Koch David Höner (65) lebt in Ecuador. Kommt er in die Schweiz, macht er sich zuerst einmal eine Zwetschgenwähe. Den Zwetschgen gibt es in Ecuador keine. Wir treffen Höner in einem syrischen Restaurant in Zürich zum gemeinsamen Mittagessen und unternehmen gedanklich eine Reise von Kenia bis in den Amazonas auf den Spuren seiner kulinarischen Friedensprojekte.
David Höner, Sie sind Koch und glauben, ein Rezept für Frieden gefunden zu haben. Welches?
Teilen und Kommunizieren.
Das ist alles?
So simpel ist es.
Sie haben die Organisation Cuisine sans frontières gegründet und bauen Küchen in Krisengebieten. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Ich war für eine Reportage über Kokain-Bekämpfung in Kolumbien. Es war dort nicht so, dass es ständig Gefechte gab, aber es lag eine permanente Bedrohung in der Luft. Das hat die gesamte zivile Infrastruktur lahmgelegt. Es gab keine Läden, keine Beizen, die Leute vermieden es, auf die Strasse zu gehen. Sprachlosigkeit und Vereinsamung machten sich breit.
Da fassten Sie einen Entschluss.
Als gelernter Koch dachte ich mir: Wir müssen dort Beizen machen, wo es keine mehr gibt. Dort, wo Konflikte sind oder waren, sollten verschiedene Parteien zusammen essen können. Und so wieder miteinander in einen Dialog kommen.
In Kenia waren Sie erfolgreich damit. Wie muss ich mir das dort vorstellen?
Das Gebiet, in dem wir waren, besteht aus Busch, so weit das Auge reicht. Eine trockene und sehr unzugängliche Ebene, in der sofort die Orientierung verliert, wer sich da nicht auskennt.
Wem dient das kulinarische Friedensprojekt dort?
In diesem Gebiet Kenias gibt es zwei seit langer Zeit verfeindete Gruppen. Die Turkana und die Pokot. Sie fochten traditionelle Kämpfe aus. Längst sind die beiden Volksgruppen aber von verschiedensten Warlords in der Gegend instrumentalisiert. Um die Waffenlieferungen zu schützen, die durch ihre Gebiete zu den Rebellenarmeen im Sudan und nach Uganda gekarrt wurden, hat man Pokot und Turkana bewaffnet. Durch die Kalaschnikows wurden die Auseinandersetzungen dann untereinander viel grausamer.
Was haben Sie konkret getan?
Wir haben dort vor zehn Jahren eine Beiz gebaut. Calabash heisst das Restaurant. Es ist heute unabhängig und wird nun von beiden Volksgruppen betrieben und besucht.
Das beliebteste Essen im Calabash?
Gegrillte Ziege, ganz klar. Wir haben extra eine Ziegenherde angeschafft.
Ihr schönster Moment in Kenia?
Das Eröffnungsfest! Wir hatten ziemlich Angst davor, was passieren würde. Die Armee schickte sogar Soldaten. Um drei Uhr nachmittags war noch niemand da, und wir dachten, dass auch keiner kommen wird. Es kamen über 800 Leute, und es war ein fröhliches, verbindendes Fest. Alle waren unbewaffnet, die Pokot und Turkana bewegten sich zuerst scheu umeinander herum. Und dann beim Tanzen verschmolzen die beiden Gruppen. Das halte ich noch heute für einen der schönsten Momente der Cuisine.
Und dann war Frieden?
Nein, sie waren keine dicken Freunde. Und es gab immer wieder Konflikte danach. Aber es war, als ob ein Akupunkturpunkt getroffen wurde, der zeigte: Es ist möglich.
Ist es nicht anmassend, als Schweizer Koch das Gefühl zu haben, Frieden zu bringen in Konflikte anderswo auf der Welt?
