«Ich will nicht mit den Orang-Utans kuscheln»
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Caroline Schuppli im Interview:«Ich will nicht mit den Orang-Utans kuscheln»

Forscherin Caroline Schuppli lebt im Dschungel von Sumatra
«Ich will nicht mit den Orang-Utans kuscheln»

In ihrem Leben spielen die Sumatra-Orang-Utans 
die Hauptrolle. Caroline Schuppli (31) setzt sich für 
den Schutz der Menschenaffen ein. Die Forscherin 
über unseren ­Verwandten, brüllende Tiger und den WWF.
Publiziert: 17.03.2019 um 11:16 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2022 um 11:09 Uhr
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Sumatra-Orang-Utans leben auf den Bäumen, denn auf dem Waldboden lauert ihr Feind: der Sumatra-Tiger.
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Alexandra FitzCo-Ressortleiterin Gesellschaft

Vor vier Wochen kehrte Caroline Schuppli aus dem Dschungel in Sumatra zurück. Im Juni wird sie wieder für sechs Wochen in einer einfachen Holzhütte ohne fliessendes Wasser leben. Und das alles für Affen. Wir treffen die Tierschützerin im Zürcher Zoo. Ihre Sumatra-Orang-Utans eingesperrt zu ­sehen, tue schon etwas weh. Sie seien im Zoo Zürich aber gut aufgehoben, man schaue, dass sie artgerecht beschäftigt werden. Zoo-Orang-Utans fungierten als Botschafter für ihre wilden Verwandten und würden wichtige Öffentlichkeitsarbeit leisten. Dann hüpft ein kleiner Affe an die Scheibe und hält den Zeigefinger ans Glas, Schuppli berührt ihn durch die Scheibe. Fast so, als ob das Tier merken würde, dass diese Frau für ihn und seine Freunde kämpft.

Was sagen Ihre Eltern, dass Sie im 9700 Kilometer entfernten Dschungel von Sumatra ­zwischen Tigern und Schlangen Affen beobachten?
Caroline Schuppli: Die sahen das kommen. Ich hatte schon immer diese Faszination für den Dschungel und Menschenaffen. Mit elf Jahren war ich mit meinen Eltern in ­einem Nationalpark in Tansania und schaute Schimpansenforschern über die Schulter. Da sah ich, dass das ein Beruf ist. Von da an war klar, was ich werden wollte.

Warum genau Orang-Utans?
Mich fasziniert, wie ähnlich wir ­ihnen sind, und trotzdem sind wir so verschieden. Schon kleine Kinder sehen die Ähnlichkeit und wollen im Zoo immer zu den Affen. Ich möchte diese Tiere besser verstehen, um Rückschlüsse auf unsere Evolution zu ziehen. Als ich 2010 das erste Mal auf Sumatra war, habe ich mich in die Orang-Utans verliebt.

Gemäss der Weltnaturschutz­union ist der Orang-Utan vom Aussterben bedroht.
Deshalb ist der langfristige Schutz Ziel unseres Projekts. Dafür ­müssen wir seine Heimat retten. Sein ­Lebensraum wird zunehmend ­abgeholzt: Einheimische Bauern fällen die Urwaldriesen und ­verkaufen das Holz. Wir hörten ­früher an zwei von drei Tagen ­Kettensägen in unserem Gebiet. Seit 2016 ist die Abholzung in ­unserem Gebiet sehr stark zurückgegangen.

Wie das?
Wir haben es für die Bevölkerung attraktiv gemacht, den Wald zu schützen. Neben den fixen Stellen beschäftigen wir junge Erwachsene auf rotierender Basis. Sie bekommen einen anständigen Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Das funktioniert sehr gut. Wenn trotzdem jemand abholzt, machen wir einen kurzen Arbeitsstopp. Für sie ist es nun attraktiver, den Wald zu schützen, statt ihn abzuholzen. Sie haben Stolz entwickelt für ihren Wald und ihre Orang-Utans.

Wie läuft Ihr Forscheralltag ab?
Es geht als Erstes immer darum, Orang-Utans im Regenwald zu finden. Sumatra-Orang-Utans ­leben auf Bäumen, man hört sie, wenn sie sich von Baum zu Baum schwingen. Es klingt wie ein ­Rascheln. Wir folgen dem Tier, bis es seinen Schlafplatz gefunden hat. Es macht jede Nacht ein neues Nest.

