurde. Selbst wenn das Volk zustimmt, muss die Justiz ihren Auftrag erfüllen und die Grund- und Menschenrechte achten. Auch weil sie deshalb nicht vollständig angewendet werden kann, muss man die Initiative klar ablehnen, will man die Glaubwürdigkeit unseres Rechtsstaates mit der Gewaltenteilung nicht aufs Spiel setzen.

Herr Vogts Einschätzung zum Ausländerbegriff trifft also nicht zu. Darf man von einem Rechtsprofessor denn nicht erwarten, dass er die Verfassung richtig interpretiert?
Herr Vogt lehrt an der Universität Zürich Privat- und Wirtschaftsrecht. Zum Glück! Als Verfassungsrechtler wäre er kaum gewählt worden, nachdem er die nächste SVP-Initiative redigiert hat, die die Geltung der Menschenrechte in der Schweiz abschaffen will.

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