Holländer erlebten Horror-Sturz auf Passstrasse
«Am Gotthard brachte mein Vater fast die ganze Familie um»

Die Geschichte scheint unglaublich: Eine Familie aus den Niederlanden brettert unkontrolliert die Passstrasse am Gotthard hinunter. Bremsversagen. Das Auto stürzt 22 Meter in eine Schlucht. Alle überleben.
Publiziert: 18.10.2019 um 18:21 Uhr
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Das Auto krachte mit der Motorhaube gegen die Felsen der Schlucht.
Foto: VICE
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Das Auto krachte mit der Motorhaube gegen die Felsen der Schlucht.
Foto: VICE

Die Serpentinen am Gotthardpass sind eng und steil. Ohne funktionierende Autobremsen dort herunterzufahren, kommt einem Himmelfahrtskommando gleich. Und doch lebt Familie Eikendal noch. Der Sturz in eine Alpenschlucht rettete sie.

Die Holländerin Stella Eikendal (24) ist erst sechs Jahre alt, als ihr Vater sie und den Rest der Familie fast in den Tod reisst. Jetzt, gut 18 Jahre später, erzählt sie im Onlineportal «Vice» erstmals von den brenzligen Minuten in den Alpen.

Zwei Autos ausgewichen, Leitplanke bricht

Es ist der Sommer 2001. Stella Eikendal fährt mit ihren Eltern von den Ferien in Italien zurück in die Niederlanden. Und zwar durch die Schweiz – wie jedes Jahr. Am Gotthardtunnel ist viel los. Wie immer. Also manövriert der Familienvater das Auto den Gotthardpass hinauf. «Ich weiss noch, wie wir oben eine Schneeballschlacht veranstaltet haben», schreibt Eikendal.

Die Familie steigt wieder in den Wagen. Nun geht es bergab. Steil bergab, entgegen kommen andere Autos. Da bemerkt der Vater plötzlich, dass die Bremsen nicht funktionieren.

Von da an geht alles ganz schnell. «Ich bin zwei Fahrzeugen noch ausgewichen, bretterte dann in die Leitplanke», erzählt der Fahrer dem Portal. Doch die Planke hält der Wucht nicht stand. Sie reisst aus. Das Auto stürzt in die Tiefe.

«Türen liessen sich nicht öffnen»

Fünf Sekunden – so lange habe der freie Fall gedauert. Die Schlucht war 22 Meter tief. Mit der Motorhaube schlägt das Auto zwischen den Felsen auf, umgeben von Wasser, mitten in einem Wildfluss. Das Wasser dringt sofort ins Innere.

Stella Eikendal: «Wir mussten sofort raus aus dem Wagen. Doch die Türen liessen sich nicht öffnen, die Strömung war zu stark.» Ihre Eltern hätten schliesslich die Fenster runtergekurbelt. «Sie zogen mich und meine Schwester ins Freie.»

Direkt hinter dem Auto von Familie Eikendal steuerte Stellas Onkel seinen Wagen die Passstrasse hinunter. Er muss zusehen, wie seine Verwandten in die Schlucht stürzen. «Seiner Frau und seinen Kindern befahl er, nicht auszusteigen. Er wollte nicht, dass sie unsere Leichen sehen», schreibt die Holländerin.

Familie ist unverletzt

Schliesslich sei ihr Onkel die Schlucht hinuntergestiegen. Traf die Familie dort heil an. «Er half uns wieder zurück auf die Strasse.»

Feuerwehrleute, Sanitäter und Polizei übernehmen. Das Wrack wird geborgen. Die Familie versorgt. Der Fahrer vernommen. «Trotz nasser Klamotten haben sie mich drei Stunden lang verhört. Als ein Polizist andeutete, ich könnte den Unfall absichtlich verursacht haben, um meine Familie loszuwerden, reichte es mir», so der Vater.

Doch es dauert nicht lange, bis Selbstzweifel aufkommen. Und Schuldgefühle. Der Vater sagt: «Ich spielte den Unfall immer wieder durch, verstand aber nichts. Wie konnte das nur passieren?»

Gotthard heute Tabu

Am Tag darauf fährt er an die Stelle des Unglücks zurück, gemeinsam mit seiner Frau. «Sie hielten sich eine Weile nur in den Armen», erzählt Stella Eikendal.

Schlaflosigkeit plagt den Vater noch Tage später. Auch, als die Familie wieder in den Niederlanden ankommt. Erst, als der technische Unfallbericht ins Haus flattert, kann er aufatmen: Bremsflüssigkeit war ausgelaufen. Den Fahrer trifft keine Schuld. «Ganz weg waren meine Schuldgefühle aber nicht. Ich hätte die Bremsflüssigkeit ja mal überprüfen können», sagt er.

Mittlerweile habe er aber gelernt, mit dem Geschehenen umzugehen. Das Leben einfach wertzuschätzen. Familie Eikendal macht noch immer Ferien in Italien. Über den Gotthard fahren sie nicht mehr. (hah)

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