Als Präsidentin und Mäzenin kümmert sie sich um die Elf des FC Basel. Die bekommt jetzt ernsthafte Konkurrenz: von 148 afrikanischen Kindern. Gigi Oeri unterstützt mit 2,5 Millionen Franken das Waisenheim Abdii Borii, ein Projekt der Stiftung «Menschen für Menschen» von Karlheinz Böhm. Zum 25-Jahre-Jubiläum seiner Hilfsorganisation besuchte die Baslerin mit ihrem Mann Andreas die Böhm’schen Dörfer in Äthiopien
Text: Gabrielle Kleinert
Fotos: Kai Wiedenhöfer
WEL-COME MISS GI-GI! WEL-COME ANDRE-AAA! Der hohe, wichtige, einmalige Besuch aus Switzerland ist da! Miss! Gigi! And! Andreaaa!
Schreien. Klatschen. Singen. Kleine schwarze Hände greifen nach Jackenzipfeln, Rocksäumen, Hosenbeinen, Hemdsärmeln der beiden Gäste. Zupfen an Händen, Haaren, Ohren, Brillen. Wel-come! Wel-come! An jeden Finger klammert sich ein Kind, mindestens. Gigi und Andreas sagen – nichts.
Jubeltrubel im «Menschen für Menschen»-Waisenheim Abdii Borii, am Dorfrand von Metu, mitten im südwestlichen Äthiopien. Rund 1700 Meter über Meer und 13 Stunden Autofahrt von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt.
Hier leben Gigi Oeris 148 Kinder. Für sie investiert die 51-jährige Baslerin in den nächsten zehn Jahren 2,5 Millionen Franken. Damit können die Kinder sorgenfrei leben: Sie bekommen medizinische Versorgung, gehen zur Schule, werden rund um die Uhr betreut. Mit ihrem Mann Andreas, 57, dem milliardenschweren Erben des Basler Pharma-Unternehmens Hoffmann-La Roche, ist Gigi Oeri jetzt das erste Mal zu Besuch.
Nur langsam schiebt sich die hellblonde Baslerin durch das Getümmel, ragt kaum aus der Menge heraus. Andreas, ein grosser Europäer in sauberem Polo-Shirt und gebügelter Bundfaltenhose, folgt ihr auf dem Fuss. So gut das geht. Es riecht nach Schweiss, nach Erde, nach vielen Menschen.
Keine VIP-Zone, kein Sicherheitspersonal, keine Trennwand. Das Milliardärs-Ehepaar steht ziemlich verloren mitten im Getümmel. Und überall dunkle Augen, die jede Bewegung ganz genau beobachten.
Nur wenige Meter vor ihnen: Karlheinz Böhm, in afrikataugliches Safaribeige gekleidet. FA-THER! KAR-LI! FA-THER! KAR-LI! Vater Karli, wie der 78-Jährige hier heisst, badet in der Menge, zieht seine Schützlinge an sich, umarmt, herzt, küsst ein Kind nach dem anderen. Seine blauen Augen leuchten. Immer wieder reisst er die Arme hoch, seine Fäuste zum Siegergruss geballt. Dann die nächste Umarmung, der nächste Kuss. Der Lärm, der Staub, die Hitze, das Gedränge. Alles Gewohnheit. Alles Genuss.
Auf Andreas Oeris’ Stirn sammeln sich erste Schweissperlen. Irgendwann schüttelt er seine Hände frei, zieht die kleine Digitalkamera aus der Hosentasche. Natürlich waren er und seine Ehefrau schon mal in Afrika. Auf Luxussafari in Namibia. Im Krüger Nationalpark. Auf Tauchgängen im Roten Meer. Aber eine Reise nach Äthiopien? In eines der ärmsten Länder der Welt? Mitten in den Busch? Ohne Handyempfang? Ohne Radio, TV, Internet? – So einen Urlaub gab es für die Oeris noch nie. Statt Erinnerungsfotos von Fünfsternehotels und weissen Stränden, knipst Andreas seie Ehefrau im Ausnahmezustand.
Es ist Gigi Oeris erstes und einziges Spendenprojekt in Afrika. Zu Hause finanziert sie vor allem den FC Basel, ist Mäzenin und Präsidentin gleichzeitig. Und deswegen in der Schweiz berühmt. Doch in Zukunft, so Oeri, «werde ich auch mal als ‹Menschen für Menschen›-Botschafterin auftreten und für Karlheinz Böhm Geld sammeln. Denn wer reich ist, muss etwas Gutes mit dem Geld machen.» Das Waisenheim und die Projekte will sie selbst vor Ort inspizieren, deshalb ist sie da. Das Land ist gewöhnungsbedürftig. Das war schon bei der Anreise klar:
Als ihre Challenger 300, FC Basel-Wappen und Schweizerkreuz auf der Heckflosse, mit einer Stunde Verspätung auf dem westäthiopischen Flughafen Jima landet, warten dort schon achtzig Menschen – Frauen, Männer, Kinder. Klatschen, tanzen, singen.
