Aargau und Baselland stellen kriminelle Ausländer immer vor Gericht
Nicht überall können die Staatsanwälte frei walten

Kriminelle Ausländer, die gut integriert sind, eine geringe Strafe kassierten und schlechte Perspektiven im Ausland haben, sollen nicht ausgeschafft werden. Mit Bezug auf diese Kriterien lassen Staatsanwälte Milde walten.
Publiziert: 06.06.2018 um 23:39 Uhr
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Aktualisiert: 26.10.2023 um 08:55 Uhr
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Empfiehlt Strafbefehle auch bei kriminellen Ausländern: Fabien Gasser, Präsident der Sozialhilfe-Konferenz.
Foto: Keystone
Nico Menzato

Die Härtefallklausel soll gemäss Gesetz kriminelle Ausländer «ausnahmsweise» vor einem Landesverweis schützen. Nicht nur Gerichte, sondern auch Staatsanwälte können diese Notbremse ziehen. Via Strafbefehl. Und sie nutzen es rege, wie Zahlen des Bundesamts für Statistik (BFS) zeigen. Von den insgesamt 559 kriminellen Ausländern, welche 2017 nicht ausgeschafft wurden, verdanken das 440 Personen den Staatsanwälten.

Doch wie fällen diese ohne Gerichtsverfahren einen derart bedeutenden Entscheid? Aufschluss darüber geben die Empfehlungen der Staatsanwälte-Konferenz (SSK) unter Präsident Fabien Gasser (44) vom November 2016. Darin heisst es etwa: «Bei der Beurteilung, ob ein Härtefall vorliegt, orientiert sich die Staatsanwaltschaft an folgenden Kriterien: Integration, familiäre und finanzielle Situation, Arbeits- oder Ausbildungswille, Anwesenheitsdauer in der Schweiz, Gesundheitszustand und Wiedereingliederungsaussichten im Ursprungsland.»

Höhe der Strafe für Staatsanwälte entscheidend

Nicht nur die Situation in der Schweiz, sondern auch Perspektiven im Herkunftsland sind also für einen Entscheid ausschlaggebend. Ebenso die Höhe der Strafe – genau das, was die 2010 vom Volk angenommene Ausschaffungs-Initiative der SVP explizit nicht beinhaltete.

Die SSK schreibt in ihren Empfehlungen: Wenn der kriminelle Ausländer eine Aufenthaltsbewilligung besitzt und zu einer Freiheitsstrafe von weniger als sechs Monaten verurteilt wurde, dann sind die privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz gegenüber den öffentlichen Interessen an der Landesverweisung «höher zu gewichten». Im Klartext: Wer nicht länger in den Knast wandert, soll die Schweiz in der Regel nicht verlassen müssen.

«Entscheid nicht im stillen Kämmerlein»

Besondere Rücksicht empfiehlt die SSK zudem bei in der Schweiz geborenen Ausländern, welche den Grossteil ihres Lebens hier verbracht haben – und das auch bei schwereren Straftaten. «In solchen Fällen ist eine besonders detaillierte Interessenabwägung durchzuführen.» 

Die Empfehlungen sind nicht unumstritten. So verbieten etwa die Kantone Baselland oder Aargau bei kriminellen Ausländern Ausweisungsentscheide per Strafbefehl aus rechtsstaatlichen Gründen und erheben in solchen Fällen immer eine Anklage. «Einen solch wichtigen Entscheid soll nicht ein Staatsanwalt im stillen Kämmerlein treffen», sagt der Aargauer Oberstaatsanwalt Daniel von Däniken (58).

Die Aargauer Staatsanwaltschaft vertritt die Auffassung, dass ein Entscheid von dieser Tragweite von einer richterlichen Behörde gefällt werden sollte.

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