Notlüge aus Bern
Darum behauptete der Bund so lange, Masken seien wirkungslos

Der Bund griff offenbar zu einer Notlüge, um der Bevölkerung weiszumachen, dass Masken kaum vor einer Corona-Ansteckung schützen. Die Kehrtwende kam, als Maskenlager voll waren.
Publiziert: 02.08.2020 um 03:49 Uhr
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Aktualisiert: 03.08.2020 um 23:01 Uhr
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Lange waren sie heiss begehrte Ware in der Schweiz: die Mangelware Schutzmaske.
Foto: Keystone

In der Schweiz galt es längst an offenes Geheimnis: Der Bund riet noch lange nach Beginn der Corona-Pandemie von einer Maskenpflicht und -empfehlung ab, nicht weil die Masken nichts nützen. Sondern weil es im Land schlicht zu wenige Schutzmasken gab. Also gab der Bund die Notlüge heraus.

Die Zuständigen hatten es verschlafen, die nötigen Lagerbestände anzulegen und aufrechtzuerhalten. Als Ausflucht wurde die Nichtwirkung von Schutzmasken angegeben. Dies, während Österreich schon Ende März eine Maskenpflicht einführte. Bern war damals offenbar komplett überfordert, die nötigen Maskenmengen für die Bevölkerung bereitzustellen.

Der inzwischen abgetretene «Mister Corona» Daniel Koch (65) wiederholte, was er in den Wochen zuvor bereits in verschiedenen Varianten ausgeführt hatte: «Schutzmasken sind, wenn sie in der allgemeinen Bevölkerung getragen werden, sehr wenig wirksam.» Jetzt hat die «SonntagsZeitung» Einsicht in Sitzungsprotokolle erhalten, die das Versagen an höchster Stelle und den Kurswechsel dokumentieren.

Konflikt zwischen Ämtern und Gesundheitswesen

Demnach begannen Ämter Mitte März Masken und Desinfektionsmittel zu horten. Ein Konflikt brach aus, wie viele Masken wenigstens dem Gesundheitswesen zur Verfügung zu stellen. Koch hatte ja noch betont, Masken gehörten in den Besitz von Fachkräften und Spitalpersonal: «Wenn diesen Leuten die Schutzmasken ausgehen, dann werden sie Tote zu beklagen haben.»

Für die Bevölkerung reichten die Bestände schon gar nicht. «Masken sind knapp», rapportierte die Taskforce des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) schon Anfang März. Der Vorrat reiche für zweieinhalb Wochen. Der Bund ordnete eine Sammelaktion der begehrten Ware an.

Eine halbe Million Masken verschiedener Typen kam zusammen und wurde auf die Kantone verteilt. «Ein Tropfen auf den heissen Stein», sagte dazu Andreas Bucher vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz.

180-Grad-Kehrtwende

Der Maskenmangel legte die Kommunikationsstrategie vor. Am 23. März entschied die Taskforce, die Maskendiskussion umzulenken. Man müsse der Bevölkerung das «Gefühl geben, sie sei gut geschützt», steht im Protokoll vom 23. März.

Die 180-Grad-Kehrtwende dann erfolgte Ende April, als genügend Schutzmaterial vorhanden war. Prompt forderte eine neue BAG-Kampagne die Bevölkerung jetzt plötzlich dazu auf, dass alle eine Maske tragen sollen, die den Mindestabstand nicht einhalten können. Inzwischen wurde sogar Maskenpflicht im ÖV angeordnet.

Ein Zickzackkurs der Unglaubwürdigkeit, der sich jetzt rächt. Viele Bürger zweifeln die neue Empfehlung an. «Dass die Leute wenig Masken tragen, liegt wohl auch daran, dass man lange kommuniziert hat, dass ihr Nutzen nur gering ist», sagte der Schweizer Vizekanzler André Simonazzi (52) bei der Bundesratstagung des Corona-Krisenstab am 11. Juni. (kes)


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