Forscher fordern Politik zum Handeln auf
Kinder in Europa sind zu dick

Viele Kinder in Europa sind übergewichtig – mit schlimmen gesundheitlichen Folgen. Forscher haben nun Tausende von ihnen über Jahre begleitet und festgestellt: Die Politik sollte mehr tun im Kampf gegen das Übergewicht.
Publiziert: 09.02.2017 um 00:21 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 20:58 Uhr
Kampf gegen die Pfunde: übergewichtige Schüler in einer Turnhalle.
Foto: KEYSTONE/Christian Beutler
Kampf gegen die Pfunde: übergewichtige Schüler in einer Turnhalle.
Foto: KEYSTONE/Christian Beutler

Ein Schokoriegel in der Pause, ein Softdrink nach der Schule und dann ab auf die Couch zum Fernsehen - dass Kinder mit einem solchen Alltag schnell dick werden können, liegt auf der Hand. Doch selbst, wenn Eltern sie zum Sport animieren oder gesund kochen: Es gibt Risikofaktoren für Übergewicht, die Familien nicht in der Hand haben. Das haben Forscher nun in einer grossen Langzeitstudie herausgefunden.

«Allein die Appelle ans gesunde Verhalten und ans gesunde Essen, die bringen es nicht», sagt Wolfgang Ahrens. Der Gesundheitsforscher hat die I.Family-Studie mit rund 10'000 Kindern zwischen 7 und 17 Jahren in acht europäischen Ländern koordiniert. Er ist überzeugt: Auch die Politik trägt eine Verantwortung für die Gesundheit der Kinder. Am Donnerstag soll die Studie in Brüssel vorgestellt werden.

Auch in der Schweiz ein Problem

Zuletzt gab es in der Schweiz zwar ermutigende Nachrichten: Laut einer Studie von «Gesundheitsförderung Schweiz» von 2016 ist der Anteil übergewichtiger und fettleibiger Kinder hierzulande rückläufig. Besonders bei Kindergartenkindern reduzierte sich dieser Anteil in den letzten zehn Jahren deutlich, von 16 auf zwölf Prozent. Bei Schülerinnen und Schülern sind noch 17,3 Prozent (im Schuljahr 2014/2015) betroffen.

Trotz dieses langsamen Rückgangs bleibt es dabei: Zu viele Kinder sind zu dick. Die Schweiz wurde zwar in der aktuellen Studie nicht berücksichtigt, liegt aber etwa im europäischen Mittelfeld. Generell gilt: Je weiter man sich in Europa Richtung Süden bewegt, desto mehr dicke Kinder gibt es.

Besonders in Gefahr sind der I.Family-Studie zufolge Knaben und Mädchen aus sozial schwachen Familien - über alle Ländergrenzen hinweg. Die Forscher stellten in der Langzeitstudie fest: Nach sechs Jahren waren anfangs schlanke Kinder von Eltern mit niedrigem oder mittlerem Bildungsstand doppelt so häufig übergewichtig wie solche, die in Familien mit höherem Ausbildungsniveau lebten.

«Es bleibt dabei, dass insbesondere Bildung ein dominanter Einflussfaktor ist», sagt Ahrens. Weniger gebildete Eltern achteten in der Regel seltener auf gesunde Ernährung, stellten seltener Regeln für Süssigkeiten und Sport auf.

Problematische Werbung

Und: Sie seien weniger kritisch gegenüber TV-Reklame. «Deren Kinder sind Einflüssen der Werbung schutzlos ausgeliefert», sagt Ahrens. Er fordert eine stärkere Reglementierung von speziell auf Kinder zugeschnittener Reklame. Die freiwilligen Selbstverpflichtungen für verantwortungsvollere Werbung seitens der Industrie wirkten nicht. Eine Kritik, die die Verbraucherorganisation Foodwatch teilt.

Dabei beeinflusst Werbung das Essverhalten von Kindern stark, wie die Forscher in ihrer Studie belegen. Kinder greifen demnach häufiger zu Softdrinks und süssen oder fetten Speisen, wenn sie zuvor Werbung angeschaut haben - und zwar auch dann, wenn ihre Eltern das eigentlich verbieten. Und sie essen sogar Snacks, die sie eigentlich nicht mögen, bloss weil sie Werbung dafür gesehen haben.

Auch für mehr Bewegung könne die Politik etwas tun, sagt Studienkoordinator Ahrens. Stadtplaner müssten dafür sorgen, dass es draussen genug Platz zum Spielen und Toben gibt. «Wir konnten zeigen, dass Kinder, die in einer Umwelt wohnen, die viele Grünflächen bietet und gut mit Velowegen strukturiert ist, sich tatsächlich mehr bewegen.»

Derzeit schafft es der Studie zufolge nicht einmal ein Drittel der europäischen Kinder, sich eine Stunde am Tag zu bewegen, so wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt.

Natürlich können Eltern die Lebensweise ihres Kindes mitprägen, etwa indem sie Süssigkeitenregeln aufstellen oder mit ihnen etwas Sportliches unternehmen. Aber: «Wenn wir die Familien nicht unterstützen, indem wir die äusseren Bedingungen verändern, dann greifen wir zu kurz. Letztlich lassen wir die Familien dann allein», so Ahrens. (SDA)

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