Aber warum tragen sie alle silberne und goldene Kruzifixe auf ihren Kleidern? Und warum singen sie Kirchenlieder? Und schwingen ihre Körper wie in Trance? Alles für Gigi Oeri? Der Jet parkiert, die Turbinen laufen langsam aus, zwanzig geistliche Führer, mit besonders wallenden Gewändern, bringen sich auf dem Rollfeld in Stellung, den Kopf gesenkt, die Hände gefaltet, Vater unser der du bist im Himmel.
Gleich ist es soweit, die Tür geht auf, und ... Unruhe. Gisela «Gigi» Oeri steigt mit weissen Turnschuhen die fein polierte Gangway in den roten Staub hinab. Und die Geistlichen beginnen langsam, ihren Fehler zu begreifen. Die Trommeln setzen unsicher aus, die letzten Gesänge verebben, Enttäuschung macht sich auf Gesichtern breit.
Die Menge hatte auf den christlich-orthodoxen Priester aus Addis Abeba gewartet. Der war ebenfalls mit einem Privatjet angekündigt. Für ihn hatten sich die Schäfchen der religiösen Gemeinde hier auf dem Buschflughafen versammelt.
Die priesterliche Verwechslung ist schliesslich schnell geklärt, die Menge teilt sich. Und Gigi und Andreas Oeri können ihre Reise durch die Böhm’schen Dörfer starten.
Mit «Menschen für Menschen» ist Karlheinz Böhm in zwei Bundesstaaten tätig. Dort gibt es dank ihm drei Krankenhäuser, 73 Gesundheitsstationen, 139 Schulen, acht Kindergärten und das Waisenheim Abdii Borii. Ausserdem 1103 Brunnen und Quellfassungen, sieben Brücken, 1976 Kilometer Strasse. Er initiiert Landwirtschafts- und Aufforstungsprojekte, finanziert HIV-Aufklärungskampagnen und unzählige Frauenhilfsprogramme, auch den Kampf gegen die Beschneidung der Mädchen. Viele der Projekte tragen seinen Namen.
Der österreichische Schauspieler – bekannt aus seiner Rolle als Kaiser Franz Joseph neben «Sissi» Romy Schneider – ist hier eine Berühmtheit. Vor 25 Jahren gründete er seine Äthiopienhilfe, sammelte seither unermüdlich Geld für Land und Leute. Bis heute sind es rund 450 Millionen Franken, 90 Millionen alleine aus der Schweiz.
Die Schauspielerei, so Böhm, «ist immer noch mein Beruf. Ich habe nur meine Maske abgenommen. Heute spiele ich ganz mich selbst.» Seit drei Jahren ist er Ehrenbürger von Äthiopien. Vor zwei Monaten, pünktlich zum 25-Jahre-Jubiläum seiner Stiftung, erhielt er als erster Ausländer den äthiopischen Pass.
Doch in der neuen Heimat ist der Gutmensch aus Salzburg nur selten, er muss Geld sammeln. So tingelt Böhm mit seiner vierten Frau, der Äthiopierin Almaz, 42, durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Besucht TV-Talkshows, hält flammende Reden, gibt lange Interviews. Und diktiert den Journalisten am liebsten gleich, was sie schreiben sollen: «Sie müssen sich bewusst sein: Jedes Wort, das Sie verfassen, ist für die Menschen von Äthiopien. Vergessen Sie das nicht!» Auch seiner Grossspenderin aus Basel gibt er Bescheid: «Gigi und Andreas, Sie sind jetzt ein Teil meiner ‹Menschen für Menschen›- Familie!» So ist er eben. Der Schauspieler hat eine andere Bühne gefunden. Äthiopien, sein Lebenswerk.
Dort erweist sich die Böhm’sche Familienreise allerdings als ziemlich stressig. Kein Privatflugzeug, keine Limousine, kein Butler. Der hohe Besuch vom Rheinknie holpert im Isuzu-Jeep, immerhin dem bestgepolsterten der Organisation, durch die Provinz. Über Hügel, durch Täler. Vorbei an Eukalyptushainen und Urwäldern. Stets umweht vom Staub der rostroten Erde. Von Projekt zu Projekt.
