Eigentlich war es unwahrscheinlich, dass sich die Leben von Gladys (30) und Cornelia Gantner (48) berühren. Allein schon wegen der Distanz: Gantner lebt in der Schweiz, Gladys in Sambia. Aber auch sonst könnten die zwei Frauen unterschiedlicher nicht sein. Gladys’ Leben schien vorbestimmt: jung heiraten und Kinder bekommen. Cornelia Gantner stand die Welt offen.
Statt zu heiraten, wollte Gladys in die Stadt gehen und sich einen Job suchen. Man sagte ihr: Kein Mädchen in deinem Alter geht in die Stadt, um sich einen Job zu suchen. Gladys antwortete: Ich werde dieses Mädchen sein.
Cornelia Gantner heiratete mit 20 Fredy und bekam fünf Kinder. Ihr Mann wurde zu einem der reichsten Männer der Schweiz. Für Cornelia Gantner war klar, dass sie Vollzeit die Kinder betreut. Genauso klar ist es für sie, das zu teilen, was sie hat. Mit ihrer privaten Stiftung Second Mile unterstützen sie und ihr Mann Projekte in Entwicklungsländern. Darunter auch eines im kleinen sambischen Dorf Chewe. Dort plante der Schweizer Thomas Furrer, eine Farm, eine Brücke und eine Schule aufzubauen. Gantner wollte dieses Projekt filmisch begleiten. Das war vor sechs Jahren. Bei ihrem ersten Dreh in Sambia traf sie Thomas’ Frau, Gladys.
«Das ist eure Chance»
Gladys ging vor Jahren in die Stadt, machte eine Ausbildung, lernte Thomas Furrer kennen. Das Projekt in Chewe setzen Gladys und Thomas gemeinsam um. Cornelia Gantner begleitete die beiden in den letzten Jahren mit der Kamera. Und mit ihnen ein ganzes Dorf. Dinge neu zu denken, das wird im Film schnell klar, bedeutet immer auch Gegenwind. Reibungslos verlief in den vergangenen sechs Jahren wenig. Doch Gladys gab nie auf. Auch weil sie sich für die Mädchen in diesem Dorf eine andere Zukunft wünscht. Ihr Herzensprojekt ist deshalb die Schule. Doch als das Paar zum ersten Mal Eltern wird, fühlt Gladys sich gefangen in der Rolle der Mutter und Hausfrau.
Auch die Krisen des Ehepaars bekommt der Zuschauer in intimer Weise zu sehen. Doch auch hier suchten die beiden Lösungen. Fanden sie und machten weiter. Im Film ist die Eröffnung der Schule zu sehen. Gladys richtet sich in ihrer Rede am Eröffnungsfest an alle Kinder und jungen Mütter im Dorf: «Das ist eure Chance, zurück in die Schule zu gehen.» Doch weil Gladys weiss, dass zu einer Chance auch Eigenverantwortung und Mut gehören, fügt sie an: «Es liegt an euch, ob ihr diese Chance nutzen wollt.»
Eigenverantwortung ist zentral
Beim Treffen in einem Restaurant am Zugersee sagt Cornelia Gantner: «Ich verstehe den Kampf von Gladys.» Glücklich zu sein, habe wenig mit äusseren Umständen zu tun. «Glücklich macht, das Leben zu leben, das man gewählt hat.» Klar habe mehr Optionen, wer mehr Geld auf dem Bankkonto habe. Wie oft aber höre sie von Schweizerinnen, wie unglücklich sie mit ihrem Leben seien. «Für ein selbstbestimmtes Leben zu kämpfen, hat oft weniger mit Geld als mit Mut zu tun.» Gladys’ Mut könne Mädchen und Frauen in der Schweiz herausfordern, sich zu fragen: Lebe ich das Leben, das ich will? Genauso wie Gladys das tut.
Gantner betont, dass Bildung etwas vom Wichtigsten sei. «Mit jedem Jahr mehr in der Schule erhöht sich die Chance, dass ein Kind später finanziell einigermassen durchkommt.» Mädchen, die lesen lernen, haben dadurch Zugang zu Informationen. «Wer lesen kann, kann eigene Entscheidungen treffen.» Studien zeigen, dass Mädchen ein selbstbestimmtes Leben führen können, wenn ihr Umfeld ihnen gewisse Freiheiten erlaubt, sie Zugang zu Bildung und Kapital und ein gutes Selbstwertgefühl haben. Dafür setzt sich Cornelia Gantner mit ihrer Stiftung seit Jahren ein.
Die Eigenverantwortung bleibt ihr in alldem wichtig. «Ich habe mit Mädchen in Chewe gesprochen, die mit 18 Jahren zum zweiten Mal schwanger waren und sagten, dass sie keine Lust auf Schule hätten.» Klar hätten Frauen in Entwicklungsländern weniger Optionen, sagt sie. Besonders die Kinderhochzeiten verunmöglichen Mädchen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Ein grosses Problem: 37'000 Minderjährige werden weltweit täglich verheiratet.
Abgesehen von solch krasser Ungerechtigkeit ist Gantner aber wichtig: «Wir alle haben eine Eigenverantwortung – ob in der Schweiz oder in Sambia. Man kann auch aus viel Geld nichts machen.» Sie selber ist elf Mal nach Sambia gereist, hat zu Beginn der Dreharbeiten im Dorf campiert. Sie war erschüttert über das Ausmass der sexuellen Gewalt in dieser scheinbar so heilen Welt. Und wurde demütig dem Leben gegenüber. «Mitzuerleben, was andere Mütter für einen Aufwand betreiben müssen, um ihre Familie durchzubringen, macht demütig.»
«Habe immer Hoffnung!»
Gladys und Thomas Furrer werden, falls Corona es zulässt, im Herbst in die Schweiz an die Premiere von «That Girl» reisen. Der Film wird einen sehr persönlichen Einblick in ihr Leben geben. Berührend auch die Szene, in der Gladys einen Brief vorliest. Sie richtet ihn an ihre Tochter Zoe und an alle Mädchen Sambias: «Habe immer Hoffnung. Hoffnung vertreibt Angst und alles Leid. Hoffnung gibt dir den Mut und die Sturheit, Dinge zu tun, auch wenn dein Umfeld damit nicht einverstanden ist. Träume wild, und du wirst realisieren, dass das Leben keine geheimen Regeln hat. Ich bete dafür, dass du ein erfülltes Leben hast und eine starke und weise Frau wirst.»
Der Film «That Girl» gibt Hoffnung. Mutige Frauen können die Welt um sich herum verändern. Und ein Vorbild sein für andere Mädchen und Frauen. Veränderung ist möglich. In Sambia und in der Schweiz.
Gladys arbeitet weiter daran. Trotz Rückschlägen. Von ihren ersten Schülerinnen haben viele die Schule abgebrochen. Ein Mädchen wurde von seinem Bruder verheiratet. Gladys kämpft weiter. Sie hat das Projekt «Dare to Care» ins Leben gerufen. Sie will damit die älteren Frauen im Dorf für den Wert von Bildung und die Gefahren von Kinderhochzeiten sensibilisieren. Auch die Männer beeinflussen. Und so einen Paradigmenwechsel herbeiführen.
Die Geschichte von Gladys endet im Film mit der Eröffnung der Schule. Ihre Geschichte und die Geschichten der Mädchen und Frauen im Dorf werden jeden Tag weitergeschrieben. Und sind noch lange nicht zu Ende erzählt.