2016 bezogen über 270'000 Personen Sozialhilfe
Das müssen Sie über die Sozialhilfe wissen

2016 bezogen rund 270'000 Personen in der Schweiz wirtschaftliche Sozialhilfe. Das entspricht einer Sozialhilfequote von 3,3 Prozent. Der Sozialhilfe-Dschungel ist aber verworren, wie der Fall Aarburg zeigt.
Publiziert: 24.02.2018 um 13:46 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:35 Uhr
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SVP-Politikerin Martina Bircher (33) macht als Sozialvorsteherin von Aarburg auf hohe Sozialkosten aufmerksam.
Foto: Ralph Donghi
Ruedi Studer

Die Schweizer Sozialhilfe-Dschungel ist verworren. Nicht ohne Grund: Die Ausgestaltung der Sozialhilfe ist Sache der Kantone. Da gelten allerlei unterschiedliche Bestimmungen und Finanzflüsse (BLICK berichtete). BLICK erklärt, was Sie zum Thema wissen müssen.

Wer hat Anspruch auf Sozialhilfe?

Grundsätzlich hat jeder Einwohner Anspruch auf Sozialhilfe, wenn er nichts oder zu wenig verdient und damit unter das Existenzminimum fällt. Sozialhilfe ist das letzte Auffangnetz unseres Systems. Sie wird subsidiär ausgerichtet. Das heisst: Geld gibt es erst, wenn noch vorhandenes Vermögen bis auf einen kleinen Rest aufgebraucht ist.

Wie hoch ist die Sozialhilfe? 

Für den Grundbedarf (Essen, Hygiene, Kleider usw.) empfiehlt die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) aktuell einen Pauschalbetrag von 986 Franken pro Monat für eine Einzelperson oder 2210 Franken für einen Vier-Personen-Haushalt. Zusätzlich bezahlt werden Wohnungskosten, medizinische Grundversorgung und allenfalls weitere situationsbedingte Leistungen (zum Beispiel Hortkosten).

Was fällt unter die Sozialhilfe?

Allein schon, was unter den Begriff Sozialhilfe fällt, lässt einen grossen Spielraum offen. «Sozialhilfe sichert die Existenz bedürftiger Personen, fördert ihre wirtschaftliche und persönliche Selbständigkeit und gewährleistet die soziale und berufliche Integration», so die Skos-Zielsetzung. Je nach Kanton gibt es grosse Unterschiede.

Auch der Bundesrat differenziert daher in seinem Bericht «Kostenentwicklung in der Sozialhilfe». Die Sozialhilfe im engeren Sinn umfasst demnach die wirtschaftliche Sozialhilfe in Form einer personenbezogenen Geldleistung – also ganz klassisch die direkte materielle Hilfe.

Zur Sozialhilfe im weiteren Sinn zählt der Bericht aber auch etwa Alimentenbevorschussung, Familienbeihilfen oder Ergänzungsleistungen. Je nach Kanton fallen auch weitere Leistungen für Beschäftigungsprogramme oder sozialtherapeutische Massnahmen unter das Sozialhilfe-Budget. Je nachdem werden auch Personal- oder Infrastrukturkosten im Budget eingerechnet. 

Wenn es um «Sozialhilfe» geht, sprechen also nicht immer alle vom Gleichen. Das zeigt auch der Fall Aarburg: Im Budget 2018 machen die Nettoausgaben für Sozialhilfe und Asylwesen gut ein Drittel der Steuereinnahmen aus. Betrachtet man hingegen nur die direkte Sozialhilfe, ist es nur noch gut ein Zehntel. 

Der Aarburger Sozialvorsteherin Martina Bircher (33, SVP) sind die hohen Sozialkosten ein Dorn im Auge.
Foto: RALPH DONGHI

Wie hoch sind die Sozialhilfekosten?

Ein direkter Vergleich der Sozialhilfekosten in den Kantonen ist aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung schwierig. Der Bundesrat nennt in seinem Bericht trotzdem Zahlen: Die Nettoausgaben für die wirtschaftliche Sozialhilfe im engeren Sinn sind zwischen 2005 und 2015 von 1,7 auf 2,6 Milliarden Franken gestiegen.

Unter dem Strich macht die Sozialhilfe nur einen kleinen Teil des sozialen Schutzes aus. Die Gesamtausgaben für die soziale Absicherung (Altersvorsorge, Gesundheitsversorgung, Arbeitslosigkeit usw.) beliefen sich 2014 auf 157 Milliarden Franken. Die klassische Sozialhilfe machte nur 1,6 Prozent aus.

Im Jahr 2016 haben 273'273 Personen wirtschaftliche Sozialhilfe bezogen.
Foto: Blick Grafik

Wie viele Personen beziehen Sozialhilfe?

Von 2005 bis 2016 ist die Anzahl klassischer Sozialhilfe-Empfänger von 237'495 auf 273'273 Personen gestiegen. Das entspricht einer Zunahme von 15 Prozent. Gemessen an der Gesamtbevölkerung ist der Anteil an Sozialhilfe-Bezügern aber in etwa stabil geblieben. Die Sozialhilfequote lag 2016 bei 3,3 Prozent.

