Anfang Woche reisten zwölf junge Journalistinnen und Journalisten aus sechs Ländern nach Zofingen AG. Dort befindet sich seit bald 50 Jahren die Ringier Journalistenschule. Die jungen Menschen kamen aus Serbien, Ungarn, der Slowakei, Rumänien, Ghana und Nigeria – und besuchten die erste von Ringier organisierte «Global School of Journalism». Sie besuchten Kurse, reisten nach Bern ins Bundeshaus und trafen sich mit Ringier-CEO Marc Walder zu einem Gespräch über Journalismus. «Der Austausch zwischen den verschiedenen journalistischen Kulturen war für alle bereichernd», sagt der Leiter der Ringier Journalistenschule, Peter Hossli. «Etwas hat uns verbunden: Die Lust, guten Journalismus zu machen.» Und Nina Siegrist, Head Editorial Ringier Global Media Unit, betont: «Ringier fördert junge Talente länderübergreifend – dadurch kann die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Redaktionen des Konzerns noch intensiver werden.»
Toblerone aus Bratislava
Von Marek Biró (27) und Matej Príbelsky (19), aktuality.sk, Slowakei
Ein Plakat zeigte das Gesicht des ersten slowakischen Premierministers Vladimir Mečiar (81) und eine idyllische Berglandschaft, dazu der Slogan «das Land des Herzens».
Journalisten enthüllten anschliessend, dass Mečiar nicht die slowakische Tatra zeigte, sondern die Schweizer Alpen. Der Premier drehte die Peinlichkeit in einen Witz und sagte, er werde 20 Jahre regieren – und in dieser Zeit aus der Slowakei eine «zweite Schweiz» machen.
Das war 1998, und die Slowakei ist nicht zur Schweiz geworden, trotz des seit der Staatsgründung 1993 wiederholten Versprechens der Politiker. Mečiar konnte den Abstieg in eine Autokratie stoppen, das Land ist Mitglied der EU und der Nato – aber keine Schweiz im Osten geworden.
Es gibt Ansätze. Wir kennen Volksabstimmungen, aber sie sind nur gültig bei einer Stimmbeteiligung von mindestens 50 Prozent. Wie bei der Abstimmung zum EU-Beitritt, als sich 52 Prozent beteiligten. Vor ein paar Jahren gab es eine Partei namens Priama demokracia, deren einziges Versprechen darin bestand, die direkte Demokratie analog zur Schweiz einzuführen. Sie schaffte es nicht an die Macht.
Zumal es irreführend ist zu glauben, allein die Urnengänge machten die Schweiz aus. Wir erkennen in der Schweiz etwas Besonderes: ein solides Fundament.
Die Slowakei ist ein junges Land. Nach Jahrzehnten des kommunistischen Totalitarismus fiel uns die Freiheit durch eine samtene Revolution in den Schoss. Wir müssen zuerst lernen, mit ihr umzugehen.
Die Schweiz hat das Gegenteil. Ihre Geschichte ist seit 150 Jahren modern und demokratisch. In dieser Zeit entstanden stabile Säulen, die den Staat und die Gesellschaft tragen. In der Slowakei glauben wir nach jeder Wahl, alles verändern und neu erfinden zu müssen. Sicher, wir hätten gern eine stärkere Wirtschaft, höhere Gehälter und Züge, die so pünktlich fahren wie in der Schweiz. Darum beneiden wir die Schweizer. All das werden wir aber erst haben, wenn wir aufbauen, was die Schweiz auszeichnet: einen stabilen und demokratischen Staat.
In einem Punkt sind wir der Schweiz aber nähergekommen: Ein Teil der weltberühmten Toblerone-Schokolade wird jetzt in Bratislava hergestellt. Schweizer Schokolade «Made in Slovakia»! Das Matterhorn musste von der Verpackung verschwinden. Jetzt hoffen wir, Toblerone mit der slowakischen Tatra zu schmücken – so wie sich Mečiar einst mit den Schweizer Alpen zierte.
Schweizer Seniorinnen wirken glücklicher als serbische
Von Iva Jevtić (22, Sportal) und Nemanja Vidić (28, Blic TV), Serbien
In Serbien gibt es das Lebensmotto der vier S: «Samo sloga Srbina spasava» – «Nur Einigkeit rettet unser Volk». Als wir durch die Zofinger Strassen liefen, fiel uns das Schweizer Pendant dazu ein: Stille, Sicherheit, Superlative und Stärke – vier S. Die Schweizer Stille ist wie keine andere. Sie strahlt Ruhe und Gelassenheit aus.
Ein Fremder spürt es. Und man kann es in den Gesichtern der älteren Menschen lesen. An unserem ersten Tag, im Zug von Olten nach Zofingen, sahen wir vier ältere Damen. Sie wirkten lebendiger, glücklicher als serbische Frauen gleichen Alters. Die monatliche Rente der Frauen in der Schweiz beträgt fast 3000 Franken, die der Männer über 4000 Franken, während Pensionierte in Serbien lediglich 238 Franken erhalten.
