«Erdogans Leute sind überall»
Türken in der Schweiz in Angst!

Nach dem Putsch-Versuch kursieren in der Schweiz Listen von Kritikern des entfesselten Präsidenten. BLICK hat sich in der türkischen Gemeinde umgehört.
Publiziert: 23.07.2016 um 18:03 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 01:08 Uhr
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Erdogan baut nach dem Putschversuch seine Macht aus.
Foto: REUTERS
Lea Gnos

Es ist der neuste Streich des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan (62). Für die nächsten drei Monate hat er den Ausnahmezustand ausgerufen, die Regierung setzt die Europäische Menschenrechtskonvention aus. Ohne lästige Demokratie kann Erdogan nun Ausreiseverbote und Ausgangssperren verhängen und die Medien zensieren.

Nur so sei es möglich, rasch «alle Elemente zu entfernen», die in den Putschversuch vom Freitag verstrickt seien. Über 65'000 Soldaten, Polizisten, Staatsanwälte, Richter, Gouverneure, Ministerienbeamte, Universitätsdekane und Lehrer wurden bereits suspendiert, entlassen oder festgenommen.

«Erdogan hat seine Leute überall»

2000 Kilometer entfernt vor dem türkischen Konsulat in Zürich. «Komm, es hilft uns nichts, mit Journalisten zu sprechen», sagt ein Mann und zieht seinen Sohn weg. Kritik an Erdogan will niemand in der Öffentlichkeit äussern. «Ich habe Familie in der Türkei, ich will nicht, dass ihr etwas passiert, Erdogan hat seine Leute überall», erklärt ein Mann. «Der Putsch war eine Show von Erdogan. Er hat das selber inszeniert, um seine Macht zu stärken», fügt er dann doch noch hinzu.

Ein junger Verkäufer will sich nur von hinten fotografieren lassen: «Ich habe Angst um meinen Laden. Schon als Erdogan damals an die Macht kam, schlugen sie einem Verwandten die Fenster ein, weil er gegen ihn war.»

«Erdogan und seine Leute sind wahnsinnig»

Er selber habe gehofft, dass der Putsch klappe. «Erdogan und seine Leute sind wahnsinnig. Touristen bleiben schon länger weg. Auch mit den Russen, die immer zahlreich kamen, hat er es sich verscherzt.» Doch dann räumt er ein: «Nach einem Putsch wäre es wohl auch nicht besser geworden.»

A.* ist Mitglied der Gülen-Bewegung. Auch er fürchtet um sein Geschäft, wenn er Erdogan öffentlich kritisiert. «Auf Facebook wird aufgerufen, Leute zu denunzieren, die gegen Erdogan sind, und nicht mehr bei ­ihnen einzukaufen», sagt er kopfschüttelnd.

Die Gülen-Bewegung wird von Erdogan für den Putsch verantwortlich gemacht. Der islamische Prediger Fethullah Gülen lebt in den USA. Eine Zürcher Privatschule, die dem Prediger nahesteht, wird bedroht, seit gestern steht sie unter Polizeischutz.

Starker Erdogan imponiert Muslimen

«Erdogans Stärke ist ein Grund für seine Popularität bei vielen Muslimen», sagt A. weiter. «Als er 2009 am WEF in Davos den damaligen Präsidenten Israels, Shimon Peres, hart kritisierte und dann von der Bühne lief, jubelten ihm die Menschen zu», erinnert er sich.

«Wir dürfen vor Erdogan nicht klein beigeben.» Erdinc Ispartali (73), pensionierter Journalist
Foto: Lea Gnos

Erdinc Ispartali (73), ehemaliger Korrespondent der türkischen Zeitung «Hürriyet», will seine Meinung nicht verstecken. Er lässt sich in einem Zürcher Café bereitwillig fotografieren – er ist der Einzige an diesem Tag. «Wir dürfen vor Erdogan nicht klein beigeben», erklärt er. Und fügt hinzu, er ­werde auch künftig in die Türkei reisen. «Meine Vorfahren kommen aus Isparta, der Stadt, aus der der frühere türkische Staatspräsident Süleyman Demirel stammt. Den finden am Zoll immer alle gut.»

Die neusten Entwicklungen nach dem Putschversuch in der Türkei lesen Sie im Newsticker.

* Name der Redaktion bekannt

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