Kantonsverfassungen
Parlament winkt umstrittene Kantonsverfassungen durch

Aus Sicht des Parlaments verstossen weder das Verhüllungsverbot im Kanton Tessin noch die Einbürgerungsbestimmungen des Kantons Bern gegen Bundesrecht. Nach dem Ständerat hat am Mittwoch auch der Nationalrat die umstrittenen Kantonsverfassungen gutgeheissen.
Publiziert: 11.03.2015 um 12:31 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 01:49 Uhr

Bei einem Teil des Nationalrats stiessen die beiden kantonalen Verfassungsänderungen allerdings auf Widerstand. Vertreter der Grünen sowie der SP wollten weder die Berner Einbürgerungsbestimmungen noch das Tessiner Verhüllungsverbot akzeptieren.

Letzteres war im September 2013 vom Tessiner Stimmvolk deutlich angenommen worden. Seither ist es im Südkanton verboten, das Gesicht im öffentlichen Raum und an allgemein zugänglichen Orten zu verhüllen.

Obwohl das Gesichtsverhüllungsverbot gegen die Religionsfreiheit verstossen könnte, empfahl der Bundesrat die Gewährleistung der Verfassungsänderung. Er verwies dabei auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom Juli 2014, gemäss dem ein ähnliches französisches Gesetz nicht gegen die Menschenrechtskonvention verstösst.

Es gebe keinen Grund, dies anders zu sehen, sagte Kurt Fluri (FDP/SO) im Namen der Staatspolitischen Kommission. Silvia Schenker (SP/BS) bezeichnete das Verhüllungsverbot hingegen als unverhältnismässig «angesichts der kleinen Anzahl von Burka-Trägerinnen im Tessin». Schliesslich gewährleistete der Nationalrat die Tessiner Verfassung mit 117 zu 65 Stimmen bei 12 Enthaltungen.

Von den neuen Einbürgerungsbestimmungen des Kantons Bern stiess bei der Ratslinken insbesondere ein Passus auf Ablehnung: Nach diesem soll nicht mehr eingebürgert werden, wer Leistungen von der Sozialhilfe bezieht oder bezogene Leistungen nicht vollumfänglich zurückbezahlt hat. Die Bestimmung geht zurück auf eine Volksinitiative der Jungen SVP, die im November 2013 angenommen worden war.

Die Mehrheit des Nationalrats folgte aber auch hier dem Ständerat. Die Berner Verfassung verweise ausdrücklich auf den Rahmen des Bundesrechts. Deshalb bestehe genügend Spielraum, um die Einbürgerungsinitiative bundesrechtskonform anzuwenden, so die vorherrschende Meinung.

«Wir dürfen davon ausgehen, dass der Kanton Bern die Ausführung so formuliert, dass sie dem Bundesrecht nicht widerspricht», sagte Kurt Fluri. Sei das nicht der Fall, müssten sich betroffene Personen auf dem Rechtsweg wehren. Dieses Risiko dürfe das Parlament nicht eingehen, sagte Balthasar Glättli (Grüne/ZH). Es dürfe nicht sein, dass eine Einzelperson für die Einhaltung des Bundesrechts kämpfen müsse.

Aus der Sicht Glättlis wäre eine Gewährleistung unter Vorbehalt das richtige Vorgehen gewesen. Dies habe die vorberatende Kommission zwar diskutiert, schliesslich aber davon abgesehen.

Wird der neue Berner Verfassungsartikel ausnahmslos angewendet, könnte dies gegen das Diskriminierungsverbot, das Gleichbehandlungsgebot oder das Verhältnismässigkeitsprinzip verstossen - darin sind sich Parlament und Bundesrat einig. Justizministerin Simonetta Sommaruga nannte das Beispiel einer Person, die wegen einer Behinderung auf Sozialhilfe angewiesen ist. In diesem Fall könnte eine strikte Anwendung gegen das Bundesrecht verstossen.

Es sei nicht Aufgabe des Parlaments zu beurteilen, «ob es eine kantonale Verfassungsänderung gut oder schlecht findet», sagte Sommaruga. Die Frage sei einzig, ob die Verfassung bundesrechtskonform umgesetzt werden könne.

Die weiteren Hürden, die die Berner Verfassung bei Einbürgerungen aufstellt, waren im Nationalrat unumstritten: So soll nicht mehr eingebürgert werden, wer einmal zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist. Gefordert werden zudem «gute Kenntnisse einer Amtssprache».

Neben den beiden Verfassungen gewährleistete der Nationalrat am Mittwoch auch jene der Kantone Uri, Solothurn, Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Appenzell Innerrhoden, Appenzell Ausserrhoden, Waadt und Jura.

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