Gewerkschaften
Gewerkschaftsbund will die Solidarität wiederbeleben

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) will 2020 die Solidarität aufleben lassen - zum Beispiel mit der Initiative für eine 13. AHV-Rente. Die vergangenen 30 Jahre seien von Entsolidarisierung geprägt gewesen, kritisiert er.
Publiziert: 09.01.2020 um 10:00 Uhr
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Aktualisiert: 09.01.2020 um 11:55 Uhr
Pierre-Yves Maillard, der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), fordert das Ende der "langen neoliberalen Episode". (Archivbild)
Foto: PETER SCHNEIDER

«Wir wollen 2020 diese lange Episode beenden», sagte SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard am Donnerstag an der Jahresmedienkonferenz des SGB in Bern. Die Wirtschafts- und Sozialpolitik müsse der Bevölkerung nützen.

Ein Wiederaufleben der Solidarität sei die Voraussetzung für alle Zukunftsprojekte - von der Altersvorsorge bis zum Klimawandel, von der europäischen Frage bis zu den Löhnen - und die Voraussetzung für die Zukunft der Demokratie. Der in vielen Ländern zum Ausdruck gebrachte «Volkszorn» habe reale Ursachen.

In den vergangenen drei Jahrzehnten ist die Solidarität aus Sicht der Gewerkschaften zunehmend der Wettbewerbsfähigkeit geopfert worden. Es überrasche nicht, dass sich heute viele Menschen abgehängt oder im Stich gelassen fühlten, sagte SGB-Chefökonom Daniel Lampart. Unia-Präsidentin Vania Alleva fragte rhetorisch, ob die Konkurrenz in einen Kampf aller gegen alle münden solle, in dem der Stärkere gewinne.

Zur negativen Entwicklung zählt der SGB die Auslagerung von Dienstleistungen. Beim Weihnachtsessen einer grossen Firma seien früher auch der Hauswart, das Sicherheitspersonal oder die Reinigungskräfte mit am Tisch gesessen, sagte Lampart. Heute sei das kaum mehr der Fall.

Das führe zu mehr sozialer Ungleichheit. Eine Reinigungsangestellte habe bei einer Grossfirma nämlich ein Viertel bis ein Drittel mehr Lohn als bei einem Reinigungsunternehmen. Auch die Temporärarbeit hat laut dem SGB stark zugenommen: Seit Mitte der 1990er Jahre hat sie sich verfünffacht.

Neue Gefahren sehen die Gewerkschaften in der Plattformwirtschaft im Stil von Uber, wo Arbeitnehmende missbräuchlich als Selbständige beschäftigt würden. Eine «Uberisierung» der Wirtschaft wollen sie bekämpfen.

Auch in der Altersvorsorge werde die Solidarität unterlaufen, kritisiert der SGB. Die Pensionskassenrenten seien in den letzten Jahren deutlich gesunken. Wer heute pensioniert werde, habe gemessen am Lohn spürbar weniger Rente. Wer es sich finanziell leisten könne, versuche diesen Rentenrückgang durch eine individuelle Vorsorge zu kompensieren, also Einzahlungen in die dritte Säule.

Die Einzahlungen hätten markant zugenommen und lägen gegenwärtig bei rund 10 Milliarden Franken im Jahr. «Faktisch läuft diese Entwicklung auf eine schleichende Teil-Privatisierung der Altersvorsorge hinaus», stellte Lampart fest. Für Berufstätige mit tieferen und mittleren Löhnen gehe die Rechnung nicht auf.

Für die Gewerkschaften steht die AHV im Zentrum der Altersvorsorge, weil sie sozial finanziert ist. Auch sie hat gemäss dem SGB aber mit der Lohnentwicklung nicht Schritt gehalten.

Damit die Weiterführung der gewohnten Lebensweise nach der Pensionierung gewährleistet ist, braucht es aus Sicht des SGB eine Erhöhung der AHV. Im März will der Gewerkschaftsbund mit der Unterschriftensammlung für eine Initiative beginnen, die eine 13. AHV-Rente fordert.

Weiter will sich der SGB im laufenden Jahr für den BVG-Sozialpartnerkompromiss und die Überbrückungsleistung für ältere Arbeitslose einsetzen. Letztere bezeichnete Maillard als konkretes Instrument der Solidarität.

Dass der BVG-Sozialpartnerkompromiss derzeit in Frage gestellt wird, betrachten die Gewerkschaftsvertreter als normales Phänomen im politischen Prozess. Sie zeigten sich zuversichtlich, dass sich diese Lösung durchsetzt. Maillard rief in Erinnerung, wie deutlich die Alternative - eine blosse Senkung des Umwandlungssatzes - an der Urne gescheitert war.

Als Erfolg verbucht der Gewerkschaftsbund seinen Kampf für Gesamtarbeitsverträge und gegen Lohndumping. Die Schweiz verfüge über eine bessere Entwicklung im Tieflohnbereich als die Nachbarländer, sagte Alleva.

Die Erfolge seien aber unter Druck, unter anderem durch die Begrenzungsinitiative, mit welcher die SVP die Kündigung der Personenfreizügigkeit verlangt. Die politische Hauptkampagne im Jahr 2020 sei daher die Bekämpfung dieser Initiative, deren Annahme für die Arbeitnehmenden eine Katastrophe wäre.

Ironischerweise gebe es in Brüssel und in Herrliberg neoliberale Kräfte, welche dasselbe anstrebten, sagte Maillard: den Abbau von Lohnschutz. Das gelte es zu verhindern, auch mit Blick auf das institutionelle Rahmenabkommen. Hier habe sich die Haltung der Gewerkschaften inzwischen in weiten Kreisen durchgesetzt. In der Verantwortung sieht Maillard nun den Bundesrat: «Nicht wir verhandeln mit Brüssel», stellte er fest.

(SDA)

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