Vielleicht liegt es an der Weite seines Anwesens, eine Autostunde östlich von London, dass Jason Cheetham ein wenig verloren wirkt, wie er da auf einer Bank sitzt und auf die ruhigen Wellen seines Forellenteiches blickt und raucht. Selbst die Wölkchen, die er in die Richtung der untergehenden Abendsonne schickt, scheinen melancholisch. Dies hier ist der Platz, an dem er über die Welt nachdenkt, über die Musik und sich selbst. Hier ist der Platz, an dem er einfach nur er selbst sein darf. An dem er Kraft schöpft, die er dann in die Welt hinaus trägt, auf CDs brennt und für Fr. 36.90 verkauft.
Jason alias Jay Kay, wie sich der Sänger von Jamiroquai nennt, hat in Buckinghamshire sein Paradies gefunden. Das Herrenhaus erinnert an Tea-Time mit Cookies und strickende alte Damen vor dem Kamin. Selbst der bucklige Kater, der zum Mäusejagen schon längst zu alt geworden ist, fehlt in diesem Bild nicht. Es ist eine Welt, die direkt aus einem Jane-Austen-Roman herausgefallen sein könnte – mit Blümchentapete und adrett gekleideten Herren in blankgeputzten Stiefeln.
«Ich habe vor zwei Jahren mit den harten Drogen aufgehört»
Nur, wenn der Kokain-Dealer früher dreimal am weissen Tor klingelte und sein Geld verlangte, verblasste die Romantik à la «Stolz und Vorurteil». Damals schien hinter dem friedlichen Anblick die Realität eines Musikers auf, der schon seit 15 Jahren in seinem harten Geschäft Höhen und Tiefen erlebte. Aber heute sitzt er auf seiner Bank und die Songs im Kokain-Rausch sind so fern wie die elfenbeinfarbenen Strände der Karibik, wo er vor rund zwei Jahren das Album «Dynamite» schrieb. «Damit ist Schluss», sagt Jay und zieht noch einmal an seiner Zigarette. «Ich habe vor zwei Jahren mit den harten Drogen aufgehört und dabei ist es bisher geblieben.» Klingt überzeugend, aber schliesslich hört man nie auf ein Kokainist zu sein – man ist halt nur «trocken». Dafür raucht er noch immer gern und reichlich Haschisch.
Es gibt Künstler, die das System eines voreingenommenen Journalisten austricksen. So einer ist auch Jay. Er gibt ausgesuchte Informationen preis, die Aufhänger-Charakter besitzen, und schon muss man nicht mehr über Dinge sprechen, die in die Tiefe gehen. Vielen Musikern ist es ein Gräuel, über intime Dinge zu reden. Und wenn sie diese Gespräche verweigern, verselbständigt sich die Berichterstattung und ein handfester Skandal folgt dem nächsten. Der Jamiroquai-Sänger weiss das genau, hat aus den Schlägereien mit den Paparazzi gelernt und gibt deshalb eine Menge von sich preis – alles in bester Secondhand-Qualität. Es ist leichter, über Dinge zu sprechen, die man bereits verarbeitet hat und die einen nichts mehr angehen.
Vor jeder Veröffentlichung spielt er ein paar Tage den Hampelmann, der sich den Wünschen der Medien beugt. So kann es schon einmal passieren, dass Jay an ein und demselben Tag einem Frauenmagazin sagt, dass er einsam ist und natürlich auf der unendlich schwierigen Suche nach seiner Traumfrau. Aber trotzdem viel zu schüchtern, um eine anzusprechen. Und einer Männerzeitschrift sagt er, dass er wie seine Autos auf der Überholspur lebt, den Fuss immer auf dem Gaspedal.
Aber sucht man den echten Jason Cheetham, bleibt davon fast alles auf der Strecke. «Frag mich etwas und ich antworte. Die Leute hören doch sowieso nur das, was sie hören wollen.» Natürlich ist es spannend zu erfahren, dass das neue Auto des passionierten PS-Sammlers, ein Mercedes-Benz 600, einst Coco Chanel gehörte. Aber hinter dem Vergaser und den vielen Ventilen ist ein Mensch, der, plötzlich von allen Fragen abgelenkt, einer Libelle seine Aufmerksamkeit schenkt. «Ist sie nicht schön? Vor 320 Millionen Jahren flogen sie hier schon rum und sind immer noch da. Wir sind doch ein Witz dagegen.»