Sie folgen den Affen Tag für Tag?
Ja, dabei nehmen wir viele Daten seines Verhaltens auf: Was macht er, wie weit entfernt ist er von den anderen, was schauen sich die Kinder bei wem ab? Ansässig in unserem Gebiet sind etwa 80  Orang-Utans, 30 davon ver­folgen wir seit mehreren Jahren. Wir starten ­gegen halb vier Uhr nachts und marschieren ein bis drei  Stunden durch den Dschungel, um beim Nest zu sein, bevor der Affe aufsteht. Dann folgen wir dem Tier wieder durch den Regenwald.

Stimmt es, dass die Affen wegen des Sumatra-Tigers auf Bäumen leben?
Das ist die Haupttheorie. Sie kommen kaum auf den Waldboden, und wenn, dann nur ganz kurz.

Sind Sie schon mal einem Tiger begegnet?
Seit ein paar Jahren haben wir ein Weibchen im Gebiet. Sehen Tatzenabdrücke oder Kratzspuren an den Bäumen. Wenn sie Junge hat, warnt sie uns mit ihrem Gebrüll. Das Zeichen, dass wir zurück­müssen. Das ist sehr laut und fährt einem durch Mark und Bein.

Wo lauert sonst noch ­Gefahr?
Unsere Forschungsstation liegt sehr abgelegen im Sumpf­gebiet, die nächste grössere Stadt ist elf Autostunden entfernt. Un­fälle können überall passieren. Es hat Schlangen und Tiger, aber 
die grösste Gefahr, sagt man, sind die Bienen. Sie haben ein anderes Gift, auf das wir sehr stark reagieren.

Der Mensch scheint im Urwald am gefährlichsten zu sein. Was ist mit den Orang-Utans selbst?
Sie sind nicht aggressiv. Wir ver­suchen aber, mindestens fünf Meter zwischen uns zu haben. Näher sind wir nur, wenn sie zu uns kommen, dann weichen wir aber sofort ­zurück. Doch all unsere Forschung ist strikt nicht invasiv. Wir berühren die Affen nicht und interagieren nicht mit ihnen, wir schauen ihnen bloss zu.

Kein Sedieren, keine Sender, 
kein Streicheln?
Sie stehen unter so starkem Schutz, dass es verboten ist, sie zu betäuben. Das ist auch gut so. Sie sind uns so ähnlich, wir könnten ihnen alle möglichen Krankheiten übertragen. Bei Schimpansen sah man, dass es sehr schnell gehen kann, dass sich eine Population mit einer Grippe infiziert. Dann kann die ganze Population aussterben. Weil sie auf den Bäumen leben, haben wir automatisch eine natürliche ­Distanz zu ihnen.

Sie wären ihnen doch sicher ­gerne mal näher?
Nein, ich sehe mich als Beobachter. Ich habe das Bedürfnis nicht, ich will ihnen zuschauen, aber nicht mit ihnen kuscheln. Ich sage immer: An dem Tag, an dem ich mal einen Orang-Utan im Arm habe, ist etwas schiefgelaufen. Das würde be­deuten, wir haben ein Baby von ­einem gewilderten Mami retten müssen.

Wilderei?
Ja, wenn sie nicht an den Folgen der Regenwaldzerstörung auf ­ihren Bäumen verbrennen, werden sie leider oft noch gefangen. Dabei wird die Mutter getötet, um das Junge als Haustier zu halten. Unsere Partnerorganisation, die Schweizer Stiftung Paneco, kümmert sich um diese Tiere, päppelt sie auf und baut mit den wieder ausgewilderten Tieren neue Populationen auf.

Wurde es also nie gefährlich mit so einem Menschenaffen?
Nein, eigentlich gar nicht. Einmal hatten wir auf Borneo Waldbrände rund um das Forschungsgebiet und viel Rauch. Viele Tiere wurden in unser Gebiet getrieben, ein Männchen war extrem aufgeregt, und ich kam zwischen das Männchen und ein Weibchen. Das männliche Tier hat in seiner Aufregung einen Baum umgeworfen, und der fiel auf ­meinen Kopf. Ich hatte eine Gehirnerschütterung.

Wie wurden Sie behandelt, 
die nächste Stadt ist ja zehn Stunden entfernt?
Ja, ich konnte bei den Bränden wegen des Rauches sowieso nicht auf den Fluss, um ins zwei Sunden entfernte Dorf zu gelangen. Ich hab mich im Camp auskuriert.

Wie muss man sich das Camp vorstellen?
Drei einfache Holzhäuser auf Stelzen. Strom haben wir nur nachts ein paar Stunden, um die Geräte aufzuladen. Waschen tun wir im Fluss. Es fühlt sich an wie in der freien Natur, man hört viele Geräusche, der Wald ist sehr laut.

