Pornos, Glücksspiel und Gamen haben eines gemeinsam: Als süchtig gilt, wer die intensiven, wiederkehrenden Impulse nicht zügeln kann und immer wieder Pornos schauen, zocken oder eben gamen muss. Solche «Verhaltenssüchte» werden bald offiziell als Krankheiten anerkannt.
Wie die «NZZ am Sonntag» berichtet, braucht es für eine Suchterkrankung nicht länger ein Suchtmittel. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) gelten ab 2022 auch Abhängigkeitserkrankungen als Sucht, die nicht durch Drogen, Alkohol oder Medikamenten verursacht werden. Wer zum Beispiel seine Seximpulse nicht kontrollieren kann und dadurch im Alltag beeinflusst wird, kann bald als sexsüchtig und offiziell krank gelten.
Für die Finanzierung entsprechender Therapien durch die obligatorische Krankenversicherung ändert sich dabei nichts. Wenn eine Suchterkrankung behandlungsbedürftig ist, kann eine Therapie laut Bundesamt für Gesundheit bereits vergütet werden.
Therapie von Verhaltenssüchten
Verhaltenssüchte galten bislang unspezifisch als Störung der Impulskontrolle mit sehr unterschiedlichen Definitionen – eine einheitliche Grundlage erleichtert auch Forschung und Therapiemethoden.
Bei einer Glücksspiel-, Sex- oder Kaufsucht waren oft Begleiterkrankungen wie Depressionen oder Substanzabhängigkeiten der Auslöser dafür, dass eine Person eine Therapie begann. Seit geraumer Zeit würden spezifisch Angebote für Verhaltenssüchte gegründet.
Nahmen die Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel (UPK) eine Vorreiterrolle bei gezielten Therapien für Verhaltenssüchte ein, sind mittlerweile andere Kliniken in der Schweiz mit ähnlichen Angeboten nachgezogen, darunter auch mit der Behandlung von Online- und Mediensucht.
Lebensersatz Internet
Die Privatklinik Meiringen etwa behandelt am häufigsten Glücksspiel-, Gaming- und Internetsüchtige – mit einer wachsenden Zahl von Kaufsüchtigen. Wie die Sexsucht sei diese Krankheit «enorm stigmatisiert und auch noch nicht zu bekannt», wird Jochen Mutschler, Leiter des Zentrums für Verhaltenssüchte, zitiert.
Allgemein gilt, dass Verhaltenssüchte oft zu spät erkannt werden: «Das Internet kann so ziemlich alles ersetzen, es liefert Sozialkontakte, ist jederzeit überall gratis verfügbar. Das verzögert den Leidensdruck», sagt Michael Kaess, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern.
Inzwischen sei das Angebot in der Schweiz für die Therapie von Verhaltenssüchten ausreichend, so Kaess. Man brauche «keine zusätzlichen Therapieplätze, sondern eine verbesserte Prävention, Früherkennung und Vermittlung der Therapieangebote». (kes)