Manchmal teilt Jay das eine oder andere mit uns, von dem er nicht so gern spricht – wie zum Beispiel seine Kindheit. Seinen Vater hatte er lange nicht mehr zu Gesicht bekommen. Erst vor drei Jahren haben sich die beiden in Thailand endlich wiedergesehen. Wie es war, wissen nur seine engsten Freunde.
Oder seine Mutter, eine jüdische Sängerin, die als Kind adoptiert wurde und als Karen Kay am 30. Dezember 1969 ihrem Sohn das Leben schenkte. Dem kleinen Jason Kay stand nicht unbedingt das beste Leben in Aussicht. Noch bevor er ein Jahr alt wurde, erhielt die Mutter Engagements in Las Vegas und später in Nigeria. Auch wenn sie selten arbeitslos war, lebte Jay in ärmlichsten Verhältnissen. Nachts mussten die Beiden oft die Stadt verlassen und im Auto schlafen, weil sie nicht in der Lage waren, das Hotelzimmer zu bezahlen.
Als Karen Kay Anfang der 80er endlich eine eigene Sendung bei BBC bekam, schien sich alles zum Guten zu verändern. Jason ging zum ersten Mal in seinem Leben regelmässig zur Schule, auf die Oakham School in Rutland, und hatte ein richtiges Zuhause. Karen Kay war bestimmt bemüht, ihrem Kind eine gute Mutter zu sein – und bekam für ihren früheren Lebensstil die Quittung: Jay wurde regelrecht besessen von dem Gedanken, auch einmal Musiker zu werden, was Karen Kay die grössten Sorgen bereitete. Schliesslich brach er die Schule ab, um sich mit Gelegenheitsjobs genug Geld für Instrumente zu beschaffen. «Es war ihr sogar peinlich, von mir zu sprechen, wenn sie an meine Zukunftsaussichten dachte», erinnert sich Jay.
Heute verdient er Millionen – am Anfang war er obdachlos
Um sich seinen Lebenstraum zu erfüllen, zog er von zuhause weg und lebte ohne Dach über dem Kopf. Seine Geldbeschaffungsmethoden waren dabei nicht immer die ehrlichsten, aber schliesslich gehört ein ordentliches Strafregister in gewissen Musikerkreisen dazu wie das Amen in der Kirche. Und wie ein BWL-Studium dafür sorgt, dass der Banker Aufstiegschancen hat, so macht sich eine Vergangenheit als Kleinkrimineller gut im Lebenslauf eines solchen Musikers. Aber trotz allem – Jay hat zu seiner Mutter ein liebevolles Verhältnis.
Hier am See hinter dem Herrenhaus ist es still. Nur ein paar Vögel zwitschern ihr Lied, und ab und zu blökt eines der Schafe, die auch auf Jays Anwesen leben. Der Einzige, der diese Idylle stört, ist Jason selbst. Manchmal heizt er auf einem seiner Motorräder mit 200 Stundenkilometern über die Landstrasse, und das Geheul zerschneidet die Luft.
Wenn er nicht auf Tournee ist, versucht er sich von dem zu ernähren, was sein Grund und Boden hergibt. Der Umweltschutz ist ihm wichtig. Auch wenn er nach der öffentlichen Kritik an seinen Benzinschleudern ein wenig leiser den Öko-Jay gibt, kann Greenpeace sich nicht beschweren – ein guter Teil des Erlöses aus seinen Album-Verkäufen ging an die Umweltorganisation. Bei Millionen verkaufter Schallplatten kann man damit schon eine Menge Öltanker belagern, die den Treibstoff für die zehn Autos von Jay über die Weltmeere transportieren.
Heute ist Jay 36 Jahre alt und er sieht keinen Tag jünger aus, wie er da auf seiner Bank am See sitzt. Es gibt keine Frauen in seinem Leben. Es gab sie einmal, sie hiessen Wynona Ryder und zuletzt Denise van Outen. Das ist aber schon lange her. Angeblich arbeitet er zu viel und ist ständig unterwegs – die alltäglichen Probleme eines Prominenten halt. Anwärterinnen gibt es eine Menge, auch diejenigen, die sich mit körperlichen Argumenten auf seinem Beifahrersitz dekolletieren. Verurteilen kann man sie nicht, ist Jay doch mittlerweile millionenschwer, nur Erfolg haben sie dabei keinen. Verwandte ausser seinen Eltern gibt es auch keine – und so bleibt ihm nur seine Musik. Kein Wunder, dass er ein wenig verloren wirkt.