Erstaunt hat uns das Bewusstsein für die Umwelt. Als ob es nichts Wichtigeres gäbe. Sogar wenn es schneit, sind die Menschen mit dem Velo unterwegs.
Die Schweiz erinnert uns an den Musterschüler, dem man ansieht, dass er nur Sechser schreibt. So wie er dasitzt und den Stift hält. Das Gute an Sechser-Schülern ist: Sie sind in der Regel bereit, anderen zu helfen, vor allem denen, die freundlich zu ihnen waren.
Von «gegenseitigem Respekt» geprägt sei die Beziehung der beiden Länder, meinte der Schweizer Botschafter in Serbien. Wir erinnern uns an die Jugoslawienkrise in den Neunzigern. Trotz der gegen Serbien verhängten Sanktionen leistete die Schweiz kontinuierlich humanitäre Hilfe. Heute ist sie einer der sechs grössten ausländischen Investoren in Serbien: Schweizer Unternehmen beschäftigen bei uns fast 14’000 Menschen. Die Präsenz einer grossen serbischen Gemeinschaft in der Schweiz beeinflusst die Beziehungen ebenfalls.
Über eine Frage werden Schweizer und Serben wohl immer streiten: Wer ist der beste Tennisspieler aller Zeiten? Wir kennen die Antwort.
Proteste für die Medienfreiheit in Budapest
Von Edina Juhász (39, «Glamour») und Barbara Szabó (25, Noizz), Ungarn
Die Situation der ungarischen Medien ist schwierig unter der aktuellen Regierung. Die EU kritisiert dies, ebenso Menschenrechtsorganisationen und Medienverbände. Sie sagen, die Medien seien nicht frei genug, bemängeln die Medienvielfalt und sagen, der Staat nehme zu viel Einfluss. Als im Juli 2020 rund 80 Personen das ungarische Portal index.hu verliessen, weil sie eine unabhängige Berichterstattung nicht länger für möglich hielten, kam es in Budapest zu lauten Protesten für die Medienfreiheit. Die Lage hat sich seither nicht verbessert. Die Menschen in Ungarn misstrauen ihren Medien mehr als in den meisten anderen Ländern. Eine Mehrheit hält Blogs und Social-Media-Posts von Freunden für glaubhafter als die öffentlich-rechtlichen Medien.
Dabei ist es für Menschen weltweit wichtig, Zugang zu glaubwürdigen, objektiven und hochwertigen Informationen zu haben. Umso bedeutsamer war die Teilnahme an der «Global School of Journalism». Aus erster Hand erfuhren wir, wie Schweizer Journalistinnen und Journalisten mit Desinformation und Manipulationen umgehen. Denn im ungarischen Medienrauschen – das fast vollständig von politischen Themen bestimmt ist – kann man sich leicht verirren. Wir konnten uns in einem Umfeld inspirieren lassen, in dem andere Geschichten und Themen nicht in den Hintergrund geraten.
Was die Schweiz und Nigeria (nicht) gemeinsam haben
Von Samson Toromade (30, Pulse Nigeria), Nigeria
Als ich erfuhr, dass ich die «Global School of Journalism» in der Schweiz besuchen würde, empfand ich Respekt – Respekt vor den zahlreichen Zugfahrten vom Flughafen zum Hotel in Zofingen. Bislang war ich nur einmal Zug gefahren: vergangenes Jahr von Lagos, meinem Wohnort, nach Ibadan im benachbarten Bundesstaat Oyo. Es handelt sich um eine der wenigen Bahnlinien für 200 Millionen Einwohner, was zeigt, wie schlecht die Infrastruktur 63 Jahre nach Nigerias Unabhängigkeit ist.
Die Herausforderung schien unüberwindbar. Kurz hintereinander musste ich in drei Züge umsteigen, und das bei für mich ungewohnter Kälte. Witzigerweise half mir beim ersten Zug ein Halb-Nigerianer. Er arbeitete bei der Bahn, und als sich die Türen zwischen uns schlossen, sagte er mir, dass er gern nach Nigeria ziehen würde. Ich habe keine Ahnung, was ihn davon abhält. Gern hätte ich ihn gefragt, ob wir die Plätze tauschen sollen.
Das Tolle an den Schweizer Zügen ist ihre Zuverlässigkeit, die in Nigeria fehlt. In einer Stadt wie Lagos, in der schätzungsweise 20 Millionen Menschen auf engem Raum leben, herrscht ein höllisches Verkehrsproblem. Immerhin hat sich die Lage in den vergangenen Jahren verbessert. Die Regierung hat in diesem Jahr eine Eisenbahnlinie in Betrieb genommen, die 40 Jahre im Bau war.
Den Entwicklungsstand der beiden Länder zu vergleichen, scheint unfair, da Nigeria nicht über den Reichtum der Schweiz verfügt. Der langsame Fortschritt Nigerias ist nicht nur auf einen Mangel an Ressourcen zurückzuführen, sondern grösstenteils auf die fehlende moralische Kraft der Politiker. Viele stellen ihren persönlichen Profit über das Wohl der Bevölkerung. Erst wenn sich das verbessert, können Nigerianer wie Schweizer leben – vielleicht nicht morgen, aber früher, als es derzeit den Anschein macht.
