Generationen-Gespräch
«Man kann alte weisse Männer nicht diskriminieren»

Eine Mediacamperin schreibt über den alten weissen Mann. Das ärgert einen älteren Journalisten. Jetzt reden sie miteinander.
Publiziert: 14.07.2023 um 20:18 Uhr
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Ein Streitgespräch mit Nathalie Benn, Studentin der Kommunikationswisschenschaften, und Christian Kolbe, Blick-Wirtschaftsredaktor.
Foto: Screenshot Blick TV
Nathalie Benn & Christian Kolbe

Nathalie Benn: Anfang Woche habe ich für Blick einen Kommentar über sexualisierte Gewalt publiziert und darin geschrieben: Junge Männer müssten sich ändern. Das hat dich richtig hässig gemacht, Christian.

Christian Kolbe: Ja, ich habe den Kommentar an meinem Geburtstag um Mitternacht gelesen und gedacht, es darf nicht sein, dass alte weisse Männer pauschal in einer Schublade versorgt werden. Wir müssen aufhören, Männer zu verunglimpfen.

Benn: Es ist ja auch schon ein Kommentar erschienen zu unserer Generation. Darin hiess es, wir seien faul, wir würden arbeiten, um zu leben und nicht umgekehrt. Aber ich verstehe schon: Verallgemeinerungen können einen aufregen.

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«Wir müssen aufhören, Männer zu verunglimpfen.»
Christian Kolbe, Wirtschaftsredaktor
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Kolbe: Verallgemeinerungen bringen nichts. Wie du in deinem Kommentar richtig geschrieben hast: Wichtig ist der Dialog. Dass alle miteinander reden. Wie du sagst: «Männer mit Frauen, Männer mit Männern und Frauen mit Frauen.» Nur so bringen wir Sexismus und Gewalt weg.

Benn: Du erinnerst mich an meine gleichaltrigen Kollegen, die immer sagen: Ja, aber es sind ja nicht alle Männer so. Sie meinen sofort, sie müssten sich verteidigen, wenn ich ihnen sage, was mich an Männern anwidert. Mir ist es lieber, wenn einer sagt, «ich gehöre nicht dazu, und ich ermutige diese Verhaltensweisen nicht».

Kolbe: Wenn man einen Dialog will, kann man nicht eine ganze Gruppe in eine Schublade werfen, sonst besteht die Gefahr, dass der Dialog abbricht. Es gibt viele alte weisse Männer – jetzt benutze ich den Begriff auch – aus meiner Generation, die progressiv sind. Die wie ich vor 30 Jahren für Christiane Brunner auf dem Bundesplatz demonstriert haben. Ich habe an Frauendemos teilgenommen, als ich noch an der Uni war. Es gab schon damals Frauen, die sagten: «Was macht ihr hier?» Und andere Frauen, die mich verteidigt haben. Es geht nur, wenn wir Probleme gemeinsam angehen. Die Frauenbewegung hat zu Recht gegen Klischees und Vorurteile gekämpft. Aber man kann nicht einfach einen neuen Stereotyp schaffen.

Benn: Und das habe ich aus deiner Sicht gemacht?

Kolbe: Du hörst auf mit dem Aufruf, es soll keine neue Generation alter weisser Männer entstehen. Das ist eine Verkürzung, die sagt: Wir sind sexistisch und üben Gewalt gegen Frauen aus.

Benn: Der Begriff «alter weisser Mann» ist ein Konstrukt. Ein solcher Mann kann auch ein junger Mann sein. Der Begriff steht für jene, die blind sind gegenüber ihren eigenen Privilegien. Es ist ein Begriff, der bewusst Empörung auslösen soll. Das wollte ich mit dem Kommentar erreichen. Ich wollte eine Debatte auslösen, ich wollte, dass wir darüber reden.

Kolbe: Es hat funktioniert. Wir debattieren darüber.

Benn: Sonst hätte ich dem Kommentar ja einen anderen Titel gegeben. Grundsätzlich sind Verallgemeinerungen nicht gut. Aber schau dir doch mal die grossen Missbrauchsskandale der letzten Jahre an: Harvey Weinstein, Jeffrey Epstein, die Mutmassungen rund um den Rammstein-Sänger oder den Ex-Chefredaktor der «Bild».

Kolbe: Ja, das sehe ich schon.

Benn: Der «alte weisse Mann» ist ein Sammelbegriff für Menschen, die dieses System aufrechterhalten.

Kolbe: Ich fürchte, dieser Begriff löst Ängste bei vielen aus, die sich dann der Diskussion verschliessen. Es ist wie mit den schwarzen Schafen der SVP, mit denen pauschal eine Gruppe – die Ausländer – diffamiert wurde. Es darf nicht in die gleiche Richtung gehen. Diskriminierung geht nie, auch nicht gegen Männer.

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«Es ist gar nicht möglich, alte weisse Männer zu diskriminieren.»
Nathalie Benn, Studentin Kommunikationswissenschaft und Medienforschung
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Benn: Es ist gar nicht möglich, alte weisse Männer zu diskriminieren. Sie haben das System geschaffen, sie stehen in der Nahrungskette zuoberst. Man kann alte Männer nicht strukturell diskriminieren, wie das mit Frauen geschieht.

Kolbe: Strukturell nicht, das stimmt. Aber in Einzelfällen ist es möglich, Männer zu diskriminieren. Männer leiden genauso unter schlechten Chefs. Und gerade junge Männer erleben Gewalt. Wir müssen alle daran arbeiten, damit es mit der Gleichberechtigung vorwärtsgeht. Es ist besser, wenn wir wie jetzt miteinander reden, statt dass jede und jeder die Faust im Sack macht.

Benn: Um wirkliche Chancengleichheit zu erreichen, reicht es nicht, wenn sich nur eine Hälfte der Gesellschaft ändert. Wir brauchen die Männer genauso an Bord.

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