Nach der durchwachsenen Europawahl und Erfolgen rechter Nationalisten beginnen die EU-freundlichen Parteien am Montag mit Gesprächen über ein Reformprogramm und neues Spitzenpersonal für die Europäische Union. CSU-Vize Manfred Weber erhebt Anspruch auf das mächtige Amt des EU-Kommissionspräsidenten, da seine Europäische Volkspartei trotz Verlusten stärkste Partei im Europaparlament bleibt. Doch braucht er Bündnispartner, und die stellen Bedingungen. Die stärker gewordenen Grünen etwa verlangen eine Klimawende und ein sozialeres Europa.
Volksparteien verlieren an Einfluss
Webers EVP hatte bei der Wahl am Sonntag ebenso herbe Verluste erlitten wie die sozialdemokratische Parteienfamilie S+D - unter anderem wegen des schwachen Abschneidens von CDU/CSU und des Debakels der SPD in Deutschland. Erstmals haben die beiden ehemaligen Volksparteien gemeinsam keine Mehrheit mehr im EU-Parlament.
Zuwächse verzeichnen hingegen die Liberalen und die Grünen, die sich wie die geschrumpften Linken als mögliche Partner anbieten. Auch rechtspopulistische Parteien verbuchten Erfolge in wichtigen EU-Ländern, doch sind sie am rechten Rand im Europaparlament isoliert und haben kaum Gestaltungsmacht.
Weber erneuerte nach der Wahl seinen Führungsanspruch und bot den übrigen Parteien Gespräche an. Die EVP bleibe stärkste Fraktion, und zwar mit deutlichem Abstand. Dennoch sehe er das Ergebnis nicht als Sieg. «Wir erleben, wie die Mitte schrumpft», sagte der CSU-Vizechef.
Auch sein sozialdemokratischer Gegenspieler Frans Timmermans, der ebenfalls Kommissionschef werden will, gestand die Verluste seiner Partei ein und sprach von Demut. Trotzdem gab er die Hoffnung auf den Spitzenposten nicht auf und bekräftigte sein Ziel einer «progressiven Mehrheit». Ohne die EVP dürfte die aber nicht möglich sein. Als dritte im Bunde sagte auch die Liberale Margrethe Vestager erstmals deutlich, dass auch sie an die Kommissionsspitze will.
Grünen-Fraktionschefin Ska Keller betonte, wichtig für Bündnisse seien grüne Inhalte, vor allem Klimaschutz und ein sozialeres Europa. Linken-Fraktionschefin Gabi Zimmer bot eine Zusammenarbeit gegen Nationalisten und Rechtsextreme.
Die Europaparlament-Sitze nach der Wahl
Unter den 751 Abgeordneten des künftigen Europaparlaments wird die christdemokratische EVP nach Teilergebnissen auf 179 Sitze kommen, 37 weniger als bisher. Die Sozialdemokraten erhalten demnach 150 Mandate (minus 35). Die Liberalen liegen bei 107 Mandaten, wenn die Sitze für die Partei des französischen Präsidenten Emmanuel Macron mitgezählt werden (plus 38). Dahinter kommen die Grünen mit 70 Sitzen (plus 18). Die Linke verliert 14 Sitze und kommt auf 38.
Gewinne im rechten Lager
Die bisher drei rechtspopulistischen und nationalistischen Fraktionen kommen zusammen auf 172 Sitze, 17 mehr als bisher. Stark schnitt nach ersten Prognosen vor allem die rechte Lega des italienischen Innenministers Matteo Salvini ab: Hochrechnungen sahen die Lega in der Nacht zum Montag bei über 30 Prozent - ein Rekordergebnis. Salvini sprach von einem «unglaublichen Erfolg». Bei der Europawahl 2014 hatte die Lega 6,2 Prozent geholt. «Die Wahl von heute sagt uns, dass sich die Regeln Europas ändern werden», sagte Salvini.
Einen Erfolg fuhr die neue Brexit-Partei von Nigel Farage in Grossbritannien ein, die laut Teilergebnissen mit rund 31 Prozent der Stimmen stärkste Partei wurde. In Frankreich schlug die Rechtspopulistin Marine Le Pen mit ihrer Partei Rassemblement National laut Prognosen die Partei LREM von Präsident Emmanuel Macron und forderte prompt Konsequenzen. Aber sie blieb mit 23,4 Prozent knapp hinter dem Ergebnis von 2014; damals waren es 24,9 Prozent.
Einige Rechtsparteien schnitten schwächer ab als erwartet, darunter auch die Alternative für Deutschland. Sie kam auf 11 Prozent und lag damit über den 7,1 Prozent des Jahres 2014 - aber unter dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017. Auch in Finnland und Dänemark blieben rechte Parteien hinter den Erwartungen. In Österreich verlor die FPÖ nach dem Videoskandal leicht und kam auf etwa 17,5 Prozent.
Es wird erwartet, dass sich die rechten Fraktionen neu sortieren. So könnte sich die rechtsnationale Fidesz-Partei von Ministerpräsident Viktor Orban, die stark hinzu gewann, von der EVP lossagen und sich der neuen Rechtsallianz von Salvini anschliessen. Laut Prognosen lag Fidesz bei 42 Prozent und damit um 14 Prozentpunkte über dem Ergebnis von 2014.
(SDA)