Hinterbliebene des Unglückspiloten wehren sich
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Fehlverhalten bei Ju-52-Crash:Das steht im Untersuchungsbericht

Nach Bericht über menschliches Versagen bei Ju-52-Absturz
Hinterbliebene des Unglückspiloten wehren sich

Laut eines Berichts stürzte die Ju-52 vor zwei Jahren wegen menschlichen Versagens ab. Offenbar hat der Bund die Ju-Air ausserdem nicht genügend kontrolliert. Die Familie eines der Piloten kritisiert Teile des Berichts.
Publiziert: 30.08.2020 um 05:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.01.2021 um 07:44 Uhr
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Eine Ju-52-Dreierformation vor dem Unglück vor zwei Jahren, bei dem 18 Passagiere und die beiden Piloten ums Leben kamen.
Foto: Keystone

Weder Maschinendefekt noch Wetterursachen: Der Absturz der Ju-52 vor zwei Jahren in den Bündner Alpen sei auf menschliches Versagen zurückzuführen. Das zeigt ein noch unveröffentlichter Untersuchungsbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (Sust) auf, der der «SonntagsZeitung» vorliegt. Demnach hätten sich die Piloten mit «hoch riskanten Flugmanövern» nicht an die vorgeschriebene Mindesthöhe eingehalten.

Der Bericht lässt kein gutes Haar an den beiden Kapitänen der Ju-Air – Ruedi J.* (†62) und Peter M.* (†63).

Sie seien allein in den beiden Monaten vor dem Unglück 28-mal zusammen geflogen – und hätten dabei wiederholt die vorgeschriebene Mindestflughöhe nicht eingehalten. Der Bericht kommt zur Folgerung, dass sich die beiden Piloten, die keine zehn Kilometer voneinander entfernt wohnten, offenbar für «unverwundbar» gehalten hätten.

Spektakuläre Route wird zum Verhängnis

Auch an jenem verhängnisvollen Nachmittag am 4. August 2018, auf dem Weg von Locarno TI zurück nach Dübendorf ZH, sei die «Tante Ju» viel zu tief geflogen. Die Piloten hätten sich für die spektakuläre Bündner Route entschieden. Dabei flogen sie beim Piz Segnas zu nahe an der Bergkante vorbei und hatten nicht mehr genügend Manövrierraum, sollte beispielsweise unter dem Gebirgskamm aufgrund einer Verwirbelung plötzlich starker Abwind entstehen.

Mit dem zu tiefen Einflug in den Talkessel war es laut Bericht «nicht mehr möglich, eine Umkehrkurve zu fliegen». Es gab für die Piloten keine Auswege mehr. Das Flugzeug stürzte senkrecht ab.

«Narrenfreiheit» beim Bund

Auch fehlende Aufsicht durch das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) kommt zur Sprache. Dem Kapitän, der am Unglückstag die Maschine steuerte, attestiert der Bericht «vermindertes Risikobewusstsein» und «fehlende Selbstkritik». Das sei schon bei den jährlichen Checkflügen augenfällig gewesen. Der Pilot soll immer wieder die vorgeschriebene Mindesthöhe unterschritten haben, ohne jegliche Konsequenzen des Bazl-Prüfers, der ebenfalls im Flugzeug sass. Demnach hatte ein Pilot mehrmals nachweislich schwerwiegende Fehler begangen und konnte dennoch weiterfliegen.

Doch nicht nur das: Weitere Recherchen würden aufzeigen, dass alle drei Oldtimer-Flugzeuge der Dübendorfer Ju-Air bei mindestens acht Flügen viel zu tief geflogen seien. Im Frühling 2016 donnerte eine Dreier-Formation in einer Höhe von knapp 100 Metern über Rümlang ZH. Erlaubt wären 300 Meter. Das Bazl wies die Strafanzeige eines Rechtsanwalts ab, der sich gemäss eigener Aussage an den Angriff auf Pearl Harbor 1941 erinnert fühlte. Andere Luftfahrtbetriebe würden vom Bazl genau kontrolliert und auch gebüsst, sagt der erfahrene Flugexperte Martin Stucki, CEO der Firma Linth-Air-Service. «Die Ju-Air hatte Narrenfreiheit.» Der Absturz am Piz Segnas mit den vielen Toten wäre vermeidbar gewesen.

Die Familie von Peter M. sagt zu BLICK: «Wir haben davon Kenntnis genommen, dass der vertrauliche Entwurf des Unfallberichts bereits in den Medien kursiert. Mit diversen Punkten in diesem Bericht sind wir nicht einverstanden, da sie auf falschen Fakten beruhen. Die Sust hat unsere kritische Stellungnahme zum Entwurf erhalten. Wir hoffen sehr, dass dieses tendenziöse Bild der Piloten in der endgültigen Fassung des Schlussberichts korrigiert wird.»

Vorwürfe liessen sich laut Bazl meistens nicht erhärten

Bazl-Sprecher Urs Holderegger will den Vorwurf, Ju-Air nicht ausreichend kontrolliert zu haben, nicht auf seinem Amt sitzen lassen: «Es gab sehr wenig belastende Aussagen gegen die Ju-Air», sagt Holderegger zu BLICK. «Bei den meisten Reklamationen handelte es sich um Lärmklagen.» In den letzten rund 12 Jahren habe es rund ein Dutzend Klagen wegen zu tiefer Flüge gegeben. «Bis auf wenige liessen sie sich aber nicht erhärten. Es gab keine erhobenen Daten dazu. Es stand Aussage gegen Aussage. Wir machten natürlich die Verantwortlichen bei der Ju-Air auf die Beschwerden aufmerksam.»

Das einzige Mal, dass man den Piloten ein Fehlverhalten habe nachweisen können, sei an der Basel Tattoo 2014 gewesen. Damals habe eine Ju-52 mehrmals die Zuschauer zu tief überflogen. Holderegger: «Das konnten wir dank Radardaten überprüfen. Die Piloten erhielten dafür Bussen.»

Rund um den Flughafen Dübendorf habe es immer wieder Meldungen von zu tiefen Flügen gegeben. «Belastbare Aussagen gab es hier aber kaum», sagt Holderegger. «Man darf nicht vergessen, die Oldtimer können nicht so schnell steigen wie moderne Flugzeuge. Da wirkte ein Flug auch mal zu tief, obwohl alles korrekt war.»

CEO hat Bedenken am Bericht angebracht

Kurt Waldmeier, CEO und Mitgründer der Ju-Air, hat den unveröffentlichten Bericht auch gelesen: «Bis der Schlussbericht wie angekündigt offiziell vorliegt, sage ich noch nichts dazu.» Er habe seine Bedenken eingegeben, sagt Waldmeier zu BLICK. «Wir müssen da durch. Die Sicherheit war immer oberste Priorität bei uns», beteuert er. «Ich habe aber als CEO nie die Piloten überprüft. Das war nicht meine Aufgabe. Ich habe 38 Jahre das Unternehmen geführt, und wir hatten zuvor nie einen Unfall.»

Der offizielle Unfallbericht der Sust soll frühstens Ende Oktober veröffentlicht werden. Dabei hat das zuständige Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) bereits eine externe Untersuchung durch eine niederländische Behörde angeordnet. (kes/mcb)

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