Markus Itten über seine vierjährige Weltreise mit dem Töff
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Er bereiste jeden Kontinent:Markus Itten über vierjährige Weltreise mit dem Töff

Markus Itten bereiste die Welt mit dem Motorrad
Auf zwei Reifen 107 000 Kilometer um die Welt

Markus Itten aus Ins BE packte die Satteltaschen seinen Motorrads und begab 
sich auf eine lange Reise. Auf den 107 000 Kilometern schoss er aussergewöhnliche Bilder.
Publiziert: 04.08.2019 um 16:07 Uhr
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Seit Juni ist Markus Itten (71) zurück in seinem Heimatdorf Ins BE. Er fuhr vier Jahre mit seinem Motorrad um die Welt.
Foto: Peter Gerber
Rachel Hämmerli

Eine 90-Jährige sass einst im Notariat von ­Markus ­Itten in Ins BE und verriet ihm, warum sie nicht längst tot sei. «Ich bin immer noch neu­gierig», sagte sie und blickte aus dem Fenster in die Ferne. Über dem Stuhl, auf dem die alte Dame sass, hängt heute bildgewordene Neugierde: Fotografien von Menschen aus allen Ecken der Welt, mit derselben Lebensfreude, wie sie die faltige Frau hatte. Bilder, die Itten auf seiner grossen Reise schoss.

Seit Juni ist der heute 71-Jährige wieder in seinem Zuhause, das er vor vier Jahren verliess. Damals packte er ein Zelt, eine Weltkarte und seine Kamera in die Sattel­taschen seines Motorrads und fuhr davon. Markus Itten hatte ein Ziel: die Welt zu umrunden und dabei auf jedem Kontinent Reifenspuren zu hinterlassen – die Neugierde war sein Treibstoff. Seine Frau Jean­nette wehrte sich nicht: Er sei schon ­immer ein bisschen «verruckt» ­gewesen. Reiste mit 16 Jahren per ­Autostopp blindlings um den ­Globus und blinzelte schon von den höchsten Berggipfeln runter.

Zwei Mal fuhr er bei dieser Reise um die Welt, denn mit 107 000 gefahrenen Kilometern umrundete er den Äquator doppelt. Nach 56 besuchten Ländern waren dann auch die Satteltaschen vor lauter aufgeklebten Nationalflaggen nicht mehr zu erkennen. Sie bebildern nicht nur, wo die Reise hinging; sie erzählen auch, wo sie anfing und endete. Die Aufkleber von der Schweiz über Griechenland, Iran, China bis und mit Japan sind am meisten ver­blichen – das war seine erste Route.

Eine Reise in sieben Etappen und mit acht Reifenwechseln

Mit den Flaggen von Australien, Neuseeland und Hawaii dominierte über Monate die britische Unionsflagge das Territorium auf den Satteltaschen. Danach fuhr ­Itten von Nord- bis Südamerika, um dann wiederum vom Süden ­Afrikas in den Norden zu gelangen. In Ägypten nahm er das Schiff nach ­Sizilien, jagte über die Westküste Portugals und fuhr noch einen kurzen Umweg über das Nordkap, bis er nach acht verbrauchten Reifensätzen wieder auf dem Bundesplatz stand und in den Sprachen seiner Reise sagte: «It’s done, c’est fait, está hecho – gschafft.»

Markus Itten teilte die Reise in sieben Abschnitte ein. Nach jeder Etappe blieb er für ein paar Monate ­daheim, um danach genau dort ­weiterzumachen, wo er auf­- gehört hatte. Es zog ihn nicht nur ­wegen seiner Frau Jeannette nach Hause – die in der Zwischenzeit das Notariat allein führte –, sondern auch, um einmal zu «bremsen». Diese Reise war kein Ferien­ausflug und Itten kein Weltenbummler – es galt, die Welt zu ­umrunden. Er nahm sich Zeit für Spazier­gänge und übernachtete bei Einheimischen, doch er blieb in der Regel höchstens zwei Tage an ­einem Ort. Jeder Tag begann früh, nach den Morgenstunden stiegen die Temperaturen öfter auf über 40 Grad. Auf dem Motorrad brannte der Windstoss eines entgegenkommenden Lasters im Gesicht wie ein heisser Kessel Wasser.

Itten wollte die volle Freiheit, keine Kompromisse eingehen, ­allein mit sich und seinem ­Motorrad sein. Und obwohl sich die Landschaften über Stunden ähnelten, er weder Zeitungen noch Bücher las und auch nie Fernsehen schaute, war ihm ­keine Sekunde langweilig. Itten schuf sich seine eigenen Zeitzeugnisse. Er fotografierte ­Szenen, die das Lebensgefühl im jeweiligen Land beschrieben, und Porträtfotos von den Charakterköpfen, die dort lebten. Mit den Fotografien könnte er sein Notariat tapezieren. Einige Szenen blieben Itten besonders in Erinnerung. Er gab den Bildern einen Namen.

