Das katholische Kirchenoberhaupt sprach am Mittwochabend (Ortszeit) in Québec vom System der Internate, das vielen indigenen Familien geschadet und ihre Sprache, Kultur und Weltanschauung gefährdet habe. «Dafür bringe ich Beschämung und Schmerz zum Ausdruck und wiederhole gemeinsam mit den Bischöfen dieses Landes meine Bitte um Vergebung.»
Zugleich wies Franziskus eine alleinige Schuld der Kirche zurück. «In dieses beklagenswerte, von den damaligen Regierungsbehörden geförderte System (...) waren einige örtliche katholische Einrichtungen miteinbezogen», erklärte der 85-Jährige. Seine Botschaft: Der kanadische Staat sei ebenfalls in der Verantwortung gewesen.
Ab 1880 waren in den Einrichtungen indigene Kinder untergebracht, die ihren Familien entrissen worden waren, um sie in den Schulen zwangsweise an die westliche Kultur anzupassen. Dort durften sie zum Beispiel ihre Sprache nicht sprechen und keine indigene Kleidung tragen. Ein staatliches Programm, das die Kirche mittrug, ordnete an, die Ureinwohner-Kinder an die kanadische Mehrheitsgesellschaft anzugleichen.
In den Instituten herrschten Hunger und Krankheiten, Bedienstete taten den Kindern Gewalt an und missbrauchten sie sexuell. Manche schätzen, dass bis zu 6000 Kinder nie nach Hause zurückkehrten und in diesem unbarmherzigen System den Tod fanden. Ab dem Ende der 1960er Jahre entzog der Staat der Kirche die Leitung der Internate. Das letzte schloss 1996.
Im Mittelpunkt der Reise Franziskus' stehen Treffen mit den Indigenen und die Bitte um Vergebung. An diesem Donnerstag folgt der kirchliche Teil des Besuchs mit einer Messe in der Basilika Saint Anne de Beaupré und einem Treffen mit Kirchenvertretern. Québec und die gleichnamige Provinz des französischsprachigen Landesteils sind mehrheitlich katholisch. In ganz Kanada sind laut Zahlen des Vatikans 44 Prozent der Bevölkerung katholisch getauft, Umfragen zufolge fühlen sich aber weniger Menschen der katholischen Kirche zugehörig.
Franziskus erklärte am Mittwoch in der Zitadelle Québecs, einer von den Briten einst angelegten Festung, es sei richtig, die eigene Schuld einzugestehen und sich dafür einzusetzen, die Rechte der Ureinwohner zu fördern und Prozesse der Heilung und Versöhnung zwischen ihnen und den nicht-indigenen Völkern des flächenmässig zweitgrössten Landes der Erde zu unterstützen. Sein Wunsch sei, die Beziehung zwischen der Kirche und den indigenen Völkern zu erneuern.
Trudeau sprach in seiner auf Französisch und Englisch gehaltenen Rede am Mittwoch davon, wie indigene Kinder in den Internaten allein und isoliert gewesen seien. Papst Franziskus habe in dieser Woche den Missbrauch in den Internaten anerkannt, der zu kultureller Zerstörung, Tod und heute noch bestehenden Traumata bei den Ureinwohnern führte. «Es liegt in unserer Verantwortung, unsere Unterschiede nicht als Hindernis, sondern als Gelegenheit zu sehen, zu lernen und uns besser zu verstehen, und zur Tat zu schreiten», sagte der gläubige Katholik.
In der Zitadelle war auch Mary Simon dabei, die Gouverneurin und damit Vertreterin der britischen Monarchie in Kanada - ein eher repräsentatives Amt. Simon gehört zu den Inuk und ist damit die erste Indigene, die diese Position innehat. Der Besuch des Papstes sei ein wichtiger Schritt in Richtung Versöhnung, sagte sie in ihrer Rede.
Franziskus kam mit seiner Entschuldigung einer Forderung Trudeaus nach. Der 50-Jährige hatte vor rund einem Jahr verlangt, dass der Argentinier nach Kanada kommen sollte, nachdem mehr als 200 anonyme Kindergräber in der Nähe eines einst von der katholischen Kirche geführten Internats gefunden worden waren.
Der Papst bat bereits um Entschuldigung, als Ende März Vertreter der First Nations, Métis und Inuit bei ihm im Vatikan waren. Am Montag fuhr er für seine Bitte um Vergebung zu den Ureinwohnern nach Maskwacis in West-Kanada. Manchen Indigenen reicht die Entschuldigung nicht aus, andere sehen darin einen ersten Schritt auf dem Weg der Versöhnung. Viele hatten jahrelang darauf gewartet, dass ein Papst bei ihnen für ihr Leid in den Internaten um Verzeihung bittet.
Nach dem Treffen in der Zitadelle fuhr der Pontifex noch in seinem Papa-Mobil durch Québec - vorbei an Tausenden Menschen, die ihn am Strassenrand bejubelten.
(SDA)