Gesundheitsminister über möglichem zweiten Lockdown
Berset beunruhigt über abnehmende Corona-Disziplin in der Bevölkerung

Gesundheitsminister Berset warnt Leute davor, sich wieder die Hände zu schütteln. Dass seine Behörde noch zu stark auf langsame manuelle Arbeit setze, will er nicht ganz verneinen. Berset wünscht kantonale differenzierte, nicht flächendeckende Massnahmen.
Publiziert: 05.08.2020 um 05:38 Uhr
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Aktualisiert: 09.08.2020 um 09:19 Uhr

Bundesrat Alain Berset (48) zeigt sich im Gespräch mit dem «Tages-Anzeiger» zuversichtlich, dass die Schweiz die «Situation im Moment im Griff» habe. Fallzahlen seien in den letzten zwei Wochen zwar angestiegen, doch Kantone würden Massnahmen ergreifen.

Sommerferien würden das generelle Infektionsrisiko erhöhen, das sei «nicht verwunderlich», so Berset. Ihn beunruhige dabei, «dass die Disziplin abnimmt». Es gebe Leute, die sich wieder die Hände schütteln: «Das ist ein grober Fehler!»

Die harte Kritik unlängst am Bundesamt für Gesundheit (BAG) trotz dessen pausenloser und intensiver Arbeit hält Berset für «unschön». Bei der Auswertung der Ansteckungsorte waren dem BAG Fehler unterlaufen. Intern würden organisatorische Konsequenzen gezogen, so Berset.

Hat Schweiz Digitalisierung der Corona-Eindämmung verschlafen?

Berset teilt die Ansicht, dass die Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen «viel zu wenig weit» sei. Während etwa andere Länder längst mit QR-Codes arbeiten, setzt das BAG noch immer auf Fax und handgeschriebene Formulare. Berset versichert, die digitale Entwicklung habe Priorität.

Dabei habe aber auch das elektronische Patientendossier gezeigt, dass solche Prozesse in der Schweiz «sehr komplex seien». Ohne grosse Kompromisse im Parlament wäre das Gesetz abgestürzt.

Dass der Ansteckungsort in vielen Fällen unbekannt bleiben werde, daran könne auch kantonsübergreifende Datenverfügbarkeit nichts ändern, zeigt sich der Gesundheitsminister überzeugt. «Da können die Daten noch so gut sein», so Berset. Dennoch werde mit Hochdruck daran gearbeitet, Tracing-Daten zu verbessern.

Reiserückkehrer-Quarantäne und Maskenpflicht in Läden

Auch Passagierlisten von Rückkehrern aus Corona-Risikogebieten müssen zuerst im BAG nach Kantonen sortiert werden. Für diese manuelle Arbeit habe Personalmangel geherrscht, der jetzt behoben worden sei. Berset: «Beim Bund stehen nicht einfach zehn Personen herum, die nur darauf warten, für eine solche Aufgabe aufgeboten zu werden, und über das nötige Wissen verfügen.»

Berset unterstützt die kantonale Handhabung der Maskenpflicht. Wo die Fallzahlen ansteigen, nehmen Kantone ihre Verantwortung wahr – wie in Genf. Es brauche differenziertes, regional abgestimmtes Vorgehen.

Auch bezüglich Club-Schliessungen wolle Berset nichts ausschliessen, doch im Moment scheine dies «unwahrscheinlich». In der Zwischenzeit habe man dennoch so viel gelernt, so Berset, «dass wir im Hinblick auf eine allfällige zweite Welle differenzierter vorgehen können».

Grossanlässe ab September? Zweiter Lockdown?

Berset rechnet nicht damit, dass das Verbot für Grossveranstaltungen ab September «bedingungslos und undifferenziert» aufgehoben wird. Bezüglich Skisaison müsse sich die Schweiz mit den Alpenländern absprechen: «Was passiert, wenn Österreich im Dezember seine Skigebiete öffnet und wir in der Schweiz nicht?» Einen Deal gebe es noch nicht.

Das Vorgehen der Bundesbehörden wird damit zusammenhängen, ob eine zweite Welle ausbricht und es einen zweiten Lockdown geben wird. Ob das passieren werde? Berset: «Ganz ehrlich: Ich weiss es nicht.»

Wenn die Bevölkerung diszipliniert mitmache, werde alles funktionieren. Aber er habe «selber einmal gesagt, die Pandemie werde für uns alle zum Marathonlauf. Damals», so Berset, «hätte ich selber nicht gedacht, wie zutreffend das Bild ist». (kes)

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Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.

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