Auf dem Flug nach Tel Aviv (Israel) explodiert an Bord einer Swissair-Maschine eine Bombe. Über Würenlingen AG stürzt der Flieger in einem Wald ab. Niemand überlebt. 47 Menschen sterben. Der erste Terroranschlag auf ein ziviles Flugzeug, der erste Anschlag auf Schweizer Boden.
Und doch: Für das Verbrechen kam niemand vor Gericht. Niemand wurde bestraft. Die zwei mutmasslichen palästinensischen Täter, Sufian Kaddoumi und Musa Jawher, kamen davon.
Seit dem sind 50 Jahre vergangen. Bis heute sind die genauen Hintergründe nie restlos geklärt. Auch nicht die Frage, ob das Drama hätte verhindert werden können.
Ermittler wussten von der Terrozelle
Nun bricht ein ehemaliger Mitarbeiter, der für den amerikanischen Geheimdienst tätig war, sein Schweigen. Im Gespräch mit der «NZZ» behauptet er: Der Anschlag hätte verhindert werden können.
Denn: Der israelische Auslandsgeheimdienst Mossad hatte die palästinensische Terrorzelle im Visier – auch die mutmasslichen Bombenattentäter von Würenlingen AG. Alle Infos wurden auch an die Deutschen weitergegeben. Auch die Anschlagspläne. Die Terroristen wollten nämlich auch eine Paketbombe an Bord einer Austrian Airlines von Frankfurt am Main (D) nach Wien hochgehen lassen.
Niemand hielt die Täter auf
Vom Mossad zu den Deutschen kam es wohl zur Kommunikationspanne. Offenbar gelangten die Informationen nicht wie üblich zum Bundesnachrichtendienst (BND), sondern landeten am Schluss beim Landesamt für Verfassungsschutz Hessen. Wie es genau ablief, ist schwer nachzuvollziehen. Klar ist dagegen: Trotz der brisanten Infos geschah nichts. Niemand wurde festgenommen, die Paketbomben wurden nicht aus dem Verkehr gezogen. Möglicherweise, weil beide Geheimdienste dachten, dass der andere reagieren würde.
Selbst als die erste Bombe in einer Maschine der Austrian Airline hochgeht und der Pilot noch eine Notlandung durchführen kann, wurde nichts unternommen. Keine Warnung an andere Fluggesellschaften. Nichts. Politikwissenschaftler Wolfgang Kraushaar kann das bis heute nicht verstehen. Er zu «NZZ»: «So hätte der fatale Start der Swissair-Coronado in Zürich vielleicht doch noch in letzter Minute verhindert werden können.»
Wieso genau nichts geschah, darüber kann bislang nur spekuliert werden. Inwiefern die Schweiz etwas hätte wissen können von den Anschlagsplänen, ist unklar. Fakt ist: Damals hatte die Schweiz keinen eigenen Nachrichtendienst. Die Bundespolizei war dafür zuständig. Aufschluss könnten weitere Akten liefern. Diese verstauben laut dem «NZZ»-Informanten in US-Archiven und sind unter Verschluss.
«Die Involvierten verstecken sich»
Auch in Deutschland liegen noch zwei Akten, die Licht ins Dunkel bringen könnten. Auch diese sind nicht einsehbar, wie das Bundesarchiv auf Anfrage der «NZZ» mitteilte. Seltsam: Anfang 2017 wurde sogar der Zeitraum für die Geheimhaltung verlängert. Spekulieren die Behörden darauf, dass Gras über das Ganze wächst?
Arthur Schneider erinnert sich noch gut an den Absturz. Der ehemalige Gemeindepräsident war einer der ersten an der Unfallstelle. «Es roch nach Kerosin. Das Flugzeug war komplett zerstört. Flugzeugteil haben sich mit Leichenteile vermischt», sagt er zu BLICK. Dass selbst 50 Jahre nach dem Unglück es immer noch keine klaren Antworten gibt, kann er und will er nicht verstehen. Die Angehörigen hätten doch das Recht zu erfahren, wer ihre Verwandten ermordet hat und ob sie bestraft wurden. «Und wenn nicht, was sind die Gründe. Die Involvierten verstecken sich vor dieser Antwort», so Schneider.
Doch das Wissen, was wirklich genau geschehen war, wird wohl nie ganz ans Tageslicht kommen. Aufschluss könnten mehrere Akten liefern. Doch die Behörden stellen sich quer. (jmh)