Seine Kindheit war die Hölle. Der Vater Alkoholiker, die Mutter verliess ihre acht Kinder nach dem Mittagessen. «Sie gab meiner Schwester einen Fünfliber in die Hand und sagte, sie gehe in Chur einkaufen. Aber sie kam nie mehr zurück», sagt Autor Philipp Gurt (47). Die Vormundschaftsbehörde, längst aufmerksam geworden auf die Grossfamilie in Maladers GR, die ohne Strom und sanitäre Anlagen lebte und als «verlottert» galt, riss die Geschwister auseinander, platzierte sie in verschiedenen Heimen.
Mit viereinhalb Jahren kam Philipp ins Waisenhaus Chur. «Die Erzieherin, welche die Rolle meiner Ersatzmutter übernahm, kroch schon bald in mein Bett und befriedigte sich sexuell an mir.»
Der Bub wusste, dass dies nichts Gutes ist, konnte sich aber nicht artikulieren. «Sie hat es immer wieder getan, mich dabei sogar gefilmt.» Der Junge verstummte. «Man dachte sogar, ich sei Autist. Die Übergriffe und Schläge stahlen mir einfach die Worte.»
Philipps Kinder- und Jugendjahre waren eine Odyssee durch elf verschiedene Heime und Institutionen. Die sexuellen Übergriffe von insgesamt drei Erzieherinnen wurden behördlich festgestellt, aber nie angezeigt.
Sie endeten, als er zwölf Jahre alt war. «Bis dahin bestand die Erzieherin darauf, mich intim zu waschen. Ich konnte mich erstmals wehren.» Auch gegen die Schläge und das Einsperren im dunklen Keller, eine Art der Strafe, die sich ebenfalls durch seine Kinderjahre zog.
Schutz und Kraft fand er im Lesen, später im Schreiben. Letzte Woche kam sein achtes Buch auf den Markt, der Kriminalroman «Bündnerfleisch». «SRF Dok» zeichnet nun seinen Leidens- und Lebensweg nach, der Film wird 2016 ausgestrahlt.
Der fünffache Vater kämpft heute gegen Kindsmissbrauch. Das Thema werde immer noch tabuisiert. Erst recht, wenn es um Übergriffe durch Frauen gehe. «Missbrauchte Kinder haben nichts falsch gemacht, dass es so weit gekommen ist. Sie sind nur Opfer.» Philipp Gurt ist ein Mensch mit einer furchtbaren Vergangenheit – der es geschafft hat, trotzdem ein gutes, zufriedenes Leben zu führen.