Mit Beruhigungsmitteln in den Tod
Bund hinterfragt Umgang mit Sterbenden

In Spitälern werden schneller Beruhigungsmittel eingesetzt als auf Palliativstationen. Zudem soll der Personalbestand die Behandlungsart beeinflussen.
Publiziert: 26.11.2017 um 20:10 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 16:09 Uhr
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In Schweizer Spitälern sterben «auffällig viele» Patienten in einer tiefen Sedierung.
Foto: Squaredpixels
Thomas Schlittler

Lebensende. Mit diesem emotionalen Thema beschäftigten sich in den vergangenen fünf Jahren 200 Wissenschaftler aus der Schweiz. Diese Woche wurde der Abschlussbericht des Nationalen Forschungsprogramms vorgestellt.

Zu reden gibt folgender Satz: «Da die Herbeiführung der Bewusstlosigkeit bis zum Tod häufig mit der Unterbindung der Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr einhergeht und die Absicht der Behandelnden unter Umständen darin besteht, das Leben einer sterbenden Person absichtlich beenden zu wollen, unterscheidet sich die Sedierung nur noch bedingt von anderen Formen absichtlicher Lebensbeendigung.»

Im Klartext: Wenn der Arzt stark beruhigende Medikamente verabreicht, kommt es vor, dass die Behandlung und nicht die Krankheit zum Tod des Patienten führt. Das ist aktive Sterbehilfe – und illegal.
Besondere Sprengkraft birgt diese Aussage, weil das Forschungsprogramm gleichzeitig festgestellt hat, dass in Schweizer Spitälern und Heimen «auffällig viele» Patienten in einer kontinuierlichen tiefen Sedierung sterben. 2013 war das gemäss einer Ärzte­befragung bei jedem sechsten Sterbenden der Fall. Fast viermal mehr als 2001 (siehe Grafik).

Wenig Personal und hohe Sedierungsrate haben einen Zusammenhang

Einige Mediziner stellen die Umfrageergebnisse in Frage. Sie glauben, dass die befragten Ärzte zum Teil bereits eine Schmerztherapie mit Opiaten als Sedierung bezeichneten, weil die Patienten dadurch schläfrig werden. «Das würde zu falschen hohen Zahlen führen», sagt Roland Kunz (62), Chefarzt am Zürcher Stadtspital Waid.

Dennoch sieht Kunz Klärungs­bedarf: «Die Tatsache, dass auf Pal­liativstationen die Sedierungsrate deutlich tiefer liegt als in dieser Erhebung, weckt den Verdacht, dass die Sedierung teilweise angewandt wird anstelle einer kompetenten palliativmedizinischen Betreuung.» Mit anderen Worten: Wenn ein Arzt nicht mehr weiterweiss, sediert er, anstatt eine kompetentere Fachperson beizuziehen.

In die gleiche Richtung geht die Aussage von Steffen Eychmüller, leitender Arzt am Universitären Zentrum für Palliative Care am Berner Inselspital: «Es gibt einen Zusammenhang zwischen wenig Personal und einer hohen Sedierungsrate.»

Erweiterte Forschungen sind nötig

Aufgrund dieser Unklarheiten sind sich Gesundheitsexperten einig, dass die Sedierung am Lebensende weiter erforscht werden muss. Die Autoren des Abschlussberichts stellen zudem die Frage in den Raum, ob eine rechtliche Regulierung notwendig sei. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat dafür offene Ohren: «Wir werden das Thema mit den relevanten Partnern aufnehmen, insbesondere mit dem Bundesamt für Justiz und den Fachverbänden.» Gleichzeitig betont das BAG jedoch, im Vordergrund stehe die Diskussion dieser Fragen durch die Medizin selbst.

Die Angesprochenen verwehren sich dem nicht. «Die Sedierung am Lebensende muss unter Einhaltung strikter Kriterien eingesetzt werden», fordert Jürg Schlup, Präsident der FMH, dem Berufsverband der Schweizer Ärzteschaft. Sinnvoll wären seiner Meinung nach Empfehlungen der Schweizerischen Gesellschaft für Palliative Medizin, die solche strikten Kriterien festhalten, die geltenden rechtlichen Regelungen beachten und die medizinethischen Grundsätze befolgen.

