Finanzierung von Hilfswerken
Wichtigster Spender ist der Staat

Schweizer Non-Profit-Organisationen erhalten deutlich mehr Geld aus Steuermitteln als von privaten Wohltätern.
Publiziert: 10.12.2017 um 12:28 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 04:10 Uhr
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Hilfswerke wissen: Nie sind die Schweizer so spendabel wie in den Wochen vor Heiligabend.
Foto: STEFAN BOHRER
Thomas Schlittler (Text) und Stefan Bohrer (Foto)

Ob in der Einkaufspassage, im Briefkasten oder per Internet – auf allen Wegen wird derzeit versucht, die Menschen von einer Spende für gute Zwecke zu überzeugen. Auch auf den verschiedenen SRG-Sendern heisst es ab kommender Woche wieder: «Jeder Rappen zählt.» Der Zeitpunkt der Sammeloffensive kommt nicht von ungefähr: Nie sind die Schweizer spendabler als in den Wochen vor Heiligabend.

Die Schweizer Non-Profit-Organisationen (NPO) buhlen aber längst nicht mehr ausschliesslich um Gelder von Privatpersonen. Auch beim Staat bitten sie um Unterstützung – und das mit Erfolg. Waren früher private und institutionelle Spenden die wichtigste Finanzierungsquelle der Hilfswerke, kommt heute mit Abstand das meiste Geld von der öffentlichen Hand: Noch 2007 erhielten die Zewo-zertifizierten Hilfsorganisationen 75 Millionen Franken mehr Privatspenden als Staatsbeiträge. 2016 überstiegen die Staatsbeiträge das Volumen der Privatspenden bereits um satte 264 Millionen Franken (siehe Grafik).

Schweiz wird zum Wohlfahrtsstaat

Die Stiftung Zewo ist die schweizerische Zertifizierungsstelle für gemeinnützige spendensammelnde Organisationen. Den rund 500 angeschlossenen Hilfswerken gehen gemäss Institut für Verbands-, Stiftungs- und Genossenschaftsmanagement (VMI) der Universität Freiburg rund 60 Prozent des Schweizer Spendenaufkommens zu.

Wie kam die Verschiebung der Finanzierungsverhältnisse zustande? VMI-Forschungsdirektor Markus Gmür (54) erklärt die Entwicklung so: «Die Zahlen zeigen, dass sich die Schweiz langsam von einem liberalen zu einem Wohlfahrtsstaat entwickelt hat.»

Auch Georg von Schnurbein (40), Direktor des Center for Philanthropy Studies an der Universität Basel, sieht das wachsende Sozialwesen als Ursache: «Die NPO übernehmen vermehrt staatliche Aufgaben.» In vielen Ländern Europas sehe es ähnlich aus. In angloamerikanischen Ländern dagegen gehe die Tendenz in eine andere Richtung. «Dort können die Staaten gar nicht mehr bezahlen. Deshalb finanzieren sich die Hilfs­organisationen vermehrt aus Erträgen von Eigenleistungen.»

Auch Kantone und Gemeinden unterstützen Hilfswerke

Die Schweizer Hilfswerke werden nicht nur vom Bund unterstützt, sondern auch von Kantonen und Gemeinden. Wie hoch die verschiedenen Finanzierungsanteile sind, erfasst die Zewo nicht. Auf nationaler Ebene erhalten die NPO von verschiedenen Bundesämtern Geld. Je nach Aufgabengebiet, in dem sie sich bewegen.
Einer der wichtigsten Geldgeber ist die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza). Zwischen 2007 und 2016 erhöhten sich die Deza-Beiträge an Schweizer Nichtregierungsorganisationen kontinuierlich von 192 auf 292 Millionen Franken. Deza-Sprecherin Carole Wälti beurteilt diesen Anstieg positiv: «Das widerspiegelt die Stärkung der Partnerschaften zwischen Bund, Kantonen, Gemeinden und Hilfswerken, um gemeinsam die Herausforderungen der Armutsbekämpfung und Linderung der Not zu bekämpfen.» Die Hilfswerke seien zunehmend wichtige Akteure und Partner in der Umsetzung der Agenda für nachhaltige Entwicklung.

Bedeutet die Tatsache, dass die Hilfsorganisationen höhere Staatsbeiträge erhalten, dass die privaten Spendeneinnahmen nicht mehr so wichtig sind? Professor von Schnurbein von der Universität Basel verneint: «Die NPO brauchen die privaten Spenden nach wie vor. Denn die staatlichen Gelder sind an eng definierte Leistungsaufträge gebunden. Es entstehen deshalb nicht mehr freie Mittel.»

Bürgerliche wollen sparen

Hinzu kommt, dass es fraglich ist, ob die gemeinnützigen Organisationen in der Schweiz auch in Zukunft mit steigenden Staatsbeiträgen rechnen können. Gmür von der Universität Freiburg: «In einigen Kantonen versucht man derzeit, die Entwicklung der letzten Jahre zumindest teilweise wieder rückgängig zu machen.»

Beim Bund geht es in dieselbe Richtung. 2018 wollen bürger­liche Finanzpolitiker bei Hilfsprojekten 100 Millionen Franken einsparen – zusätzlich zu den 150 Millionen, die der Bundesrat schon gestrichen hat. Wälti von der Deza hält das für den falschen Weg: «Angesichts der weltweiten Zunahme an Naturkatastrophen, Konflikten und sich verstärkenden Krisen nehmen die Organisationen der Zivilgesellschaft eine zunehmend zentrale Rolle ein.» l

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