Es wäre anmassend, wenn wir denken würden, dass wir den Frieden bringen. Das tun wir nicht. Wir leisten einen kleinen Beitrag dazu. Was ich gelernt habe in den Jahren: Die Konflikte sind meist nicht ihre eigenen Konflikte. Der Feind ist oft nicht der Nachbar. Der Konflikt kommt von aussen. Der Feind, das sind oftmals wir. Der Frieden muss zwischen diesen ungeheuer raubtierkapitalistischen Ansprüchen des Westens und der lokalen Bevölkerung hergestellt werden. Das geht uns alle etwas an. Auch mich, den Schweizer Koch.
Machen Sie ein Beispiel dafür.
Nehmen wir die Huaorani im Amazonas. Diese ethnische Gruppe lebt seit mindestens 2000 Jahren so, wie sie leben. Und es funktioniert. Sie haben den Dschungel nicht zerstört. Sie lebten in einer Balance. Natürlich haben sie andere, uns fremde Gewohnheiten. Dass sie Krieg führen untereinander, beispielsweise. Das ist eine Männergeschichte, die streng rituell ist. Dann kamen zuerst die Missionare, die diese Balance durcheinanderbrachten. Und seit ein paar Jahrzehnten sind es Erdölfirmen, die den Wald abholzen und Flüsse vergiften. Diesen Frühling sind am Rio Napo, wo wir ebenfalls ein Projekt haben, 2,5 Millionen Liter Erdöl in den Fluss gelangt, weil eine Ölpipeline brach. Eine gigantische Umweltkatastrophe.
Davon habe ich nichts mitbekommen.
Wir waren alle zu sehr mit Corona beschäftigt. Wir lasen Anfang Jahr davon, dass der Amazonas in Brasilien brennt. Jetzt hören wir nichts mehr davon. Aber die Zerstörung des Amazonas geht weiter, jeden Tag.
Welche beiden Menschen würden Sie gern zusammen an den Esstisch setzen?
Den ehemaligen Nestlé-Chef Peter Brabeck und die Künstlerin und Köchin Sandra Knecht. Die beiden liegen mit ihren Ansichten meilenweit auseinander.
Wer etwas wagt, muss auch Rückschläge einstecken. Welche haben Sie erlebt?
Ein Projekt in den Favelas von Brasilien mussten wir wieder aufgeben. Das Restaurant funktionierte zwar, aber die verfeindeten Drogenbanden setzten sich nicht gemeinsam an den Tisch.
Was haben Sie von den Menschen gelernt, mit denen Sie zusammengearbeitet haben?
Es gibt ein Prinzip bei den indigenen Volksgruppen im Amazonas: das gute Leben. Es bedeutet, aus dem Bestehen das Beste zu machen. Also nicht ständig danach zu streben, alles zu verändern und auszuweiten. Für mich ist das etwas, was auch uns wohl anstehen würden: nicht immer noch mehr zu wollen.
Es gibt einen Trend zu mehr regionalen und saisonalen Produkten.
Dieses Gerede geht mir auf den Wecker. Als ich Kind war, war das normal. Jetzt tut man so, als ob man etwas Neues erfunden hat. Regional und saisonal einzukaufen, bedeuten nichts anderes, als zur Normalität zurückzukehren.
Das ärgert Sie wirklich.
Es gibt auch viele gute Entwicklungen, das will ich betonen. Aber es gibt Beispiele, wie wir den Lebensraum verändern mit unseren Trends. Es gibt im Amazonas beispielsweise eine Pflanze namens Guayusa. Es ist ein Getränk, das die Kichwa seit Jahrtausenden frühmorgens trinken. Dann kam eine Entwicklungsorganisation und sagte: Guayusa ist toll, das müssen wir als neues Energy-Getränk propagieren. So kann die arme Landbevölkerung es auf Plantagen anbauen und damit Geld verdienen.
Eine einleuchtende Idee.
Wir zerstören damit die traditionelle Lebensweise. Vorher hatten die Kichwa Guayusa und andere Sachen gesammelt für den Eigenbedarf und Yucca angepflanzt. Jetzt haben sie eine Plantage und müssen sich darum kümmern, was zeitaufwendig ist. Direkt vermarkten können sie das Guayusa nicht, sie sind also auf einen Zwischenhändler angewiesen. Das Geld aus dem Verkauf brauchen sie, um Nahrung zu kaufen – vor allem Reis und Bohnen, die nicht von dort sind. Zuvor hatten sie das Essen aus dem Dschungel. Sie gelangen damit in unseren Wirtschaftskreislauf, in dem sie ihre Eigenständigkeit verlieren.