Was hält Sie nachts sonst noch wach?
Dass uns die Finanzierung ausgeht, ist meine grösste Sorge. Forschungsgelder sind meist projektbezogen. Damit wir die Forschungsstation langfristig betreiben können, sind wir auf Spendengelder angewiesen.

Da hilft so ein Skandal wie beim WWF sicher nicht. Was sagen 
Sie dazu, dass die Organisation skrupelloses Vorgehen von Wildhütern gegenüber der Bevölkerung geduldet haben soll?
Es ist traurig und erschreckend. Immer wenn man Leute ermächtigt, besteht das Risiko des Ausnutzens. Aber das spricht nicht gegen den Naturschutzgedanken. Es ist noch zu früh, um zu spekulieren. Wichtig ist jetzt, dass richtig abgeklärt wird, was passiert ist.

Was glauben Sie, warum es ­so weit kommen kann?
Grundsätzlich zeigt es, dass gerade bei grossen Projekten die Kontrolle sehr wichtig ist. Es bestätigt für mich die Vorteile von kleinen ­Projekten. Wir sind sehr lokal tätig, arbeiten aber sehr effizient. Ich kenne alle, mit denen ich arbeite, persönlich und habe daher eine bessere Kontrolle. Bei Naturschutzprojekten ist die Kontrolle bei der ­Umsetzung der Massnahmen sehr wichtig. Dennoch braucht es die internationalen Organisationen wie den WWF auch.

Die Affenfrau

Caroline Schuppli (31) aus Wädenswil am Zürichsee ist promovierte Wissenschaftlerin des Instituts für Anthropologie an der Uni Zürich. Sie hat einen Doktor in evolutionärer Biologie. Seit sie 10 Jahre alt ist interessiert sie sich für Menschenaffen, dem nächstmöglichen Verwandten von uns. Sie möchte mit ihrer Forschung am Orang-Utan die menschliche Evolution verstehen. 2010 ging sie das erste Mal auf Sumatra und verliebte sich in die Orang-Utans, was Waldmensch bedeutet. Sie blieb 7 Monate. Seither lebt sie mehrere Monate im Jahr im Nordwesten Sumatras im Dschungel und studiert das Verhalten der Waldmenschen.

Caroline Schuppli (31) aus Wädenswil am Zürichsee ist promovierte Wissenschaftlerin des Instituts für Anthropologie an der Uni Zürich. Sie hat einen Doktor in evolutionärer Biologie. Seit sie 10 Jahre alt ist interessiert sie sich für Menschenaffen, dem nächstmöglichen Verwandten von uns. Sie möchte mit ihrer Forschung am Orang-Utan die menschliche Evolution verstehen. 2010 ging sie das erste Mal auf Sumatra und verliebte sich in die Orang-Utans, was Waldmensch bedeutet. Sie blieb 7 Monate. Seither lebt sie mehrere Monate im Jahr im Nordwesten Sumatras im Dschungel und studiert das Verhalten der Waldmenschen.

Orang-Utans 
Forschung in 
Indonesien

Seit den 90er-Jahren wird auf Sumatra Orang-Utan-Forschung betrieben. Seit 2007 setzt sich auch die Uni Zürich mit dem Anthropologischen Institut für die Menschenaffen in Indonesien ein und betreibt zusammen mit der Schweizer Naturschutzstiftung Paneco die Forschung in Suaq. Suaq, was Sumpf bedeutet, ist der Name des Regenwaldes auf Sumatra und hat die dichteste Orang-Utan-Population. Die Evolutionsbiologin Caroline Schuppli gründete 2016 mit ihren Studenten das Projekt «Suaq», mit dem Ziel, den langfristigen Fortbestand der Forschungsstation zu sichern. Um die wildlebenden Sumatra-Orang-Utans zu beobachten und zu schützen, kämpfen die Forscher gegen die Abholzung des Regenwaldes.

Seit den 90er-Jahren wird auf Sumatra Orang-Utan-Forschung betrieben. Seit 2007 setzt sich auch die Uni Zürich mit dem Anthropologischen Institut für die Menschenaffen in Indonesien ein und betreibt zusammen mit der Schweizer Naturschutzstiftung Paneco die Forschung in Suaq. Suaq, was Sumpf bedeutet, ist der Name des Regenwaldes auf Sumatra und hat die dichteste Orang-Utan-Population. Die Evolutionsbiologin Caroline Schuppli gründete 2016 mit ihren Studenten das Projekt «Suaq», mit dem Ziel, den langfristigen Fortbestand der Forschungsstation zu sichern. Um die wildlebenden Sumatra-Orang-Utans zu beobachten und zu schützen, kämpfen die Forscher gegen die Abholzung des Regenwaldes.


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