Die Strasse hat viele Gesichter

Itten liebte und fürchtete die Strasse. Sie war eine unstetige Geliebte – drohte mancherorts mit knietiefen Schlaglöchern und Strassenwellen. Wenn sie ihn auf die Knie zwang, konnte es immer sein, dass er liegen blieb. Wenn man verletzt draussen im Krachen schmorte, brauchte es Glück, um gefunden, geschweige denn rechtzeitig ärztlich versorgt zu werden. Zweimal riss ihn die Strasse vom Motorrad, hinterliess aber nur Kratzer und eine gerissene Schultersehne.

In Honduras fuhr Itten über ­Asphalt, so holprig wie ein Waschbrett. Diese marode ­Strasse musste er festhalten. Er stieg vom Töff und fokussierte mit der ­Kamera das Strassenbild, während ein Lastwagen sich näherte. Hinter dem Laster brauste ein ­Motorrad vorbei, im rechten Kamera­winkel betrat eine alte Frau den Asphalt, sie trug einen Sack Mehl bei sich. Das Motorrad rammte sie mit Überholgeschwindigkeit. Das Mehl auf dem Asphalt sog das Blut aus den Strassenrissen. Eine junge Frau beugte sich über die Regungslose, schrie, weinte. Markus Itten drückte auf den Auslöser und fuhr weiter.

Weiter nach Medellín in Kolum­bien, wo die Strassen einst dem Drogenpapst Pablo Escobar ge­hörten. «Die gefährlichste Stadt der Welt» war ihr Spitzname. Heute ist die Stadt weitestgehend sauber – jedenfalls bemühen sich die Behörden um einen sauberen Ruf.

Markus Itten mischte sich unters Volk. Männer spielten Karten zu ­Gitarrenmusik, als plötzlich Schreie die Klangkulisse durchdrangen. Mit gewaltbereiter Fratze zogen zwei Männer ihre Messer und attackierten sich. Augenblicklich war ein Polizist vor Ort und zog die Pistole – die Klangkulisse wandelte sich zur Drohkulisse. Doch von den Passanten war kein Ton der Empörung zu hören. Jeder beobachtete die Szene mit verschränkten Armen. Die Behörden sähen Medellín gern als Touristenstadt. Für Itten war der Kurzbesuch ein Beweis dafür, dass die einstige ­Drogenhochburg noch immer ein gefähr­licher Ort ist. Als junger Mann wollte er Kriegsreporter ­werden. Markus Itten zückte ­seine Kamera und schoss.

Rinderblut zum Frühstück – direkt ab Hals

Im Omo Valley in Äthiopien ­lebte Markus Itten beim Stamm der Mursi. In vielen Foto­büchern existieren Bilder von diesem ­Naturvolk – bekannt für die Lippen­teller der Frauen. Meist reisen Touristen für einen Schnappschuss an, zahlen und verschwinden wieder. Auch Markus Itten wollte Fotos von den Mursi, aber nicht, um billige Schaulust zu befriedigen. Ittens beste ­Bilder zeigen Menschen mit ­einem unverfälschten Gesichtsausdruck. Und nichts ist so ­natürlich wie Naturvölker.

Doch für einen Blick ohne Misstrauen musste Itten ihr ­Vertrauen gewinnen. Er integrierte sich. Schlug sein Zelt ­neben ihren Hütten auf, ass und lachte mit ihnen. Die Mursi ­leben mit und vom Rind. Zum Frühstück hielt eine Horde Männer j­eweils ein Rind fest, während ein anderer mit Pfeil und Bogen ein Loch in den Hals des Tieres bohrte. Blut rann in Tonschalen und in die Schoppen der Kinder. Rinderblut ist reich an Protein und Fett. An dem, was ein ausgewachsenes Rind hergibt, ohne tot umzufallen, frühstückt ein Dutzend Kinder. Mit etwas Kuhdung auf der Wunde rannte das Rind zur Herde zurück, derweil ein Junge mit blutigem Mund und sattem Bauch auf Ittens Schoss sass. In diesem Moment hatte Itten längst ein paar unverfälschte ­Bilder geschossen.

Vertrauen war der Schlüssel für all die Fotografien und ­Begegnungen. Und sie war die Basis für sein Leben. Auf Märkten liess er meist den Schlüssel am Motorrad stecken. Er lachte auch ­mürrische Menschen an und fürchtete sich nicht, wenn ein ­Junge im afrikanischen Busch eine Kalaschnikow mit sich trug. Itten sagt: «Du musst den Menschen ­zeigen, dass du sie magst, dann hast du nie Probleme.»


Neben Vertrauen brauche es dann nur noch Mut und Sitzleder für eine solche Reise. Und natürlich seine Frau Jeannette, ohne die ­dieses Abenteuer nicht möglich gewesen wäre. Eigentlich würde Itten schon das nächste planen, doch diese Reise war so erfüllend, dass er für den Moment zu Hause bleibt.

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