«Mir fehlt das Meer»
1:26
Japanerin im Dorf Robasacco TI:«Mir fehlt das Meer»

Japanerin Atsuko Yamada-Lafranchi (47) lebt seit 20 Jahren in der Südschweiz
«In Robasacco fand ich mein Heidi-Land»

Weil sie sich in einen Tessiner Gourmetkoch verliebte, landete die gelernte Englisch-Dolmetscherin Atsuko Yamada-Lafranchi in einem Tessiner 109-Seelen-Nest.
Publiziert: 29.07.2019 um 00:20 Uhr
1/16
Führen seit 20 Jahren mit viel Erfolg die Osteria Lafranchi in Robasacco: Atsuko (47), von allen Akko genannt, und Stefano Lafranchi (51).
Foto: Remy Steinegger
Myrte Müller

Ein paar Dinge in der 100 Jahre alten Osteria erinnern noch an die Heimat. Auf dem Tresen liegen Japan-Führer. Neben dem Hauswappen der Familie Lafranchi hängt eine Kalligrafie. Und im Garten, zwischen weissen Kieseln, hockt eine Steinlaterne. Von dort aus öffnet sich der Panoramablick auf die Magadino-Ebene und die gegenüberliegende Bergkette.

«Das ist mein Heidi-Land», sagt Atsuko Yamada-Lafranchi (47). Die Japanerin breitet die Arme aus und strahlt. «Ich komme aus Kyoto, habe in New York gelebt, in Vancouver und in Sydney. Doch hier in Robasacco ist es am allerschönsten.» 

Viel hat das Nest am Monte Ceneri nicht zu bieten: Eine Kirche, ein Spielplatz, ein gutes Restaurant – und eben «Akko», die Japanerin, die vor genau 20 Jahren in Robasacco strandete und seitdem für Wirbel sorgt.

Von Japan über Australien ins Tessin

Ihre Geschichte beginnt in Australien. Stefano Lafranchi (51) ist damals Gourmetkoch im Hotel Hilton von Sydney. Und Akko, die gelernte Englisch-Dolmetscherin jobbt in einem Working-Holiday-Programm als Verkäuferin. «Wir trafen uns in einer Bar und es war Liebe auf dem ersten Blick», sagt Akko. Dann läuft Stefanos Visum ab. Er muss heim nach Robasacco TI. Atsuko Yamada-Lafranchi geht mit.

«Als ich hier ankam, standen alle Bewohner auf der Strasse und starrten mich an. Zwar lebte im Ort eine Türkin, doch eine Asiatin hatten die meisten älteren Leute noch nie gesehen», sagt die Japanerin. Viele seien skeptisch gewesen, erinnert sich Nachbarin Ramona Berdondini (43), «man wusste ja nichts von Japan». Das sollte sich schnell ändern.

Stefano Lafranchi übernimmt die Osteria von seinem Onkel. Akko lernt im Nu Italienisch. Sogar ein paar Brocken Dialekt kann sie. Während der Ehemann in der Küche steht, schmeisst sie den Laden vor und hinter dem Tresen. Bald steht neben Pasta und Polenta auch Sushi auf dem Menü. «Das hat am Anfang nur wenigen im Dorf geschmeckt», sagt Akko und lacht. Mittlerweile sind ihre «Asiatischen Wochen» im ganzen Kanton bekannt. 

Hochzeit im Dorf mit Traktor und Kimono

Als die beiden am 28. Juli 2001 in der Dorfkirche heiraten, steigt ein Volksfest. Das Brautpaar wird auf dem geschmückten Traktor durch den Ort gekarrt. Schweizer und japanische Fahnen flackern im Fahrtwind. Dörfler und Akkos Verwandte im Kimono folgen. Der bunte Umzug endet mit Alphorn-Ständchen. Spätestens jetzt ist das Eis im Dorf gebrochen. 

