Herzchirurg-Koryphäe Thierry Carrel (62) hat in einem Interview mit den Tamedia-Titeln ein Umdenken im Schweizer Medizinsystem gefordert.
Gegen den Abgang vieler junger Medizinerinnen und Mediziner soll eine Änderung in der Beschäftigungspraxis helfen. Statt Zeit mit Patienten zu verbringen «sitzen sie mehr als die Hälfte der Zeit im Büro, müssen sich mit Informatikproblemen herumschlagen, für eine einfache Patientenverlegung dreimal das Telefon in die Hand nehmen, unzählige Formulare für Kostengutsprachen bei den Krankenkassen ausfüllen», sagte der Ex-Leiter der Herzchirurgie am Inselspital Bern.
Dazu solle die Numerus-Clausus-Hürde für das Medizinstudium fallen. «Bevor sich die Schweiz komplett abhängig macht von ausländischen Ärztinnen und Ärzten, sollte man dringend schauen, ob nicht unsere Kriterien für die Aufnahme eines Medizinstudiums zu streng oder schlichtweg falsch sind», so Carrel.
«Es gibt Leute, die unser System ausreizen»
Zudem hat die Schweiz ihm zufolge im Gesundheitswesen einen zu hohen Konsum. Bis zur Einführung des elektronischen Patientendossiers könnten etwa Karten ausgestellt werden, die die Patientengeschichte aufzeigten. «Es braucht einen Überblick. Denn es gibt Leute, die unser System ausreizen.»
Im Interview kritisierte er auch den fehlenden politischen Willen, neue Herzkliniken zu verhindern und Kooperationen anzustreben. «Von den 17 Herzkliniken machen 12 sicher weniger als 500 Herzoperationen pro Jahr. Also nur fünf haben genug Patientinnen und Patienten.» Für eine gute Qualität müssten etwa 500 Eingriffe jährlich gemacht werden.
Dazu bekundete er Mühe mit «horrenden Preisen für gewisse Medizinprodukte und mit unterschiedlichen Tarifen für den gleichen Eingriff», so der Herzchirurg. «Es gibt Kassen, die bezahlen für eine bestimmte Herzoperation rund doppelt so viel Honorar in Zürich als in Bern oder Lausanne. Es gibt gar keine Begründung dafür.» (SDA)