Das Metu Karl Hospital, die Eröffnung der Metu Nicolas School, getauft nach Böhms Sohn Nikolas, 16. Das Ambulatorium, die HIV-Präventionskampagne, das Aufforstungsprojekt, die neue Brücke. Dazwischen, an Strassenrändern und auf Dorfplätzen, Menschenansammlungen und Böhms Gespräche mit Einheimischen. Auf Englisch. Er spricht keine der offiziellen Landessprachen, «ich reise seit 25 Jahren mit einem sehr guten Übersetzer. Und sowieso», erklärt er, «viel wichtiger als die Sprache ist eines: die Liebe!»
Und so sitzt er mit seinen Gästen irgendwann in der Lehmhütte der Bauersfrau Abebawe. Es gibt geröstete Maiskolben und ein Gläschen Tee. Die Luft ist stickig, das Atmen geht nur schwer, an den Wänden krabbeln Wanzen und Flöhe. Wie so oft auf dieser Reise: Eigentlich nichts für saubere Basler Bebbis. Aber genau das Richtige für Böhm. Er mag das. Das ist Äthiopien.
So spulen die Oeris unter seiner Führung ein vollgepacktes Programm ab, von einem Empfang zum nächsten, über Stock und Stein, und bei Verschnaufpausen mit gekochten Bohnen und Bier, gibts Böhms moralische Worte für die Herzen der Gutbetuchten:
«Liebe geben! Das ist das Geheimnis! Ohne Liebe geht gar nichts»
«Es ist die Liebe zu diesem Land, die mich antreibt»
«Quatschen bringt nichts, Sie müssen handeln!»
«Wenn ich diese Armut sehe, werde ich eben emotional!»
Der Vollmond taucht das Land in milchig kaltes Licht, die Sterne funkeln, die Flammen des Lagerfeuers züngeln hoch in die kühle Nacht. Die Reisegruppe sitzt beim nächsten Anlass. Dem fünften in zwei Tagen. Diesmal, vor dem Gästehaus in Metu, mit den einheimischen Mitarbeitern der Stiftung. Oeris neuer Familie. Kein weisses Stofftischtuch, kein Silberbesteck, keine Kristallgläser. Ein Familienschmaus unter freiem Himmel.
«Ich bin überwältigt», sagt Gigi Oeri und lehnt sich in ihrem Stuhl zurück. So überwältigt, dass sie gar nicht genau weiss, wo sie beim Schwärmen über Äthiopien anfangen soll. «Die Fröhlichkeit der Menschen, die Natur, Karlheinz Böhms Engagement.» Sie kuschelt sich in den warmen Wollpulli und dann sagt sie, was sie im Moment am meisten bewegt: Der FC Basel spielt! Gegen Thun! Jetzt! Und ihr Handy, normalerweise sieben Tage die Woche und 24 Stunden auf Empfang, zeigt seit Tagen kein Netz! Nur gerade zwei Spiele hat die FCB-Präsidentin in den letzten sieben Jahren verpasst. Beide gegen den FC Thun. Beide verloren. Und heute ist wieder eines! Ihr Fehlen, ein schlechtes Omen, meint sie. Jetzt muss sofort ein Telefon her.
Karlheinz Böhm kümmert die Fussballleidenschaft seines Gastes nicht gross. Es gibt Wichtigeres: «Menschen für Menschen.» Während Gigi Oeri alle Hebel in Bewegung setzt, um zum Fussballresultat zu kommen, erzählt er lieber, wie damals alles mit seiner neuen Freundin Gigi begann: Das war an einem Business-Lunch in Basel. «Das übernehm’ ich», sagte die Milliardärin spontan zu ihm. Die beiden waren Tischnachbarn und Böhm hatte ihr soeben von den fehlenden Geldern für sein Waisenheim geklagt. «Und jetzt», sagt er strahlend, «ist die Zukunft meiner Kinder gesichert!»
Das interessiert Gigi Oeri im Moment wenig. «Mein Fussball-Tick ist längst keine Leidenschaft mehr! Das ist schon fast krank», sagt sie, tippt sich an die Stirn und dann geht es los: von Hooligans, Spitzenspielern, Billetsteuern, Sanktionen, Verträgen, Managern, Reisen zu Auslandsspielen und den Gastgeschenken der anderen Fussballclubs, die sie in einem Spezialraum lagert, dem «Horrorkabinett».
Andreas sitzt schweigend daneben, die Kamera liegt auf dem Tisch. Er ist nicht sehr gesprächig, Fussballer ist er auch nicht, dafür Spezialarzt für orthopädische Chirurgie, Spezialgebiet Hüftgelenke. Aber irgendwann, mitten drin, meint er: «D’Giigi macht äbä kaini halbe Sache.»