Freundin des Extrem-Bergsteigers Erhard Loretan (52 †) über das Drama am Grünhorn
«Ich riss den Mann mit, den ich liebte!»

Alle 14 Achttausender der Welt hatte Loretan bezwungen. Seinen Tod fand er in den Alpen, als Bergführer seiner Freundin Xenia.
Publiziert: 17.10.2011 um 10:34 Uhr
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Aktualisiert: 07.10.2018 um 12:14 Uhr
Von Michael Spillmann

Auf dem Foto steht das Paar auf dem Piz Turba (Kt. GR), 3018 m ü. M. Es ist der 4. Januar 2011. Glücklich posieren sie auf dem Gipfel: Extrem-Bergsteiger Erhard Loretan († 52), der als erster Schweizer alle 14 Achttausender der Welt ohne zusätzlichen Sauerstoff bezwang, und seine Partnerin, die Genfer Richterin Xenia Minder (38).

Fast vier Monate später, am 28. April, sind sie wieder in den Bergen unterwegs, zum Grünhorn im Oberwallis. Seit zwei Jahren sind sie ein Paar. Kurz vor dem Gipfel nimmt ihr Glück ein tragisches Ende: Beide stürzen in die Tiefe. .

Nun erzählt Xenia Minder zum ersten Mal vom Bergdrama. In der Westschweizer Zeitung «Le Temps» schildert sie, wie sie von Schuldgefühlen geplagt wird. «Ich habe beim 200-Meter-Sturz den Mann mitgerissen, den ich liebte. Für andere war er der grösste Alpinist der Welt», so Xenia Minder. Der Unfall des erfahrenen Bergführers war vielen ein Rätsel. «Nie hat jemand in Erwägung gezogen, dass ich für den Tod von Erhard verantwortlich sein könnte», so Minder.

Am Tag des Aufstiegs zum Grünhorn feiert Erhard Loretan seinen 52. Geburtstag. Am Fuss des Berges deponieren sie ihre Ski, gegen 12 Uhr haben sie den Gipfel schon fast erreicht. «Wir kletterten auf dem Grat in Richtung Spitze hoch.» Dann passiert es: Xenia Minder steht auf eine kleine Eisfläche. «Mein linker Fuss rutschte weg.» Sie stürzt in die Tiefe, reisst Erhard Loretan mit. «Ich erinnere mich an die Überschläge, wie sich das Seil ausrollte. Ich spürte die Steine und das Eis, betete, dass ich nicht zu viel leiden muss, bevor ich sterbe.»

Doch Xenia Minder überlebt, bleibt stundenlang schwer verletzt in der Nordwestwand liegen. Bis die Retter sie finden. Ihr Partner Erhard Loretan kann nur noch tot geborgen werden.

«Es war frustrierend, die Rolle der überlebenden Heldin einzunehmen. Vielmehr bin ich die zerstreute Alpinistin, deren Unaufmerksamkeit das Drama ausgelöst hat», bekennt Xenia Minder. «Viele Leute waren erstaunt, dass ein Bergsteiger wie er gerade beim Aufstieg aufs Grünhorn stirbt.» Sie betont: «Er hatte immer Respekt vor den Gipfeln, war immer demütig.»

Drei Wochen nach dem Unfall will die Richterin vom Untersuchungsrichter wissen, wie der Stand der Unfalluntersuchung ist: «Er antwortete, dass der Fall bald zu den Akten gelegt wird.» Sechs Monate nach dem Unglück spricht sie von einer Leere in sich, gepaart mit Gewissensqual. «Schuldgefühle einer Überlebenden? Ja, ohne Zweifel. Vor allem, weil Erhard nie Mitgefühl erhalten hat, nachdem er seinen Sohn verlor. Aber er wollte einen Neuanfang, mit mir, mit all den möglichen Projekten die dazugehören.»

Am 21. Oktober zeigt TSR 1 einen Dok-Film über das Leben Erhard Loretans mit seinen extremen Höhen und Tiefen. Darin wird Xenia Minder über seinen Tod an ihrer Seite erzählen.

Loretan litt unter der Schuld am Tod seines Söhnchens
Extrem-Bergsteiger Erhard Loretan († 52) machte nicht nur Schlagzeilen als Gipfelstürmer – 2003 stand er in Bulle FR vor Gericht. Er musste sich für den Tod seines sieben Monate alten Sohnes Ewan verantworten. Nachdem er gegenüber der Polizei alles abgestritten hatte, gab der Vater später zu: «Das Kind hat den ganzen Nachmittag geweint. Da habe ich es kurz geschüttelt, ohne mir etwas dabei zu denken.» Minuten später war sein Sohn bewusstlos, schliesslich starb der Bub im Spital an den Folgen der schweren Hirnverletzungen. Erhard Loretan wurde zu vier Monaten Gefängnis
bedingt verurteilt.
Extrem-Bergsteiger Erhard Loretan († 52) machte nicht nur Schlagzeilen als Gipfelstürmer – 2003 stand er in Bulle FR vor Gericht. Er musste sich für den Tod seines sieben Monate alten Sohnes Ewan verantworten. Nachdem er gegenüber der Polizei alles abgestritten hatte, gab der Vater später zu: «Das Kind hat den ganzen Nachmittag geweint. Da habe ich es kurz geschüttelt, ohne mir etwas dabei zu denken.» Minuten später war sein Sohn bewusstlos, schliesslich starb der Bub im Spital an den Folgen der schweren Hirnverletzungen. Erhard Loretan wurde zu vier Monaten Gefängnis
bedingt verurteilt.
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