«No Schnickschnack»
Zu Hause bei Chris von Rohr

Der Rocker der Nation lebt privat das Gegenteil von «Meh Dräck». Der Krokus-Mann hat sich in einer Jugendstilvilla in Solothurn seine Oase eingerichtet. Hier wohnt und arbeitet er, umgeben von viel Kunst und Musik.
Publiziert: 29.12.2010 um 11:34 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 22:33 Uhr
Von Claudia Langenegger

Chris von Rohr, der bekannteste Rocker der Nation, gehört zu einer gefährdeten Spezies.

Spätestens seitdem Ozzy Osbourne sein Daheim in ein TV-Set verwandelte, wissen wir: Hardrocker haben keinen Geschmack – sie halten überfüllte Stuben mit stoffigen Polstersesseln für gemütlich und meinen, glitzernder Kitsch sei Stil.

Bei Chris ist es anders. Die Tage und Nächte in schalldichten Studios, versifften Backstage-Räumen und düsteren Clubs haben kaum Spuren hinterlassen. Das beginnt schon draussen: Er bewohnt eine elegante Jugendstilvilla. Steinstufen führen über eine Veranda in das Entree, der Boden Parkett, die Decke hoch, warm empfängt einen eine Pyramide aus Holzstrünken und Kerzen. Dann kommt die Küche, offen, hell.

Chris trägt Jeans, ein Hemd, sein obligates Piratentuch und fragt: «Nimmst du einen Kaffee?» Er erzählt, dass er die Küche selbst gestaltet hat, im Zen-Stil, dass er grosszügige Formen liebt, klare Linien. Die Schranktüren und Schubladen sind aus naturbelassenem Holz. «Ich mag natürliches Material. Kein Pseudoglanz auf dem Holz. Möglichst roh, pur. No Schnickschnack. Wie unsere Musik.»

Gerahmte Zeichnungen seiner neunjährigen Tochter Jewel pflastern die Wände, daneben hängen Bilder, Collagen, Malereien, Seegarn, Postkarten. Fundstücke aus der Natur dekorieren Fenstersimse und Ablagen: Da liegt ein Stein, hier eine verwitterte Muschel und eine Schale einer Meeresschnecke, dort schmiegt sich ein Stück Ingwer in ein verdrehtes Stück Treibholz.

Dann erzählt Chris, wie er es geniesst, wieder mit Krokus unterwegs zu sein, nachdem er während zwanzig Jahren Energie, Zeit und Gehör anderen Bands geschenkt hatte. «In dieser sterilen, unverbindlichen Facebookzeit ist es eines der letzten grossen Abenteuer, in einer echten Rockband zu spielen. Dieses Gefühl ist unschlagbar.»

Ein Gefühl, das er auch als Geschenk empfindet. Fürs Durchhalten, für die harten Zeiten am Anfang, als er in den Sechzigern im drögen Solothurn den Sinn des Lebens suchte, weil er nicht in einem hamsterradmässigen Leben mit sicherer Anstellung und guter Pension enden wollte. Im Rock ’n’ Roll fand er die grosse Befreiung. Chris tat alles für die Band. Er brachte einer Journalistin des Musikmagazins «Pop» sogar mal einen Strauss Rosen in die Redaktion nach Zürich, damit sie drei Zeilen über Krokus schrieb. Dreissig Jahre später wird sein Spruch «Meh Dräck» zum Wort des Jahres gekürt, mit seinem flotten Mundwerk wird er zum unterhaltsamsten «MusicStar»-Juror aller Zeiten, seine Bücher «Bananenflanke» und «Hunde wollt ihr ewig rocken» sind Kult-Bestseller. Tennessee ernennt ihn zum Ehrenbürger und jedes Kind kennt Krokus.

In diesem Jahre nun landete von Rohr mit Krokus und der Scheibe «Hoodoo» ein fulminantes Comeback. Und nicht nur seine Musik, auch seine Ansichten sind gefragt. Er tut sie regelmässig in einer Kolumne der grössten Illustrierten der Schweiz kund. Rückmeldungen kriegt er so viele wie kein anderer.

«Saftige Sprüche, Humor und etwas Provokation tun diesem ernsten Land gut», sagt er. Doch er ist keiner, der einfach Sprüche klopft. «Am Ende des Tages muss auch die Leistung stimmen. Aber in allem, was ich tue, steckt viel Arbeit. Um etwas zu erreichen, musst du reinknien, dranbleiben und darfst nicht locker lassen.»

