Das Ziel der Reform ist es, den neuen Beziehungs- und Familienformen besser Rechnung zu tragen. Patchworkfamilien mit Kindern des Partners oder der Partnerin, rechtlich nicht definierte Partnerschaften oder Zweit- und Drittehen sind weit verbreitet. Die Revision des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs soll diese Kluft zwischen Recht und Wirklichkeit verkleinern.
Justizministerin Karin Keller-Sutter gab zu bedenken, dass sich das geltende Erbrecht bewährt habe und deshalb keine «fundamentalen Neuerungen» angezeigt seien. Die Regeln sollten aber «so weit nötig» modernisiert werden.
Eine deutliche Mehrheit der grossen Kammer begrüsste die Vorlage, wenn auch ohne Enthusiasmus. «Die Vorlage wird nicht zu weniger Erbstreitigkeiten führen, aber immerhin zu etwas mehr Freiheit», sagte Philipp Matthias Bregy (CVP/VS), der als Scheidungsanwalt tätig ist.
SP und Grüne wären gewillt, eine umfassendere Reform anzupacken. Kleine Anpassungen seien aber besser als keine, sagte Daniel Brélaz (Grüne/VD). Beat Flach (GLP/AG) sprach von einer «moderaten Vorlage».
Grundsätzlich gegen die Reform wehrte sich einzig die SVP-Fraktion. «Wir öffnen diese Büchse der Pandora besser nicht», warnte Pirmin Schwander (SZ). Das Erbrecht solle dem Familienfrieden dienen. Die Revision störe diesen. Eine Revision wäre aus Sicht der SVP einzig dann sinnvoll, wenn der Erblasser ganz frei entscheiden könnte, was mit seinem Nachlass passiert.
So weit will der Bundesrat nicht gehen. Er setzt aber bei den Pflichtteilen an. Das ist jener Anteil am Erbe, auf den Kinder, Ehegatten oder Eltern Anspruch haben. Am Konzept wird nicht gerüttelt: Wer ein Vermögen hinterlässt, kann auch in Zukunft nur mit Einschränkungen bestimmen, wer welchen Anteil daran hält.
Erblasser können aber künftig über einen grösseren Teil des Nachlasses frei verfügen. Der Pflichtteil für die Nachkommen wird verkleinert. Heute stehen Kindern vom gesetzlichen Erbteil drei Viertel als Pflichtteil zu. Mit einem überlebenden Ehegatten müssen sie diesen Anspruch teilen. Neu wird der Pflichtteil der Kinder auf die Hälfte reduziert, jener für die Eltern wird gestrichen.
Der Pflichtteil des Ehepartners oder des eingetragenen Partners wird bei der Hälfte des gesetzlichen Erbanspruchs belassen. Das Parlament stimmte diesen Änderungen ohne grosse Diskussion zu.
Der Bundesrat schlug auch vor, eine Regelung für Lebenspartnerinnen und -partner zu erlassen. Diese gehen heute leer aus, wenn der Erblasser keine entsprechenden Anordnungen getroffen hat. Der Bundesrat wollte ihr Existenzminimum mit einem Unterstützungsanspruch sichern, sofern das Paar mindestens fünf Jahre zusammengelebt hat.
Das Parlament strich jedoch diese Regelung. Die grosse Kammer folgte mit 94 zu 90 Stimmen bei 2 Enthaltungen dem Ständerat. Dagegen stimmten die SVP-, die Mitte- und ein grosser Teil der FDP-Fraktion.
Sie befürchteten, dass die Regelung schwer umzusetzen wäre und zu komplexen Erbstreitigkeiten führen würde. Mitte-Sprecher Bregy erkannte einen Widerspruch. Einerseits gälten grössere Freiheiten für den Erblasser, andererseits sollten Lebenspartnerinnen und Lebenspartner zwingend berücksichtigt werden.
Die Befürworterinnen und Befürworten fanden, die Verbesserung des Schutzes für unverheiratete Partner würden den gewandelten gesellschaftlichen Realitäten Rechnung tragen. Min Li Marti (SP/ZH) sprach von einem «Gebot der Zeit».
Links-Grün war aber in der Minderheit. Auch eine Alternative zum Unterstützungsanspruch lehnte der Nationalrat ab. Zugunsten eines faktischen Lebenspartners oder einer Lebenspartnerin sollte der Pflichtteil bis um die Hälfte verringert werden können.
Die bürgerliche Mehrheit warnte vor stossenden Situationen für die Nachkommen, wenn der Pflichtteil nur noch ein Viertel betrüge, wie Hans-Ueli Vogt (SVP/ZH) im Namen der Kommissionsmehrheit sagte. Gegner im Ständerat hatten von «neuen Kampfzonen» gesprochen.
Unumstritten waren verschiedene andere Änderungen, die sich aus der Praxis der vergangenen Jahrzehnte aufdrängen. So soll der überlebende Ehegatte keinen Pflichtteilsanspruch geltend machen können, wenn eine Person während eines Scheidungsverfahrens stirbt. Der Nationalrat präzisierte, dass in solchen Fällen die Pflichtteile gelten, wie wenn der Erblasser nicht verheiratet wäre. Detailänderungen schlägt der Nationalrat auch beim Ehevertrag vor.
In der Gesamtabstimmung nahm die grosse Kammer die Vorlage mit 140 zu 48 Stimmen bei einer Enthaltung an. Diese geht nun zurück an den Ständerat. Die kleine Kammer diskutiert voraussichtlich in der Wintersession über die verbleibenden zwei Differenzen.
(SDA)