Jedes Jahr verlieren 20'000 Schwangere in der Schweiz ihr Kind in den ersten Wochen. Trotzdem ist eine Fehlgeburt oft ein Tabuthema – und wird totgeschwiegen. Es braucht mutige Frauen wie Andrea Keller (49) aus Kirchdorf AG, die offen über ihr Schicksal sprechen (BLICK berichtete). Doch auch für Männer ist die Situation extrem belastend, wie das Beispiel von Thomas Z.* zeigt.
Vor sechs Jahren wurde der 50-Jährige erstmals Vater. Seine Frau (heute 42) brachte ein gesundes Mädchen zur Welt. Alles war perfekt. Die junge Familie führte ein glückliches Leben und wollte ein zweites Kind. Doch der Traum ist zerbrochen. «Meine Frau hatte in den letzten drei Jahren zwei Fehlgeburten», so der Schweizer, der in Südafrika lebt, zu BLICK. Seitdem sei die Zweisamkeit gestört.
Traumatischer als die Geburt der Tochter
«Unsere Beziehung existiert praktisch nicht mehr», sagt Thomas Z. und führt aus: «Wir funktionieren heute nur als Eltern. Unsere Tochter kittet uns zusammen.» Er möchte anonym bleiben, da seine Frau sich zunehmend verschliesst und nicht über das Geschehene spricht – mit niemandem. Für Thomas Z. ist die Situation doppelt schwierig, denn die Fehlgeburten waren auch für ihn traumatisch. Vor allem die erste traf ihn ins Mark: «Es war ein schreckliches Ereignis. Auf eine negative Art ist es einschneidender als die Geburt meiner Tochter.»
Es passierte wie aus dem Nichts. Mitten in der Nacht. Thomas Z. lag neben seiner Frau im Bett, die sich in der 12. Woche befand. Er erinnert sich: «Plötzlich war das Schlafzimmer und später das Badezimmer voller Blut.» Geschockt fuhr er seine Frau ins Spital. Die Situation war kritisch – auch für sie. Das Ungeborene konnte nicht gerettet werden. Trotz des Verlusts erhielt sie keine psychologische Hilfe: «Die Gesellschaft in Südafrika ist generell offener als in der Schweiz, aber Fehlgeburten sind auch hier ein grosses Tabu.»
Ein zweiter Schock in Woche 8
Trotz Schicksalsschlag hält das Paar am Kinderwunsch fest. Wieder kommt es zum Drama – dieses Mal in Woche acht. Die zweite Fehlgeburt liegt mittlerweile ein Jahr zurück – aufgearbeitet wurde sie nie. «Wir schweigen darüber», so Thomas Z., denn: «Meine Frau will nicht sprechen. Sie sagt, sie kann nicht.»
Anfangs dachte er, sie brauche Zeit. Doch es wurde nie besser. Im Gegenteil: «Das Problem ist noch da», sagt er. «Ich würde sie gerne unterstützen.» Doch es hilft nichts: «Eine Paartherapie lehnt sie ab!»
BLICK spricht mit Armin Baumann (66) über den Fall. Der Psychotherapeut vom Projekt «Mann in Not» kann nachvollziehen, dass die Situation für Thomas Z. sehr belastend ist. Denn: «Männer sind es gewohnt, gegen aussen zu agieren. Beziehungsprobleme schieben sie auf die Seite.» Zum Glück sei das bei Thomas Z. nicht der Fall. Er rät ihm, professionelle Hilfe für sich selbst zu holen.
Psychologe rät zu offener Aufarbeitung
Das Verhalten der Frau sei eher destruktiv. «Dadurch, dass sie mit niemandem über die Fehlgeburten spricht, ist auch die Verarbeitung stark reduziert», sagt er. «Dabei ist es für sie eine grosse Chance, dass ihr Mann aktiv mitleidet und auf sie zukommt.»
Für den Psychotherapeuten ist klar: «Professionelle Hilfe ist in diesem Fall auch für die Frau enorm wichtig. Oft geben sich Mütter, die ein ungeborenes Kind verlieren, fälschlicherweise selbst die Schuld.» Er erklärt: «Eine Fachperson könnte mit dem Mann zusammen überlegen, wie man für seine Frau Unterstützung holt.» Laut Baumann ist das auch wegen der gemeinsamen Tochter eine Notwendigkeit: «Wenn kein Austausch zwischen ihnen stattfindet, droht eine familiäre Katastrophe.»
Der Therapeut warnt: «So ein schwieriges Thema muss man aktiv angehen, sonst dauert es Jahrzehnte, um es zu verarbeiten.»
*Name von der Redaktion geändert