Er führt mich dorthin, wo er die meiste Zeit verbringt: in sein Arbeitszimmer im ersten Stock. Es geht die zweiläufige Treppe hoch, an einer Wand vorbei, an der sechzig Gold- und Platin-Platten prunken.

Kuhfell am Boden, iMac auf dem Pult, viele Bilder, die Bücher im einen Büchergestell nach Farben sortiert, ein Poster mit dem Spruch: «Wenn ich die Kraft hätte, würde ich gar nichts tun.»

«Ich liebe Weisheiten und witzige Wortkreationen», sagt der Musiker, er schlägt ein schwarzes Moleskine auf, das mit grossen, runden, schwungvollen Buchstaben vollgeschrieben ist: «Schlaues von Philosophen, eigene Gedanken.» Doch so richtig unschlagbar ist seine zweite Sammlung: die Aussprüche seiner Tochter Jewel. «Diese Perlen vergesse ich sonst, das wäre jammerschade.» Neun Jahre ist sie alt, neun Bände hat er gefüllt. Jewel wohnt die meiste Zeit bei ihrer Mutter, zwei Tage und eine Nacht pro Woche verbringt sie bei Papa Chris.

Der Lieblingsraum von Chris liegt im Parterre.

Er reicht über die ganze Tiefe des Hauses. Die Decken sind hoch, stuckverziert, in der Mitte hängt eine richtig grosse Discokugel, der Boden ist edles, hundertjähriges Berner Parkett. An der Wand steht sein Schmuckstück, ein alter Steinway-Flügel, wo auch der Song «Heaven» von Gotthard entstanden ist. Vor den Fenstern orangerote Vorhänge, durch die dumpf das Tageslicht dringt. Chris setzt sich ans Klavier, spielt leichthändig ein paar Akkorde und sagt: «Hörst du den Klang? Einmalig.» Dann spielt er weiter. Die Harmonien füllen den Raum, Takt für Takt gleiten seine Finger über die Tasten. «Wenn ich spiele, komme ich ganz zu mir, bin ganz im Moment.» Und meint unvermittelt: «Deshalb liebe ich auch Kinder, die sind immer im Jetzt.»

Neben dem Piano stehen zwei akustische Gitarren, die Jukebox und ein langer Esstisch. Ein breitformatiges Bild zieht sich über die ganze Länge der Wand. Blau mit viel Schrift, Klaviertasten, ein mexikanischer Totenkopf, feuerrotes Herz. «Das ist von Büne.» Büne von Patent Ochsner? «Ja, wir sind seit langem gute Freunde.» Auch mit der Kunst an der gegenüberliegenden Wand überrascht er. Farblandschaften in Pastell, von seinem Vater: «Er hat sie nebst der Arbeit als Treuhänder gemalt.»

Und die Mutter? «Von ihr habe ich die Schlagfertigkeit, den Witz.» In ganz Solothurn war sie wegen ihres Humors und ihrer träfen Sprüche bekannt und beliebt.

Wenn Chris aus seinem Leben erzählt, von der Liebe zu seiner Tochter und zur Musik, wenn er von seinem Glück und seinen Kämpfen spricht, vergisst man, wie alt der Rocker der Nation eigentlich ist. «Dreissig Jahre älter als meine Freundin, die Zauberfee Denise. Neunundfünfzig.» Gerade erst war sein Geburtstag. Sternzeichen? «Skorpion – und wie!» Wie denn? «Leidenschaftlich, feurig. Und ein Perfektionist.»

So gerne es Chris auf der Bühne krachen lässt, so gerne ist er an seinen freien Tagen daheim. Ist es wintergrau draussen, lässt er die orangeroten Vorhänge auch tagsüber zu und verwandelt sein Wohnzimmer mit Lämpchen, Kerzen, Lichterketten in eine heimelige Stube. Es kann sein, dass er sich dann um sein Sammelsurium an Postkarten, Postern und Bildern in der Küche kümmert oder Fotos und Krimskrams auf dem Klavier neu arrangiert. Wenn nicht Denise oder Jewel auf Besuch ist, setzt er sich bestimmt an seinen Flügel, spielt Melodien, die er mag, probiert auf der Gitarre Akkordfolgen aus, lässt sich von seinen Ideen treiben und taucht in der Musik ab. Sein Zuhause ist sein Zufluchtsort und seine Spielhöhle. Die Spielsachen liegen alle bereit.

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