Nach Beben und Wölfen droht ihren Tieren die Obdachlosigkeit
Schweizer erleben Auswanderer-Albtraum in Italien

Claude Wegmann (56) und Anja Kinsky (53) aus Richterswil ZH zogen 2009 in die italienischen Marken. Das grosse Beben von Amatrice zerstörte Haus und Hof. Jetzt will die Gemeinde auch noch die neuen Ställe abreissen.
Publiziert: 30.12.2017 um 17:44 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 18:55 Uhr
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Anja Kinsky versorgt ihre Pferde im Erdbebengebiet.
Foto: Ignacio Maria Coccia
Myrte Müller

Kalt ist es im Container-Haus. Und feucht. Kein Christbaum, kein Kerzenschein will Glanz in die provisorischen 40 Quadratmeter bringen. «Uns war nicht weihnachtlich zumute», sagt Claude Wegmann (56) mit einem gequälten Lächeln zu BLICK.

Vor acht Jahren ziehen der Werbefachmann aus Richterswil ZH und seine Frau Anja Kinsky (53) nach Mittelitalien. Sie bauen in San Martino, einem Ortsteil von Fiastra, einen alten Bauernhof auf. Sie kaufen Pferde, Ziegen, Schweine, Hühner, richten liebevoll Gästezimmer her. Mehrere Hunderttausend Franken stecken sie in ihren Agrotourismus «Due Sorelle», den sie stolz in der SRF-Sendung «Auf und davon» präsentieren. Ihr Glück scheint perfekt. 

Aus dem Aussteigertraum wird ein Albtraum

In der Nacht auf den 24. August 2016 erhält das perfekte Glück tiefe Risse. «Das Erdbeben von Amatrice hat unseren Hof völlig zerstört», sagt Claude Wegmann, «beide Wohnhäuser sind seitdem unbewohnbar.» Auch die Ställe fallen bei Nachbeben in sich zusammen. Die Tiere bleiben schutzlos im Freien.

Das verheerende Erdbeben vom August 2016 zerstörte den Bauernhof des Paars. Die Stallungen fielen Nachbeben zum Opfer.

Im Katastrophengebiet herrscht Chaos. Das Beben fordert 298 Menschenleben. Es zerstört 70 Dörfer. Zehntausende werden obdachlos. Die Behörden sind restlos überfordert. Staatliche Hilfe? Fehlanzeige. Claude Wegmann und seine Frau besorgen sich privat einen Wohnwagen. Er wird ihr Winterquartier – bis Italien ihnen im Frühsommer 2017 endlich ein Container-Haus zur Verfügung stellt. Doch für die Tiere kommt keine Hilfe.

«Der Winter war extrem hart. Nachts kamen die Wölfe und rissen unsere Ziegen. Die meisten waren trächtig. Wir mussten schnell handeln.» So kurzfristig eine Baugenehmigung zu erwarten, wäre illusorisch gewesen, meint Claude Wegmann. «So haben wir kurzerhand zwei Holzställe für unsere sieben Pferde und 17 Ziegen hochgezogen, damit unsere Tiere überleben konnten.»

«Sollen unsere Tiere jämmerlich sterben?»

Doch vor ein paar Wochen steht plötzlich die Forstpolizei vor der Tür. «Sie machten Fotos von unseren neuen Ställen», erzählt Claude Wegmann. Sie seien illegal errichtet worden. Jemand habe sie anonym angezeigt. Die Gemeinde will nun die zwei Unterstände abreissen. Im Februar sollen die Bagger anrollen.

Claude Wegmann ist ausser sich. «Wir können uns keinen Rekurs leisten. Wir haben kaum noch Geld», klagt der Richterswiler. Doch für seine Tiere will er alles tun: «Wir werden nicht kampflos aufgeben – und wenn ich ins Gefängnis muss.» Im Januar erwarten die Ziegen Junge. «Sollen diese wieder im Schnee erfrieren? Wir haben schon durch die fehlenden Ställe ein wenige Tage altes Fohlen verloren», fragt Wegmann verzweifelt. 

Für 2018 haben die beiden Auswanderer nur einen Wunsch: Dass Italien ihnen ihre Ställe lässt und ihnen beim Wiederaufbau hilft. Wegmann: «Damit wir im nächsten Jahr vielleicht sorgenfreier Weihnachten feiern können.»

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