Es knirscht, spritzt und blutet. Tierarzt Matthias Seewald, auf Dentalmedizin spezialisiert, klopft auf Napas kaputten Eckzahn. Dann setzt er die grosse Zange an, reisst und zerrt. Doch im Sitzen reicht seine Kraft nicht aus. Er muss aufstehen, sonst bekommt er das gewaltige Beisswerkzeug nicht heraus.
Bevor der frühere Zirkusbär Napa diesen Sommer als erster von fünf Artgenossen mithilfe der Tierschutzorganisation Vier Pfoten nach Arosa GR kam, lebte er in einem winzigen Käfig in Serbien. Weil er dort falsch ernährt wurde und sich immer wieder in die Gitterstäbe verbiss, konnte er kaum noch knabbern oder kauen. Darum mussten jetzt die Ärzte ran.
Bärenland Arosa, am frühen Dienstagmorgen: Noch ist Napa wach, sitzt auf dem Hinterteil, legt den Kopf auf einen Gitterstab und schaut mit grossen Augen dem Treiben vor seinem Gehege zu. Der leitende Bärenland-Veterinär Wolfgang Zenker kramt in seinem Kofferraum, wo Dutzende Fläschchen, Spritzen und Pflaster liegen. Dann legt er routiniert einen Pfeil mit Betäubungsmittel in sein Gewehr und betritt die Stallungen.
Die unteren Zähne sind fast alle abgebrochen
Zehn Minuten später ist Napa im Tiefschlaf, kein Klatschen, Brüllen oder Stossen weckt ihn noch. Nun wuchten neun Tierpfleger, Ärzte und Assistenten das 300 Kilo schwere Tier mit blossen Händen und ganzer Kraft auf den Operationstisch. Im Veterinärraum der Stallungen ist es kühl. Der Geruch von Fell, Blut und Desinfektionsmittel hängt in der Luft. Ein Messgerät piepst, Spritzen werden vorbereitet, kleine Zahnschleifgeräte sirren. Tupfer werden gereicht, Blutproben genommen, Röntgenbilder angeschaut.
Napas runder Bauch hebt und senkt sich langsam. Ein grünes Tuch bedeckt die Augen, eine Infusion tropft in den mächtigen Vorderlauf, ein Plastikschlauch steckt in seinem aufgerissenen Maul. Reisszähne, gross wie Finger, ragen aus seiner Mundhöhle. Die unteren Zähne sind fast alle abgebrochen, braun, teilweise nur noch kleine Stummel. Beide Eckzähne, drei Schneide- und zwei Backenzähne müssen raus. Sie bereiten Napa Schmerzen, sind entzündet. Das könnte sich negativ auf Herz, Leber und Nieren des Tieres auswirken.
Napa wird gleich noch kastriert
«Puls ist okay, Temperatur 36 Grad», liest eine Tierpflegerin vom Monitor ab, der über Kabel und Kleber mit dem massigen Leib von Napa, drei Viertel Braun-, ein Viertel Eisbär, verbunden ist. Beim Blick auf dessen Zunge stutzt der Zahnarzt: «Ein Wunder, dass er die noch gebrauchen kann!» Die Zunge sei wohl mal zerschnitten gewesen, das fast abgetrennte Stück muss dann verkehrt herum wieder angewachsen sein.
Nach knapp zwei Stunden liegen die letzten Zahnstücke auf einem Blechteller. «Vorne ist alles gut. Wie sieht es hinten aus?», fragt Seewald in Richtung seines Kollegen Zenker, der Napa während der Zahnoperation grad noch kastriert – Nachwuchs soll es im Bärenland nicht geben. Zenker hebt den Daumen.
Als der wuchtige Patient wieder im Gehege liegt, spritzt der Bärenland-Tierarzt das Gegenmittel. Brummend schlägt Napa seine tiefbraunen Augen auf, rollt zögerlich die Zunge hin und her, schnalzt und schmatzt. Er wirkt noch etwas beleidigt, das Ärzteteam hingegen sehr zufrieden. Alles ist gut verlaufen. Nun darf der Bär sein neues Zuhause weiter erkunden – zwar ohne zukünftige Fortpflanzungserfolge, dafür aber ganz ohne lästige Zahnschmerzen.