Der Ständerat hiess am Donnerstag als Zweitrat eine IV-Revision gut, die auf diese Zielgruppen fokussiert. Die Stossrichtung war unbestritten: Es müsse alles getan werden, um zu vermeiden, dass Jugendliche zu IV-Rentnern würden, sagte Kommissionssprecher Joachim Eder (FDP/ZG). Pascale Bruderer (SP/AG) stellte fest, die Weichen würden früh gestellt.
Das Ziel ist, früher einzugreifen und die Betroffenen besser zu begleiten. Jugendliche sollen schon ab dem 13. Altersjahr der IV gemeldet werden können, wenn der Eintritt ins Berufsleben gefährdet ist. Psychisch beeinträchtigte Personen sollen bereits erfasst werden, wenn sie zwar noch nicht arbeitsunfähig, aber von länger dauernder Arbeitsunfähigkeit bedroht sind.
Weiter wollen der Bundesrat und das Parlament Fehlanreize korrigieren. So soll das Taggeld für junge Versicherte der Höhe eines Lehrlingslohnes angeglichen werden. Heute bekommen Jugendliche mit IV-Leistungen häufig mehr als einen üblichen Lehrlingslohn.
Für Rentnerinnen und Rentner mit einem Invaliditätsgrad zwischen 40 und 69 Prozent soll ein stufenloses Rentensystem eingeführt werden. Der Ständerat sprach sich mit 27 zu 17 Stimmen dafür aus. Mit dem neuen System will der Bundesrat erreichen, dass sich Arbeit für IV-Bezüger in jedem Fall lohnt. Mit dem heutigen System ist das wegen Schwelleneffekten nicht immer der Fall.
Eine Vollrente soll wie heute ab einem Invaliditätsgrad von 70 Prozent zugesprochen werden. Einen Antrag, erst ab einem Invaliditätsgrad von 80 Prozent eine ganze Rente auszurichten, lehnte der Rat mit 33 zu 9 Stimmen bei einer Enthaltung ab. Die Mehrheit befand, jemand mit einem Invaliditätsgrad von über 70 Prozent habe nur geringe Chancen auf eine Erwerbstätigkeit.
Die neuen Renten sind sofort von der Änderung betroffen. Schlechter weg kommen Personen mit einem Invaliditätsgrad zwischen 60 und 69 Prozent, die heute eine Dreiviertelsrente erhalten. Verbesserungen gibt es für Personen mit einem Invaliditätsgrad zwischen 40 und 59 Prozent.
Umstritten ist zwischen den Räten, ab welchem Alter die Besitzstandwahrung für laufende Renten gelten soll. Geht es nach dem Nationalrat, sollen Rentnerinnen und Rentner ab 60 Jahren beim Übergang zum neuen System keine Rentenkürzung in Kauf nehmen müssen. Der Ständerat will die Grenze bei 55 Jahren setzen. Für über 55-Jährige sei es schwierig, eine Arbeit zu finden, hiess es.
Auch in anderen Punkten sind sich die Räte nicht einig. Der Nationalrat möchte die Renten der Kinder von IV-Rentnerinnen und -Rentnern senken. Der Ständerat folgte stillschweigend dem Bundesrat und seiner Kommission und lehnte dies ab. Er will die «Kinderrente» auch nicht in «Zulage für Eltern» umbenennen.
Im Nationalrat hatten die Vertreterinnen und Vertreter der bürgerlichen Parteien argumentiert, es dürfe nicht sein, dass Familien mit IV-Rente besser gestellt seien als Familien, die ihren Unterhalt selber verdienten.
Die Ständeratskommission liess die Verhältnisse untersuchen - und kam zum Schluss, dass Familien mit Kinderrenten trotz Ergänzungsleistungen weniger Geld zur Verfügung haben als vergleichbare Familien ohne die Sozialleistungen. Eine Kürzung der Kinderrenten sei somit nicht angebracht, befand die Kommission.
Angepasst werden soll mit Blick auf die Zielgruppe der Kinder die Liste der Geburtsgebrechen, damit die IV die medizinischen Massnahmen besser steuern kann. Einige geringfügige Geburtsgebrechen werden gestrichen, wie Eder erläuterte. Dafür wird die Liste mit einigen seltenen Krankheiten ergänzt. Das System der medizinischen Massnahmen wird an die Kriterien der Krankenversicherung angelehnt.
Schliesslich sind neue Regeln zu den Gutachten geplant. Der Nationalrat hatte eingefügt, dass Interviews zwischen dem Versicherten und dem Gutachter protokolliert und in die Akten aufgenommen werden, sofern der Versicherte es nicht anders bestimmt.
Der Ständerat will auf die Protokollierung verzichten, auch aus Kostengründen. Die Interviews sollen stattdessen in Form von Tonaufnahmen in die Akten aufgenommen werden. Das Ziel sind bessere Grundlagen für beide Seiten bei Streitigkeiten.
Ausserdem will das Parlament mehr Transparenz: Die IV-Stellen sollen eine Liste mit Angaben über alle beauftragten Gutachter und über die attestierten Arbeitsunfähigkeiten veröffentlichen. Nach dem Willen des Ständerats soll das nur für die IV gelten, nicht für alle Sozialversicherungen. Hintergrund sind Vorwürfe, die IV bevorzuge für die Begutachtung Ärztinnen und Ärzte, die Versicherte für arbeitsfähig erklärten.
In der Version des Bundesrates würden mit der Reform 27 Millionen Franken eingespart, in der Version des Nationalrates 74 Millionen Franken. Mit den Beschlüssen des Ständerates dagegen hätte die Reform kaum noch Spareffekte. Sparen sei aber auch nicht das Ziel gewesen, hiess es im Rat. Die IV sei auf gutem Weg, es gehe um Optimierungen.
Die Vorlage geht nun zurück an den Nationalrat.
(SDA)