Als der Crémant de Wallonie vom Weingut Chant d'Éole 2019 bei einem Wettbewerb die Goldmedaille in der Kategorie Schaumwein international bekommt, machen Weinkenner grosse Augen. «Ein köstlicher Wein», sagt Marc Declerck, Chef der Gourmetführer-Marke «Gault&Millau» in Belgien zu dem Tropfen, der sich auch gegen Hunderte verschiedene Champagner aus Frankreich durchsetzte.
Vor einigen Jahrzehnten wäre der Weinbau in dem Land im heutigen Ausmass nicht möglich gewesen, sagt Declerck. Aber im Gegensatz zu südeuropäischen Landwirten könnten Winzer in Belgien sich die mit dem Klimawandel durchschnittlich steigenden Temperaturen zunutze machen.
Forscher aus Frankreich schreiben in einer Studie, dass in Europa allgemein die Gebiete nördlich des 46sten Breitengrades – der Linie, auf der etwa Bern, das österreichische Sölden und das französische Poitiers liegen – von der globalen Erwärmung profitieren. Es werde erwartet, dass sich neue Weinregionen nach Norden ausdehnen, vor allem entlang des Atlantiks.
In traditionellen Weinbauregionen werde die geeignete Fläche wegen des Klimawandels den Forschern zufolge bis Ende des Jahrhunderts deutlich zurückgehen. Denn: «Die Kombination aus steigenden Temperaturen und geringeren Niederschlägen wird in Südiberien, im mediterranen Frankreich und Spanien, in der Po-Ebene, in den Küstenregionen Italiens, auf der Balkanhalbinsel und im Südwesten des Schwarzen Meeres zu schweren Dürreperioden führen», so die Wissenschaftler.
So haben zum Beispiel in Frankreich die Winzerinnen und Winzer zu kämpfen: Wasserstress im Süden, Schäden durch Starkregen und Hitzewellen und Einbussen durch Nachtfrost im Frühjahr machten sich in den vergangenen Jahren immer wieder bemerkbar. In Italien fiel die Lese wegen der klimatischen Gegebenheiten immer geringer aus, auch in Spanien leiden die Weinbauern unter immer heisseren Sommern, längeren Dürreperioden und Wetterextremen. Viele Kellereien reagieren und setzen unter anderem auf nachhaltigere Anbaumethoden und hitzeresistentere Rebsorten.
Selbst in Belgien ist mit Blick auf die Auswirkungen des Klimawandels nicht alles super, sagt Jelle Steel vom Weingut Entre Deux Monts in Westflandern: Weil Wetterlagen unvorhersehbarer und ungleichmässiger seien, müsse man viel mehr auf den Weinberg schauen. Generell aber würde es mit dem Weinbau einfacher. Das zeigen auch die Zahlen. Nach Angaben des belgischen Wirtschaftsministeriums wurde 2023 so viel Wein im Königreich hergestellt wie noch nie zuvor. Auch die Zahl der Winzer und der bewirtschafteten Hektar wuchs.
Vor allem die Nähe zum Meer mache Wein aus Belgien besonders, sagt Steel. «Wir haben diese Meeresbrise, die die meisten anderen Weinregionen mit kühlem Klima nicht haben.» Dabei sei Belgien laut Experte Declerck wegen des nördlichen Klimas vor allem bei Schaumweinen stark. Fast die Hälfte aller hier produzierten Weine sind ihm zufolge prickelnd. Weitere 35 Prozent sind Weissweine, der Rest ist Rot- oder Roséwein. Das passt zu belgischen Fritten: Zu den fettigen Pommes müsse am besten etwas mit Säure oder Bubbles getrunken werden, sagt Steel – ein Sekt oder ein Weisswein etwa.
In den vergangen zwanzig Jahren hat sich die Qualität des Traubensaftes aus dem Land zwischen Ardennen und Nordsee Experten zufolge stark verbessert. Im Juni erschien die erst zweite Ausgabe des «Gault&Millau»-Weinführers für das westliche Nachbarland Deutschlands.
Auch der Boden trägt zum Erfolg bei: Das Weingut Le Chant d'Eole mit dem prämierten Cremant etwa befindet sich auf der gleichen Kalksteinader wie die Region Champagne in Frankreich. Der weisse Kreideboden, der im Winter – während der feuchtesten Monate – Feuchtigkeit speichert und sie im Sommer – wenn die Reben sie am meisten brauchen – wieder abgibt, sei für ihre Erzeugnisse charakteristisch, sagt Sprecherin Amélie Wuillaume. Ob sich die Franzosen Sorgen machen müssen? Keinesfalls, sagt Declerck. «Wir lieben grossen Champagner und wir glauben, dass sich daran nichts ändern wird!» Es sei viel mehr ein «und» statt ein «oder».