Der Korber Candido Gambetta (80) hat sich an Robasaccos Japanerin gewöhnt. «Sie ist super, sehr fleissig und diskret. Ich habe in der Osteria sogar meinen 80. Geburtstag gefeiert», sagt «Candidino» und spendiert Akko einen «Cichetin», wie sie einem kleinen Drink hier sagen. «Akko ist längst eine von uns», so der Rentner.

Auch in der Grossgemeinde Cadenazzo TI, wovon Robasacco seit 2004 Ortsteil ist, weiss man von der japanischen Osteria-Wirtin. «Sie ist ein gutes Beispiel für perfekte Integration», sagt Arnaldo Caccia (65). Seit 32 Jahren ist er Gemeinderat, war 15 Jahre Vizegemeindepräsident, steht noch immer dem lokalen Fussballklub vor. «So manche Vereinssitzung findet bei Akko statt», sagt Caccia.

Multikulti in Robasacco

Viele Senioren, die 1999 die Exotin bestaunten, sind heute tot. Ins Nest oberhalb der A 2 sind inzwischen auch Jüngere gezogen. «Mittlerweile leben hier auch ein Kroate, ein Portugiese, ein Deutscher, eine Russin und wir haben deutschsprachige Feriengäste», erklärt Akko.

Nicolas Giger (35), Architekt aus dem Ort, findet diese Entwicklung toll: «Robasacco ist ein kleines, gemütliches Tessiner Dörfchen. Jetzt gibts hier ein wenig Multikulti.»

Einmal im Jahr reist Akko mit ihrem Stefano nach Japan. Dann macht sie das eigentlich Einzige, was ihr in Robasacco fehlt. «Ich gehe shoppen und ans Meer», sagt die ehemalige Grossstadtpflanze. Doch nach wenigen Wochen hat sie Heimweh – nach Robasacco.

Robasacco, einst Räuberschreck

Der Dorfname stammt aus einer finsteren Zeit. Robasacco setzt sich aus «rubare» (stehlen) und «sacco» (Sack) zusammen. Im Mittelalter wurden hier Banditen gepfählt, die auf dem Saumweg von Bellinzona über den Monte Ceneri gen Süden die Reisenden überfielen. Heute erinnert vor allem die Kapelle San Leonardo aus dem Jahr 1205 an die lange Geschichte des Tessiner 109-Seelen-Orts. Seit dem 13. März 2005 gehört Robasacco zur Gemeinde Cadenazzo TI. Das Dorf lockt seit einigen Jahren wegen der Nähe zu Bellinzona junge Familien an, darunter auch Ausländer.

Der Dorfname stammt aus einer finsteren Zeit. Robasacco setzt sich aus «rubare» (stehlen) und «sacco» (Sack) zusammen. Im Mittelalter wurden hier Banditen gepfählt, die auf dem Saumweg von Bellinzona über den Monte Ceneri gen Süden die Reisenden überfielen. Heute erinnert vor allem die Kapelle San Leonardo aus dem Jahr 1205 an die lange Geschichte des Tessiner 109-Seelen-Orts. Seit dem 13. März 2005 gehört Robasacco zur Gemeinde Cadenazzo TI. Das Dorf lockt seit einigen Jahren wegen der Nähe zu Bellinzona junge Familien an, darunter auch Ausländer.

Unter Schweizern

Über zwei Millionen Ausländer leben in der Schweiz, viele in den Städten und Agglomerationen. Daneben gibt es Dörfer, die ihre Ausländer an einer Hand abzählen können, wo diese fast noch exotisch sind. BLICK besucht rund um den 1. August solche Orte und schaut, wie das Zusammenleben ist.

Über zwei Millionen Ausländer leben in der Schweiz, viele in den Städten und Agglomerationen. Daneben gibt es Dörfer, die ihre Ausländer an einer Hand abzählen können, wo diese fast noch exotisch sind. BLICK besucht rund um den 1. August solche Orte und schaut, wie das Zusammenleben ist.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?