Wer bezieht Sozialhilfe?

Das Risiko, auf Sozialhilfe angewiesen zu sein, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Besonders häufig sind Ausländer betroffen, hier beträgt die Sozialhilfequote über 6 Prozent. Einem besonderen Armutsrisiko sind aber auch Kinder und junge Erwachsene oder Geschiedene ausgesetzt. Gerade alleinerziehende Mütter oder Väter weisen ein relativ hohes Sozialhilferisiko auf.

42 Prozent der Sozialhilfe-Bezüger sind Schweizer.
Foto: Blick Grafik

Was ist mit Flüchtlingen?

Ein Spezialfall mit nochmals anderen Regelungen ist das Asylwesen, wo der Bund in den ersten Jahren die Sozialhilfekosten finanziert. Der Bund zahlt Sozialhilfe für Asylsuchende, ebenso für anerkannte Flüchtlinge während fünf Jahren und vorläufig Aufgenommene während sieben Jahren. Danach wechseln sie in die klassische Sozialhilfe der Kantone. 2016 bezogen 85,8 Prozent der Flüchtlinge in der Schweiz Sozialhilfe (25'544 Personen). Im Asylbereich waren es 55'504 Personen, was einer Quote von 88,4 Prozent entspricht.

«Die Sozialhilfe ist viel zu lukrativ»

BLICK: Frau Bircher, wie stark belastet die Sozialhilfe die Gemeindekasse von Aarburg AG?
Martina Bircher:
Massiv! Ein Drittel der Steuereinnahmen geht direkt in die Sozialhilfe.

Welche Investitionen bleiben deshalb liegen?
Investitionen in die Schule und Strassen, die man viel mehr überdenken muss. Weil einfach die finanziellen Mittel fehlen.

Was könnten Sie tun, wenn Familien über Jahrzehnte hinweg Sozialhilfe empfangen?
In solchen Fällen ist das Amt für Migration gefordert. Die Aufenthaltsbewilligungen zu überprüfen, zu entziehen, keine Verlängerungen mehr zu geben. Aber als Gemeinde selber ist man machtlos.

Sinkt die Akzeptanz von Flüchtlingen in Aarburg wegen der hohen Sozialhilfekosten?
Das ist schwierig zu beurteilen. Man muss schon sehen, dass es jetzt vor allem Eritreer hat.  Gemäss Sommaruga sind dies ja wirklich alles Flüchtlinge, die an Leib und Leben bedroht sind. Aber wir machen einfach andere Erfahrungen.

Müsste man das Gesetz ändern, damit diese Leute früher oder anders arbeiten könnten?
Während dem Asylverfahren schaut man ja an, ob es sich um echte Flüchtlinge handelt oder nicht. Während dieser Zeit muss niemand arbeiten. Nachher müssen sie ja wieder heim, wenn sie keine Flüchtlinge sind. Falls sie als Flüchtlinge anerkannt werden dürfen sie arbeiten, das ist heute schon so – da hat man die gesetzlichen Grundlagen. Das Problem ist, dass die Sozialhilfe viel zu lukrativ ist. Dort muss man das Gesetz ändern.

Martina Bircher (33, SVP), Sozialvorsteherin von Aarburg AG

BLICK: Frau Bircher, wie stark belastet die Sozialhilfe die Gemeindekasse von Aarburg AG?
Martina Bircher:
Massiv! Ein Drittel der Steuereinnahmen geht direkt in die Sozialhilfe.

Welche Investitionen bleiben deshalb liegen?
Investitionen in die Schule und Strassen, die man viel mehr überdenken muss. Weil einfach die finanziellen Mittel fehlen.

Was könnten Sie tun, wenn Familien über Jahrzehnte hinweg Sozialhilfe empfangen?
In solchen Fällen ist das Amt für Migration gefordert. Die Aufenthaltsbewilligungen zu überprüfen, zu entziehen, keine Verlängerungen mehr zu geben. Aber als Gemeinde selber ist man machtlos.

Sinkt die Akzeptanz von Flüchtlingen in Aarburg wegen der hohen Sozialhilfekosten?
Das ist schwierig zu beurteilen. Man muss schon sehen, dass es jetzt vor allem Eritreer hat.  Gemäss Sommaruga sind dies ja wirklich alles Flüchtlinge, die an Leib und Leben bedroht sind. Aber wir machen einfach andere Erfahrungen.

Müsste man das Gesetz ändern, damit diese Leute früher oder anders arbeiten könnten?
Während dem Asylverfahren schaut man ja an, ob es sich um echte Flüchtlinge handelt oder nicht. Während dieser Zeit muss niemand arbeiten. Nachher müssen sie ja wieder heim, wenn sie keine Flüchtlinge sind. Falls sie als Flüchtlinge anerkannt werden dürfen sie arbeiten, das ist heute schon so – da hat man die gesetzlichen Grundlagen. Das Problem ist, dass die Sozialhilfe viel zu lukrativ ist. Dort muss man das Gesetz ändern.

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