Man müsse wissen, wann es Zeit sei, den Stab weiterzugeben, sagte der 49-jährige Levrat in Interviews mit den Zeitungen «Blick» und «La Liberté» vom Dienstag. Der Jurist aus Vaudens steht der SP Schweiz seit 2008 vor. Der dreifache Vater ist damit der amtsälteste Parteichef. Die Tätigkeit ermüde aber sowohl auf politischer Ebene als auch persönlich, sagte Levrat.
Als Höhepunkte seiner Amtszeit nannte der abtretende SP-Präsident im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA den «progressiven Bundesrat» zwischen 2007 und 2015, zeitweise mit einer Frauen-Mehrheit, der die Schweiz aus der Atomenergie geführt und das Ende des Bankgeheimnisses eingeläutet habe. Als grösste Niederlage bezeichnete er die Annahme der Masseinwanderungsinitiative, die seiner Meinung nach hätte verhindert werden können.
Für die grossen Stimmenverluste der SP im Oktober übernahm Levrat in den Interviews teilweise die Verantwortung. Sein Abgang habe damit aber nichts zu tun. Dieser sei bereits im Frühling beschlossen worden.
Die SP hatte bei den Parlamentswahlen das schlechteste Resultat seit 1919 hinnehmen müssen. Sie verlor vier Nationalratsmandate. Mehrere Genossen forderten danach offen Levrats Rücktritt, darunter die Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr. Das Gesicht der SP Schweiz müsse in den kommenden Jahren weiblich und jung sein, schrieb sie in der «Linken Zürcher Zeitung".
Nach Levrats Rücktrittsankündigung werden diese Rufe jetzt lauter: Die Mutterpartei brauche einen «personellen und strukturellen Wandel», teilte die Juso mit. Sie forderten deshalb «eine Verjüngung an der Parteispitze und eine erhöhte Sichtbarkeit der Frauen". Nur mit einer «umfassenden linken Alternative» könnten die Menschen wieder begeistert und die SP aus der Sackgasse herausgeführt werden.
Die SP-Frauen sagten auf Anfrage, sie befänden sich im Moment im Gespräch mit mehreren Frauen. Wegen der «immensen Belastung» durch das Amt seien sie für verschiedene Konstellationen - auch ein Co-Präsidium - offen, sagte die Co-Präsidentin der SP-Frauen, Natascha Wey. Jetzt sei aber nicht der Zeitpunkt, um Namen zu nennen.
Als mögliche Kandidatinnen für Levrats Nachfolge gehandelt werden etwa die Nationalrätinnen Mattea Meyer (ZH), Flavia Wasserfallen (BE), Samira Marti (BL), Min Li Marti (ZH) oder Barbara Gysi (SG), bei den Männern sind es Beat Jans (BS) oder Cédric Wermuth (AG). Levrat selber wollte sich in den Interviews nicht zu möglichen Namen äussern.
Bereits gab es auch erste Absagen: Die Berner Nationalrätin Nadine Masshardt schrieb sie auf den Kurznachrichtendienst Twitter, sie stehe fürs SP-Parteipräsidium nicht zur Verfügung. Auch der neugewählte Bündner Nationalrat Jon Pult winkt ab: Jetzt brauche es eine Frau oder noch besser, eine Auswahl von Frauen an der Spitze der Partei, schrieb Pult ebenfalls auf Twitter.
Der Druck auf die Partei, eine Frau an die Spitze zu wählen, sei sehr gross, sagte der Politologe Michael Hermann. Einem Zweierpräsidium gibt er hingegen wenig Chancen. Zwar hätte diese Lösung den Vorteil, dass eventuell eine Frau und ein Mann an die Spitze gewählt würden oder dass die Partei ihre verschiedenen Flügel integrieren könnte, sagte er der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.
Doch «eine grosse, starke Partei braucht eine Person, die vorne hinstehen kann". Deshalb werde sich wohl am Schluss eine starke, dominante Stimme durchsetzen, erwartet Hermann.
Für den Tessiner Politologen Nenad Stojanovic dagegen wäre ein Co-Präsidium durchaus denkbar. Die Frage der Herkunft der Kandidaten jedoch sei auch nach Jahren der doppelten Westschweizer Vertretung an der Spitze der Partei und der Fraktion nicht unbedingt massgeblich, sagte das SP-Mitglied. Doch nach zwölf Jahren Levrat fände er es schade, wenn keine Frau an die Spitze der Partei gewählt würde.
Die SP-Delegierten haben an der Versammlung vom 30. November ein erstes Mal Gelegenheit, über die künftige Parteiführung zu sprechen. Ausgeschrieben wird die Stelle am 11. Dezember, die Frist für die Bewerbungen läuft am 19. Februar aus. Der Entscheid fällt dann am Parteitag am 4. und 5. April 2020.
(SDA)