Familie Sax aus Urdorf besitzt ein Gemälde des britischen Krieg-Premiers
Wie der Winston zu seinem «Churchill-Blau» kam

Es gibt nicht viele Churchill-Werke, die der malende Premier verschenkt hat und heute in Privatbesitz sind. Maya Sax, die mit Churchill das erstes Glas Champagner ihres Lebens getrunken hat, darf sich zu den Glücklichen zählen.
Publiziert: 25.10.2015 um 19:56 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 18:26 Uhr
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Ihren ersten Champagner trank sie als 15-Jährige – mit dem legendären Briten: Maya Sax vor dem Churchill-Bild «Brücke in Aix-en-Provence».
Foto: Joseph Khakshouri
Von René Lüchinger

Nicht einmal eine Woche ist vergangen, seit der britische Kriegs-premier Winston S. Churchill an diesem 11. April 1955 als Regierungschef zum zweiten Mal abgedankt hat.

Auf seinem Landsitz Chartwell in der Grafschaft Kent sitzt er am Schreibtisch und bringt folgende Zeilen zu Papier: «Ich habe Patrickson, den Sie wohl kennen, gebeten, ­Ihnen im Laufe der nächsten Woche das von Ihnen so geschätzte Bild der Brücke in Aix-en-Provence zu schicken. Bitte nehmen Sie es mit allen meinen guten Wünschen entgegen. Ich verreise eben nach ­Sizilien, wo ich ein wenig zu malen gedenke. Ich werde sowohl Ihre Öl- als auch Ihre Temperafarben benützen. Mit allen meinen guten Wünschen bin ich immer Ihr Winston S. Churchill.» Dann notiert er die ­Zustelladresse in der Schweiz: Willy Sax, Dietikon/ZH.

Heute hängt das Landschaftsbild des Jahrhundert-Politikers in der Privatwohnung von Maya Sax, oberhalb des Firmensitzes der Sax Farben AG im zürcherischen Urdorf. Das hat durchaus seine Berechtigung. «Ich habe mit Churchill das erste Glas Champagner meines Lebens getrunken», sagt Maya Sax mit einem lebensfrohen Lachen. «Ich war fünfzehn.»

«Champagner mit Churchill. Der Zürcher Farbenfabrikant Willy Sax und der malende Premierminister» lautet auch der Titel des Buchs von «Weltwoche»-Redaktor Philipp Gut, das diese Woche erscheint. Die Tochter des Farbenherstellers hat aber nicht nur Champagner geschlürft in ihrem Leben. Als der Vater 1964 überraschend stirbt, übernimmt sie für drei lange Jahrzehnte die Firmenleitung und fungiert noch heute als Präsidentin. Fast nebenbei zieht sie mit Jacqueline und André zwei Kinder gross –Letzterer führt heute das Geschäft mit 30 Mitarbeitern in vierter Generation.

Es gibt nicht viele Churchill-Werke, die der malende Premier verschenkt hat und heute in Privatbesitz sind. Die britische Königin Elisabeth II. hat eines erhalten, ebenso die US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt sowie Dwight D. ­Eisenhower – und eben Willy Sax, als wohl Einziger aus dem «gemeinen Volk».

Dass es überhaupt zu dieser persönlichen Verbindung kommt, ist im Grunde einer Laune der Weltgeschichte geschuldet. Im Jahre 1915 sucht Churchill einen Mallehrer – der Brite schwingt seit dieser Zeit den Pinsel, um «eine vollkommene Form der Zerstreuung» zu geniessen, wie Buchautor Gut notiert; Churchill-Biografen urteilen, mit dem Malen habe sich dieser den «black dog of depression», den schwarzen Hund der Depression, vom Leibe halten können. Ins Metier eingeführt wird er von einem Lehrer, den er über Freunde kennenlernt. Es ist der Schweizer Maler und Kunstvermittler Charles Montag, Spross einer Winterthurer Unternehmerfamilie, welche die Ami-Teigwaren herstellt.

Jahrzehnte später hat der malende Churchill ein Problem, das ihn hilfesuchend an Montag wenden und Willy Sax ins Spiel kommen lässt. «Churchill malte mit Vorliebe Landschaften mit viel Himmel und viel Wasser», erzählt Maya Sax, «Porträts hasste er, weil er befürchtete, die Porträtierten könnten sich beklagen, wenn sie sich unvorteilhaft in Szene gesetzt fühlen.»

Viel Himmel und viel Wasser bedeuten für den Maler viel Blau – und Churchill schafft es einfach nicht, jenen Blauton auf die Leinwand zu zaubern, den er sich wünscht. Wo aber wäre ein solches Blau zu besorgen? Bei Willy Sax in Urdorf, weiss Mallehrer Montag, jener Mann also, der hochwertige Ölfarben und Temperaprodukte herstellt und Schweizer Künstler wie Cuno Amiet oder auch den aquarellierenden Autor und Nobelpreisträger Hermann Hesse beliefert.

Bevor Winston Churchill sich um seine Farben kümmern kann, muss er jedoch Weltgeschichtliches hinter sich bringen. Es ist der 19. September 1946. Der Kriegspremier hält an der Zürcher Universität seine berühmt gewordene «Europarede» – den Schweiz-Besuch hatte sein Mallehrer Charles Montag massgeblich mitorganisiert. Nach seiner Rede, all den Empfängen und Banketten, dem Bad in der jubelnden Menge auf dem Zürcher Münsterhof, zieht er sich ins Hotel Dolder zurück. Gegen halb acht taucht Winston Churchill wieder auf und ruft in die Runde: «Welcher ist Sax?» Das ist ein Mann mit runder Brille und vielen Talenten. Ein guter Koch, Erster Geiger im Tonhalle-Orchester und eben auch ein begnadeter Farbenmischer. Davon lässt sich Churchill am nächsten Morgen überzeugen. Um zehn Uhr zwanzig fährt er an der Zürcher Poststrasse vor und betritt die Papeterie Scholl, die Sax-Farben vertreibt. Willy Sax, der Firmenpatron, zeigt ihm alles: seine Farben, seine Mischer, seine Pinsel. Drei Wochen später trifft ein Päckchen im Landsitz Chartwell ein. Es enthält das «Churchill-Blau».

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