«Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand. Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit», warnte Steinmeier am Donnerstag in der Gedenkstätte Yad Vaschem in Jerusalem, die die Erinnerung an den Holocaust und seine Opfer wachhält.
Steinmeier ist der erste deutsche Bundespräsident, der in Yad Vaschem eine Rede hielt. Aus Respekt vor den Opfern sprach Steinmeier Englisch und nicht Deutsch, die Sprache der Täter.
«Die Täter waren Menschen. Sie waren Deutsche. Die Mörder, die Wachleute, die Helfershelfer, die Mitläufer: Sie waren Deutsche», betonte der Bundespräsident angesichts eines auch in Deutschland zunehmenden Antisemitismus. «Der industrielle Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden, das grösste Verbrechen der Menschheitsgeschichte - es wurde von meinen Landsleuten begangen.»
Steinmeier warnte davor, einen Schlussstrich unter das Erinnern zu ziehen. «Ja, wir Deutsche erinnern uns. Aber manchmal scheint es mir, als verstünden wir die Vergangenheit besser als die Gegenwart», erklärte er. «Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt. Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten (...) Das kann ich nicht sagen, wenn nur eine schwere Holztür verhindert, dass ein Rechtsterrorist an Jom Kippur in einer Synagoge in Halle ein Blutbad anrichtet.»
Deutschland müsse seiner historischen Verantwortung auch in Zukunft gerecht werden, forderte Steinmeier. «Die Flamme von Yad Vaschem erlischt nicht. Und unsere deutsche Verantwortung vergeht nicht. Ihr wollen wir gerecht werden. An ihr sollt Ihr uns messen.»
Deutschland werde weiter den Antisemitismus bekämpfen, dem «Gift des Nationalismus» trotzen, jüdisches Leben schützen und an der Seite Israels stehen. «Dieses Versprechen erneuere ich hier in Yad Vashem vor den Augen der Welt», bekräftigte der Bundespräsident.
Zu der Zeremonie in Yad Vaschem waren Dutzende Staats- und Regierungschefs aus aller Welt angereist, unter ihnen der russische Präsident Wladimir Putin, sein französischer Amstkollege Emmanuel Macron und US-Vizepräsident Mike Pence.
Der Präsident von Polen, das unter deutscher Besatzung Standort des Konzentrationslagers Auschwitz war, blieb der Veranstaltung indes wegen Differenzen mit Israel und Russland fern. Das Land will am 27. Januar eine separate Gedenkveranstaltung abhalten.
Im Nazi-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau westlich von Krakau wurden mehr als eine Million Menschen ermordet, die meisten von ihnen Juden. Rund sechs Millionen Juden insgesamt starben im von Nazi-Deutschland industriell organisierten Völkermord an den europäischen Juden, dem Holocaust.
(SDA)