Sie leben mit Ihrer Frau in Ecuador. Weshalb?
Ecuador hat viele Nachteile. Die Korruption, geringe Einkommensmöglichkeiten, eine schlechte Infrastruktur. Aber auf der anderen Seite auch eine ungeheure Freiheit. Ich kann dort ein Haus bauen und muss nicht jede Treppenstufe abnehmen lassen, und mein Hund muss kein Märkli haben. Ich bin selber verantwortlich dafür, dass er geimpft ist. Auch selber verantwortlich, wenn meine Grossmutter gepflegt werden muss, und wenn mein Hund verschwindet, kann ich nicht bei der Polizei anrufen, und die sucht ihn. Ich habe Eigenverantwortung. Seit Corona ja ein grosses Wort. Mehr Eigenverantwortung bedeutet für zugleich aber auch mehr Freiheit. Darum gefällt es mir in Ecuador mittlerweile besser.
Sie haben trotzdem die Sicherheit der Schweiz.
Ich bin der Schweiz sehr dankbar dafür. Die Schweiz ist meine Heimat. Ohne die Schweiz hätte ich das alles nicht tun können.
Corona beschränkt das gemeinsame Essen auch hierzulande. Welche Auswirkungen hat es, wenn das Zusammensein beim Essen fehlt?
Gemeinsames Essen ist ein starker sozialer Kitt. Es muss am Tisch nicht immer über Weltbewegendes gesprochen werden. Es geht darum, zusammenzukommen und im Austausch zu bleiben. Verlieren wir diesen sozialen Kitt, ist das oft der Anfang von Konflikten.
David Höner: «Kochen ist Politik. Warum ich in den Dschungel gehen musste, um Rezepte für den Frieden zu finden». Westend Verlag.
David Höner (65) ist im Zürcher Oberland aufgewachsen und arbeitete nach seiner Koch-Ausbildung als Küchenchef, Tangolehrer und Gastro-Journalist. 1994 zog er mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn nach Ecuador. 2005 gründete er die Hilfsorganisation Cuisine sans frontières. Die durch Spenden finanzierte Organisation bittet rund um den Globus zu Tisch, um Konflikte zu lösen und die Gemeinschaft zu fördern. Unter den Projekten ist eine Bäckerei, die Frauen in einem Gefängnis in Ecuador eine Zukunftsperspektive gibt, eine Gemeinschaftsküche in Thessaloniki, eine Gastro-Ausbildung für Flüchtlinge in Georgien und monatliches Kochen im Bundesasylzentrum in Zürich. Aktuellstes Projekt ist der Aufbau eines Gemeinschaftszentrums im Kongo. Höner lebt mit seiner Frau in Quito (Ecuador).
David Höner (65) ist im Zürcher Oberland aufgewachsen und arbeitete nach seiner Koch-Ausbildung als Küchenchef, Tangolehrer und Gastro-Journalist. 1994 zog er mit seiner Frau und dem gemeinsamen Sohn nach Ecuador. 2005 gründete er die Hilfsorganisation Cuisine sans frontières. Die durch Spenden finanzierte Organisation bittet rund um den Globus zu Tisch, um Konflikte zu lösen und die Gemeinschaft zu fördern. Unter den Projekten ist eine Bäckerei, die Frauen in einem Gefängnis in Ecuador eine Zukunftsperspektive gibt, eine Gemeinschaftsküche in Thessaloniki, eine Gastro-Ausbildung für Flüchtlinge in Georgien und monatliches Kochen im Bundesasylzentrum in Zürich. Aktuellstes Projekt ist der Aufbau eines Gemeinschaftszentrums im Kongo. Höner lebt mit seiner Frau in Quito (Ecuador).