Eine Krankenschwester aus Gelsenkirchen (D) schlug als Erste Alarm: Innerhalb von ein paar Wochen kamen im Sankt-Marien-Hospital drei Kinder mit Fehlbildungen zur Welt. «Fehlbildungen dieser Art haben wir viele Jahre lang nicht gesehen», teilte daraufhin das Spital per Medienmitteilung mit. Seither rätselt Deutschland über die Ursachen. Nach Spekulationen über einen Zusammenhang mit Pestiziden, meldete sich der deutsche Umweltminister Jens Spahn zu Wort: «Wir ziehen erst dann Schlussfolgerungen, wenn wir auch etwas wissen.»
Auch in der Schweiz gibt es Fälle von Fehlbildungen bei Kindern. In der Schweiz sind Familien von Betroffenen im Verein Pinocchio organisiert. 134 Kinder mit Fehlbildungen zählt man dort. 16 Prozent der Kinder sind aus der Region Basel, allein drei Kinder aus der Stadt Basel.
Neben dem Chemiestandort Basel stammen die Betroffenen «tendenziell eher aus ländlichen Regionen», heisst es beim Verein. So sind ein Drittel der Kinder aus dem Kanton Zürich und wohnen vor allem in ländlichen Gemeinden des Kantons, wo intensiv Landwirtschaft betrieben wird.
Spitäler beobachten
In der Schweiz gibt es laut Bundesamt für Gesundheit (BAG) keine zentrale Überwachung von Missbildungen bei Neugeborenen. «Falls es Häufungen geben sollte, würden das zuerst die Kinderspitäler erkennen und in ihren Fachkreisen thematisieren», sagt BAG-Sprecherin Katrin Holenstein.
Tatsächlich tun die Kinderspitäler das bereits. Und sie stellen fest, dass mehr Fehlbildungen auftreten, als das internationale Studien nahelegen würden. So zählt man etwa am Kinderspital beider Basel überdurchschnittlich viele Fälle: «Die Zahl der Fehlbildungen ist bei unseren Sprechstunden etwas höher, als anhand der Geburtenrate der Region zu erwarten wäre», sagt Facharzt Alexandre Kämpfen.
Neuere Studien zeigten, dass bei 1000 Geburten etwa zwei bis fünf Kinder mit einer Fehlbildung auf die Welt kommen. Insgesamt werden in Basel jedoch pro Jahr zwischen zehn bis zwölf Kinder mit einer Fehlbildung behandelt, bei etwa 4000 Geburten. Auch in der Westschweiz beobachtet man eine Häufung der Fälle: So sammelt etwa das Unispital Lausanne Daten zu Fehlbildungen. Dort kommen ebenfalls mehr Kinder mit verstümmelten Gliedern auf die Welt.
Mit Operation gut behandelbar
Ob Pestizide die Auslöser sind, darüber ist sich die Forschung bisher nicht einig. Sogenannte Dysmelien entwickeln sich zwischen dem 29. und 40. Tag der Schwangerschaft, erklärt Spezialist Kämpfen. «In dieser Zeit können äussere Einflüsse wie Sauerstoffmangel, Medikamente oder Giftstoffe eine Dysmelie auslösen.» Fehlgebildete Hände oder Füsse seien heute aber sehr gut zu operieren, so Kämpfen. Betroffene könnten damit vernünftig leben.
In den 50er- und 60er-Jahren kam es wegen dem Beruhigungsmittel Contergan vermehrt zu Dysmelien. Dass die Basler Chemie einen Anteil an den Fehlbildungen haben könnte, daran glaubt Kämpfen nicht. Er vertraut unseren Umweltstandards: «Diese sind im Vergleich zu anderen Ländern viel zu hoch.»