Der Schock ist der Familie Sihyürek schon von weitem anzusehen. Alle drei sind blass und müde. «Wir hatten die schlimmste Nacht unseres Lebens. Wir haben nicht geschlafen», sagt Ugur Sihyürek (27). Der Kundenberater aus Chur hatte mit seiner Mutter Sultan Sihyürek (67) und seiner Verlobten Feride Cibil (24) zehn Tage in seiner Heimatstadt Gaziantep verbracht.
In der Nacht auf gestern sollte der Heimflug vom Flughafen Atatürk in Istanbul starten. Dort, wo sich nur wenige Stunden zuvor drei Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatten.
«Auf dem Weg zum Flughafen bekamen wir ein SMS, der Flug sei annulliert», erklärt Ugur Sihyürek. Es folgten bange Stunden der Ungewissheit, ob sie überhaupt in die Schweiz fliegen können – und Angst vor weiteren Anschlägen.
Das grösste Problem: Sie wussten nicht genau, was vor sich ging. «Nachrichten erhielten wir von Freunden in der Schweiz», so Sihyürek, «in der Türkei gabs eine Nachrichtensperre. Wir konnten nicht mal auf Twitter oder Facebook nachschauen.»
Heimreise nach Zürich
Am Flughafen erhielt die Familie neue Tickets und musste über den kleineren Istanbuler Flughafen Sabiha Gokçen fliegen. In Zürich traf die Familie schliesslich um 14 Uhr ein. Der Terroranschlag am Flughafen Atatürk verlief ähnlich wie jener in Brüssel am 22. März.
Die drei Attentäter schossen erst um sich und sprengten sich dann in die Luft. Augenzeugen schrieben auf Twitter, dass es zwei Terroristen geschafft hatten, bis in die Vorsicherheitszone einzudringen. Einer soll seine Bombe bereits auf dem Parkplatz gezündet haben.
Videos zeigen, wie einer der Terroristen stürzt, nachdem ihn ein Polizist angeschossen hat. Wenige Sekunden darauf löst sich alles in einem Lichtblitz auf. Mindestens 41 Menschen sterben, 231 werden verletzt.
Unter den Toten sind 13 Ausländer: fünf aus Saudi-Arabien, zwei Iraker sowie je ein Bürger aus Tunesien, Usbekistan, China, dem Iran, der Ukraine und Jordanien. Gestern bestätigte das EDA, dass sich kein Schweizer unter den Toten befindet.
340 Flüge gestrichen
Ein Bekennerschreiben fehlt. Die türkische Regierung vermutet den Islamischen Staat (IS) hinter dem Terrorakt. Als möglicher Drahtzieher gilt der Terrorist Ilhami Bali alias Ebu Bekir. Er soll bereits für andere IS-Anschläge in der Türkei verantwortlich sein. Ob er auch das Attentat am Flughafen Atatürk angeordnet hat, ist aber noch unklar.
Turkish Airlines strich nach den Anschlägen 340 Flüge. Auch die Swiss sagte ihre beiden Verbindungen nach Istanbul ab. Dennoch blieb das grosse Flugchaos aus: Bereits wenige Stunden nach den Explosionen nahm der Flughafen seinen Betrieb gestern wieder auf.
Am Flughafen Zürich stiegen gestern trotzdem alle mit einem schlechten Gefühl ins Flugzeug. So wie Elena Betzger (34) und ihr Sohn Artem (17) aus Basel. «Wir fliegen, um die Familie zu besuchen», sagt die Mutter. «Wären es einfach Ferien, würde ich absagen.»