Nach Mordanklage gegen Kollegen
Londoner Polizisten geben Waffen ab

Dutzende Polizeibeamte haben in London ihre Waffenscheine abgegeben – Grund ist die Mordanklage gegen einen Kollegen, der im Dienst einen unbewaffneten Mann erschoss. Entsprechende Medienberichte bestätigte die Metropolitan Police am Montag.
Publiziert: 25.09.2023 um 15:43 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2023 um 21:02 Uhr
Nachdem ein Polizist in Grossbritannien nach einem tödlichen Schuss wegen Mordes angeklagt worden ist, gibt es nun Protest innerhalb der Londoner Polizei.
Foto: Kin Cheung

Die BBC hatte zuvor von etwa 100 Beamten berichtet, die ihre Erlaubnis zum Tragen von Waffen bis auf Weiteres abgegeben hatten. Die Nachricht schlug schnell grosse Wellen in Grossbritannien. Scotland Yard sah sich bald gezwungen, Gerüchten entgegenzutreten, alle bewaffneten Beamten in der von hoher Kriminalität geplagten britischen Hauptstadt hätten ihre Schusswaffen abgegeben. Insgesamt gibt es demnach allein in London 2500 bewaffnete Polizisten.

Viele seien besorgt darüber, welche Auswirkungen die Entscheidung zur Mordanklage auf sie, ihre Kollegen und Familien haben werde, hiess es in der Polizei-Mitteilung. «Sie machen sich Sorgen, dass dies einen Wendepunkt in der Weise signalisiert, wie die Entscheidungen beurteilt werden, die sie in den schwierigsten Umständen treffen.»

«Unsere bewaffneten Polizisten machen einen unglaublich schweren Job»

Der angeklagte Polizist soll vor rund einem Jahr auf einen unbewaffneten jungen Mann geschossen haben. Der Tod des 24-Jährigen hatte auch Rassismusvorwürfe gegen die Londoner Polizei ausgelöst. Bei dem Getöteten handelte es sich um einen schwarzen Mann. Der Schuss traf ihn durch die Windschutzscheibe seines Autos, nachdem Polizisten ihn wegen eines Vorfalls am Vortag gestoppt hatten. Wie eine Untersuchung ergab, galt er aber nicht als Verdächtiger. Angehörige und Aktivisten hatten auch mit Protestmärschen Aufklärung gefordert.

Um den Mangel an bewaffneten Beamten auszugleichen, seien übers Wochenende Polizisten aus anderen Teilen des Landes zur Verstärkung hinzugezogen worden, hiess es von Scotland Yard weiter. Zudem habe das Verteidigungsministerium eine Anfrage für Unterstützung durch Soldaten für die Anti-Terror-Polizei zugesagt, sollte es notwendig werden.

Premierminister Rishi Sunak zeigte Verständnis für die Sorge der Beamten. «Unsere bewaffneten Polizisten machen einen unglaublich schweren Job», sagte der konservative Politiker vor Journalisten am Montag. Beamte müssten Klarheit und Sicherheit über die Folgen ihrer Handlungen haben, forderte er. Die konservative Innenministerin Suella Braverman kündigte eine Überprüfung der geltenden Bestimmungen an, ohne jedoch Details zu nennen.

Metropolitan Police kämpft mit Ansehensverlust

Caroline Russel, die Fraktionschefin der Green Party (Grünen) im Londoner Gemeinderat und Vorsitzende des Polizeiausschusses, warnte davor, die Schwelle für den Einsatz von Schusswaffen herabzusetzen: «Wir müssen uns darauf verlassen können, dass Polizisten, die dieses Mass an Gewalt ausüben können, sich im Klaren darüber sind, dass sie dieselbe Rechenschaftspflicht haben wie jeder andere», sagte sie dem Sender BBC Radio 4 am Montag. Sie erinnerte an den aus dem 19. Jahrhundert stammenden Grundsatz der Polizeiarbeit in Grossbritannien, wonach Polizisten als Vertreter der Bevölkerung und nicht der Obrigkeit betrachtet werden. Der grösste Teil der britschen Beamten ist deshalb bis heute nicht mit Schusswaffen ausgestattet.

Die Anwältin Harriet Wistrich, die Angehörige des 2005 von der Polizei getöteten Jean Charles de Menezes vertrat, mahnte ebenfalls davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Der 27-jährige Brasilianer war fälschlicherweise für einen Attentäter gehalten worden und in einer Londoner U-Bahn-Station erschossen worden. «Ich denke, wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass es eine Mordanklage gegen einen Polizisten in diesem Land so gut wie noch nie gegeben hat», sagte Wistrich der BBC. Die Staatsanwaltschaft prüfe schon jetzt sehr sorgfältig die genauen Umstände und selbst im Falle von de Menezes habe es keine Anklage gegeben.

Die Metropolitan Police kämpft seit Längerem mit einem katastrophalen Ansehensverlust wegen sexistischen und rassistischen Fehlverhaltens von Polizisten. Eine unabhängige Untersuchung bescheinigte der Behörde im März, «institutionell rassistisch, sexistisch und homophob» zu sein. Im Jahr 2011 hatte der tödliche Polizeieinsatz gegen einen schwarzen Mann tagelange gewaltsame Ausschreitungen in London und anderen grossen Städten im Vereinigten Königreich ausgelöst. (SDA)

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