Wenn ich etwas aus der Schweiz nach Hause mitnehmen könnte, wären es die Züge. Tschuutschuu!
Das soziale Vertrauen ist gross in der Schweiz
Von Alexandru Barbu (22) und Remus Dinu (27), «Gazeta Sporturilor», sowie Sebastian Pricop (30) und Alexandra Șerban (33), «Libertatea», Rumänien
Am 5. Dezember 2017 rückte die Schweiz für einen denkwürdigen Augenblick ins Zentrum von Rumänien: Damals starb König Michael (1927–2017) in seiner Residenz im Kanton Waadt. Er war Rumäniens letzter Royal und verbrachte die meiste Zeit seines Lebens ausserhalb seines Landes, ohne Titel und ohne königliche Privilegien. Er lebte in Lausanne und Versoix GE wie ein gewöhnlicher Bürger, arbeitete als Pilot und Automechaniker. Diese Lebensweise brachte ihn dem rumänischen Volk näher.
Als wir hierher kamen, verstanden wir die Welt besser, in der er lebte – und vielleicht auch, warum er die Schweiz gewählt hatte. Das soziale Vertrauen ist hier gross. Das Klischee, dass hier alles «funktioniert wie ein Schweizer Uhrwerk», stimmt tatsächlich. Einzigartig an der Schweiz ist wohl ihre direkte Demokratie: Hier stimmen alle über alles ab. In Rumänien sind wir weit davon entfernt.
Roger Federer, der «Schweizer Maestro», steht für den sportlichen Erfolg des Landes. Er ist in Rumänien genauso bekannt wie Stan Wawrinka und Martina Hingis. Wir hatten und haben einige grossartige Tennisspieler wie Ilie Năstase und Simona Halep, aber die Infrastruktur und die Ressourcen, die für die Entwicklung des Sports zur Verfügung stehen, entsprechen nicht denen der Schweiz.
Die Vergleiche zwischen den beiden Ländern haben natürlich einen bitteren Beigeschmack. Aber es gibt etwas, das ihn wettmachen kann: Schweizer Schokolade. Oder rumänischer Pálinka, ein Schnaps aus Aprikosen, Zwetschgen, Kirschen, Quitten oder Äpfeln.
Kälte am Bahnof, Wärme durch Gastfreundschaft
Von Kwame Boakye (31, Chefredaktor Pulse Ghana), Ghana
Vieles ging auf dieser Reise schief: ein umgebuchter Flug, ein verpasster Flug, ein verspäteter Flug und kein Internet in einem unbekannten Land. Nun galt es in Olten auch noch, einen letzten Zug zu finden, und dabei war es so kalt, wie die Mehrheit der Ghanaer die Fähigkeit ihrer Beamten beschreiben würde: unter null.
Doch in den folgenden Minuten wurde es plötzlich viel wärmer – nicht wegen des Wetters, sondern wegen der Geste einer Schweizer Familie am Bahnhof Olten. Vater, Mutter und ihr Sohn stiegen aus dem Zug, der Vater versuchte, das vierjährige Kind zu wärmen, und ich fragte ihn: «Wo kann ich bitte den Zug nach Zofingen finden?»
Was dann passierte, war mir nur von Ghanaern im Umgang mit Fremden bekannt. Der Vater fragte seine Frau, ob sie es wisse, da seine SBB-App gerade nicht funktionierte. Schliesslich führte mich die Familie zu einer grossen Tafel mit einem Fahrplan. Sie brachten mich bis aufs richtige Gleis, obwohl sie in die andere Richtung gehen mussten. Wie grosszügig.
Obwohl ich für alle meine Züge ein Billett hatte, überprüfte mich niemand. Der Schlüssel zu meinem Hotelzimmer lag in einem Briefkasten ausserhalb des Hotels, und meine Gastgeber verhielten sich stets zuvorkommend.
So vertrauensvoll und freundlich kann nur eine Nation sein, die Fremde wie einen von ihnen behandelt. Für freundliche Gesten, wie ich sie in der Schweiz erlebt habe, sind normalerweise die Ghanaer in der ganzen Welt bekannt.
Bei der Freundlichkeit stehen die beiden Länder in einem gesunden Wettbewerb. Ansonsten könnte sich Ghana aber durchaus von der Schweiz inspirieren lassen. Die Menschen trinken hier das Leitungswasser, was ich in meiner Heimat nicht tun würde. Die Strassen sind sauber, die Ampeln funktionieren, es gibt kaum Lärm – alles Dinge, die Ghana von der Schweiz übernehmen könnte.
Vielleicht ist es an der Zeit für Ghana, die Schweiz um Hilfe bei der Gestaltung unserer Zukunft zu bitten. Freundlich sind beide Nationen.