Ein erster Schritt der Regulierung sind zudem die neuen Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW), die zur Vernehmlassung vorliegen. Sie geben den Ärzten vor, wann eine Sedierung zulässig ist und wann sie in den nicht zulässigen Bereich abdriftet.

Sedierung bis zum Tod

Palliativmediziner verstehen unter der Sedierung bis zum Tod, auch terminale Sedierung genannt, die Verabreichung von Medikamenten, die das Bewusstsein sterbender Patienten dämpfen oder auch völlig ausschalten. So sollen belastende Symptome wie Schmerzen oder Angst in der letzten Lebensphase gelindert werden. Da prinzipiell die Möglichkeit besteht, das Sterben der Patienten durch eine solche Sedierung zu beschleunigen, ist die Grenze zwischen terminaler Sedierung und aktiver Sterbehilfe unscharf oder strittig.

Palliativmediziner verstehen unter der Sedierung bis zum Tod, auch terminale Sedierung genannt, die Verabreichung von Medikamenten, die das Bewusstsein sterbender Patienten dämpfen oder auch völlig ausschalten. So sollen belastende Symptome wie Schmerzen oder Angst in der letzten Lebensphase gelindert werden. Da prinzipiell die Möglichkeit besteht, das Sterben der Patienten durch eine solche Sedierung zu beschleunigen, ist die Grenze zwischen terminaler Sedierung und aktiver Sterbehilfe unscharf oder strittig.

Natürlicher Tod – dank Exit

Kommentar von Aline Wüst, Reporterin

Seinen Todestag kennt niemand. Niemand ausser jenen, die sich für den assistierten Suizid entscheiden.

Diese Art des Sterbens kann eine Erleichterung für Menschen bedeuten, die unheilbar krank sind, den Lebensmut verloren haben oder sich vor dem Sterben fürchten.

Über ihren Entscheid zu urteilen, steht uns nicht zu.

Und doch betrifft die Frage, wie lange man das Leben aushalten muss, nicht nur den, der es nicht mehr aushält. Rund 40 Prozent der Angehörigen von Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch genommen haben, leiden unter psychischen Problemen. Dabei ist der assistierte Suizid eigentlich ein Tod, auf den sich alle vorbereiten können. Bei dem man Zeit hat, Abschied zu nehmen.

Doch wenn es so weit ist, fühlt es sich für viele Angehörige offenbar doch ganz anders an.

Nun hat die Zahl assistierter Suizide abgenommen – erstmals seit Jahren. Erfreulich daran ist auch, dass ein möglicher Grund die Verbesserung der Pal­liativmedizin sein könnte, also ein früher stiefmütterlich behandelter Zweig der Medizin, der das Leben nicht um jeden Preis verlängern, sondern zu einem schmerzlosen Tod beitragen will.

Palliativmedizin statt Suizid – das ist für Angehörige oft der weniger schmerzhafte Weg.

Dass Schweizer dank besserer Pal­liativmedizin ruhiger sterben können – und zwar dann, wenn ihr Moment gekommen ist –, verdanken wir paradoxerweise genau denen, die für das Sterben einen Termin festlegen: Exit. Die Suizidhelfer haben die Diskussion um das gute Sterben angestossen. Auf eine radikale Art zwar. Aber wirkungsvoll.

Kommentar von Aline Wüst, Reporterin

Seinen Todestag kennt niemand. Niemand ausser jenen, die sich für den assistierten Suizid entscheiden.

Diese Art des Sterbens kann eine Erleichterung für Menschen bedeuten, die unheilbar krank sind, den Lebensmut verloren haben oder sich vor dem Sterben fürchten.

Über ihren Entscheid zu urteilen, steht uns nicht zu.

Und doch betrifft die Frage, wie lange man das Leben aushalten muss, nicht nur den, der es nicht mehr aushält. Rund 40 Prozent der Angehörigen von Menschen, die Sterbehilfe in Anspruch genommen haben, leiden unter psychischen Problemen. Dabei ist der assistierte Suizid eigentlich ein Tod, auf den sich alle vorbereiten können. Bei dem man Zeit hat, Abschied zu nehmen.

Doch wenn es so weit ist, fühlt es sich für viele Angehörige offenbar doch ganz anders an.

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